626 Megawatt (MW) sind im ersten Halbjahr 2017 neu ans Netz gegangen. 108 neue komplett installierte Windturbinen mit einer durchschnittlichen Erzeugungskapazität von schon 5,8 MW nahmen die Investoren und Projektierer damit in Betrieb. Bis Ende 2017 wird die im Gesamtjahr zusätzlich hinzugekommene Einspeisekapazität rund 900 MW betragen, das melden die fünf sich um Offshore-Windkraft kümmernden Branchenorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung. Als unumstritten gilt, dass solche Vorhersagen inzwischen verlässlich sind. Denn Offshore-Windkraft hat seit zwei Jahren sowohl Technologie als auch Logistik als auch ihre Zulieferstruktur einschließlich der Bereitstellung der „Steckdosen auf See“, der Umspannplattformen, im Griff. Schon jetzt waren zum Stichtag 30. Juni bereits 4.749 MW in Betrieb. Und mit dem für 2017 erwarteten Kapazitätszubau wird nach dem bisherigen Spitzeninstallationsjahr 2015 mit fast 2.000 MW nun das zweitbeste Jahr des deutschen Offshore-Windkraft-Ausbaus folgen.
All diese Vorgänge illustrieren, wie hier eine Branche inzwischen ein lohnenswertes, stabiles, technologisch gut beherrschtes Geschäft aufgebaut hat. In der ersten Offshore-Auktionsrunde des zu 2017 neu eingeführten Ausschreibungssystems für alle neuen Windenergieprojekte hatten die Offshore-Windkraft-Investoren signalisiert, dass sie Windstrom von der See künftig zu rein marktwirtschaftlichen Bedingungen zu erzeugen und zu verkaufen bereit sind. In dieser Auktionsrunde im Mai hatten der dänische Energiekonzern Dong Energy genauso wie sein süddeutscher Wettbewerber und Pendant EnBW bei drei Projekten auf jegliche Vergütungszuschläge auf den zu erwartenden Börsenstrompreis verzichtet. Damit hatten sie die Zuschläge für den Großteil des Ausschreibungsvolumens von 1.550 MW erhalten.
Der Optimismus der Branche ist auch vollkommen berechtigt. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass Berufsskeptiker noch immer mahnen. Sie sagen, bei dieser ersten Ausschreibungsrunde habe ein womöglich ungesunder Wettbewerbsdruck geherrscht. Dies habe dazu geführt, dass die Investoren eher auf reichlich ungesicherte Spekulationen setzten – und zwar zu einem prognostizierten Anstieg der heute noch auf historischen Tiefstständen von drei Cent pro Kilowattstunde (kWh) oder tiefer gefallenen Börsenpreise oder zum weiterem Fortschritt in der Turbinentechnologie.
Hier ließe sich heute zwar noch leidlich darüber diskutieren, welche Spekulationen oder Erwartungen warum tatsächlich realistisch sind und welche nicht. Doch der Branche selbst ist das Ausschreibungspreisniveau keines kritischen Satzes mehr wert, wie die gemeinsame Erklärung der fünf Offshore-Windkraft-Organisationen zeigt. Stattdessen fordern sie nun offiziell und unisono eine Anhebung der Ausbauziele – und damit natürlich der Ausschreibungsvolumen – von 15 auf 20 Gigawatt (GW) bis 2030. Und sie verlangen ein Ausbauziel von 30 GW schon bis 2035: zwei GW Zubau pro Jahr ab 2030, was im Vergleich zum im EEG 2017 vorgesehenen Ausbaukorridor von unter 800 MW jährlich mindestens einer Verdoppelung des Ausbautempos gleichkäme. Bisher hat die Politik für 2035 noch kein konkretes Ausbauziel definiert.
Die fünf Organisationen – das sind der Bundesverband Windenergie, das Offshore-Branchen-Netzwerk WAB, der Anlagenbauverband VDMA sowie die Stiftung Offshore Windenergie und die Unternehmer-Arbeitsgemeinschaft AGOW – liegen hier sogar richtig: Die Politik hat bei Meereswindkraft anders als bei der Windenergie an Land nicht dieselbe festgefahrene Haltung, mit der sie die Energiewende verlangsamen möchte, um nicht gemachte Hausaufgaben wie beim Netzaufbau nicht zu schnell nachholen zu müssen. Offshore Wind ist durch Konsolidierungen in der Branche inzwischen auch bei klassischen Industriepolitikern in vielen Ländern Europas ein in Sachen Arbeitsplätze und Finanz- und Industriepolitik hoch im Kurs stehendes Thema. Deshalb ist nach dem Bundestagswahlkampf sofort nach Dienstantritt der neuen Bundesregierung wieder vieles zu Gunsten der Offshore-Windkraft vorstellbar. Zumal die fünf Organisationen nur eine mittelfristige Verbesserung ihrer Perspektive verlangen.
Allerdings streifen sie ein Thema nur, das sowohl Politik als auch der Branche auf die Füße fallen kann. So speisten die Anlagen laut den von der Deutsche Windguard präsentierten offiziellen Halbjahres-Daten im ersten Halbjahr 8.480 Gigawattstunden ein, was noch einer Auslastung am unteren Rand der von der Branche selbst genannten Reichweite von 4.000 bis 4.500 Volllaststunden entspricht. Das ist nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut gemessen an den Erwartungen. Richtigerweise mahnen die Organisationen zu einem schnelleren Netzausbau sowie zur Förderung von mehr Sektorenkopplung, um überfüllte Netze mit der Umwandlung überflüssigen Windstroms in Energieträger für Verkehr oder Wärmeversorgung zu entlasten.
Solche Maßnahmen helfen ja auch wirklich, um den Ausbau der Offshore-Windkraft forcieren zu können. Doch andererseits sollte der schnellere Ausbau auch eine schnellere Energiewende mit weniger CO2-Ausstoß erreichen. Der Anteil der Grünstromversorgung im deutschen Netz wächst zwar weiterhin. Aber die eingespeisten Volumen der konventionellen Kraftwerke insbesondere bei Kohlemeilern gehen kaum zurück – dafür wird immer mehr Strom über die deutschen Grenzen in die Netze der europäischen Nachbarn gedrückt und oft zu Billigstpreisen exportiert. Das fördert nicht die öffentliche Akzeptanz. Zumal dann der Netzausbau und der Ausbau von Sektorkopplungsvolumen eben umso umfangreicher stattfinden muss und der Kostenanstieg der Energiewende eben statt durch Turbinenbauer dann durch Finanzierung der Infrastruktur verursacht wird. Und wie die Politik hierzulande und europaweit eben gestrickt ist: Die Belastung tragen alle Bürger wohl weiter über Umlagen direkt.
(Tilman Weber)