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Grüne Wärme aus der Tiefe

Nicole Weinhold

Im Jahr 1983 bohrte das Unternehmen Texaco in Erding nach Erdöl; bis in eine Tiefe von 2.350 Metern drangen die Bohrteams vor. Eine Ölquelle gab es nicht, dafür sprudelte 65 Grad heißes Thermalwasser aus dem Boden. Ende der 1970er-­Jahre wollte Coca-Cola für einen Produktionsstandort in Bruchsal bei Karlsruhe einen Brunnen bohren und stieß auf heißes Wasser. Tatsächlich war es in der Vergangenheit oftmals reiner Zufall, der einer Region die Entdeckung einer Erdwärmequelle beschert hat.

Im Unterschied zu diesen Glücksfällen kann die forcierte Suche nach einer heißen Quelle durchaus kosten- und zeitintensiv ausfallen. Doch genau hier liegt auch die Herausforderung, sagt Jochen Schneider, Geschäftsführer des Praxisforums Geothermie Bayern. Die Suche nach thermischer Energie gestaltet sich oftmals schwierig. „Sie bohren nach unten und müssen das heiße Wasser finden. Wenn Sie es nicht finden, wird es teuer.“ Immerhin gebe es mittlerweile gute Vorerkundungsmethoden. Schneider lobt in dem Zusammenhang die aktuelle Landesregierung von Nordrhein-Westfalen: „NRW hat viel Geld in die Hand genommen, um Vorerkundung voranzutreiben.“ Die Landesregierung hat im April vergangenen Jahres einen Masterplan Geothermie aufgesetzt, in dessen Vorwort Klima- und Energieministerin Mona Neubauer feststellt: „Unser Ziel ist es, die in der Tiefe vorhandene Wärme in großem Stil zu nutzen und mit der Geothermie perspektivisch bis zu 20 Prozent des Wärmebedarfs in Nordrhein-Westfalen zu decken. Nur wenn wir dieses Energiepotenzial breit in den Einsatz bringen, wird es uns gelingen, unsere Wärmeversorgung bis 2045 komplett klimaneutral zu gestalten.“

NRW hat viel Geld in die Hand genommen, um Vorerkundungen voranzutreiben.

Jochen Schneider, Geschäftsführer Praxisforum Geothermie Bayern

Masterplan Geothermie NRW

In dem Masterplan sind unter anderem verschiedene Entlastungen für die Planer vorgesehen. „Wir führen auch ein Instrument zur Absicherung des Fündigkeitsrisikos ein, das den finanziellen Schaden absichert, wenn ein Unternehmen eine erfolglose Bohrung vornimmt“, heißt es in dem Papier. Die NRW-Bank übernimmt das Risiko. Hinzu kommt eine Förderung für Kommunen sowie ein Explorationsprogramm 2024: Mit einer Anlage, die ähnlich funktioniert wie ein Baustellenrüttler, würden Schallwellen in den Untergrund geleitet. Ein so entstehendes Rasterbild gebe hinterher Aufschluss, ob eine Bohrung sinnvoll ist. Oder anders gesagt: ob dort unten Wasser ist oder nicht. Denn, so Schneider, „wenn wir in die Erde bohren, wird es immer warm. Man muss nur Wasser finden.“ Er bewertet den Masterplan Geothermie NRW als „ganz großen Wurf des Wirtschaftsministeriums NRW“.

Auch Forschung spielt eine wichtige Rolle in NRW. Mit dem Kohleausstieg gilt es gleichermaßen, neue Wärmequellen für Kommunen und Industrie zu erschließen, als auch den Strukturwandel in den Kohleregionen zu gestalten. Das Fraunhofer Reallabor für Geothermie, Geotechnologien und Georessourcen – Geo³ schafft beides, indem es in der Städteregion Aachen eine europaweit einzigartige Forschungsinfrastruktur aufbaut, die das Potenzial der Tiefengeothermie Nordrhein-Westfalens erforscht und an dieser Infrastruktur die Entwicklung innovativer Energietechnologien für die Wärmewende ermöglicht.

Aus den Mitteln des Kohleausstieges fördern der Bund und das Land NRW das Projekt der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG mit zusammen genommen rund 52 Millionen Euro.

Seit 2024 liefert eine Geothermieanlage in Schwerin mit einer Leistung von vier bis sieben Megawatt grüne Wärme für die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommern. Die Wärmepumpen der Anlage gingen nach unvorhersehbaren Verzögerungen im Oktober in Betrieb und erzeugen seitdem konstant Fernwärme. Aus dem Sandstein wurde mit der Sole mehr Sand als zunächst angenommen gefördert. „Die Entsandung der Sole haben wir mit zusätzlichen Filtern in den Griff bekommen – die Anlage läuft nun im stabilen Betrieb“, resümiert Projektleiter André Knaack.

Die Entsandung der Sole haben wir mit zusätzlichen Filtern in den Griff ­bekommen.

André Knaack, ­Projektleiter ­Stadtwerke Schwerin

Jede Bohrung ist anders

Am Schweriner Beispiel spiegelt sich eine der Herausforderungen der Geothermie: Jede Bohrung ist anders. „Das Problem bei Geothermie ist, dass sie immer ein Nischendasein hatte. Sie wurde von der Politik viel zu wenig gefördert, weil das Risiko zu hoch war“, so Schneider. Geothermie habe es schon vor der Offshore-Windenergie gegeben, in die viel Forschungsgeld geflossen ist – das sei unter anderem der Fall gewesen, weil Offshore-Wind für große Versorger spannend sei. „Geothermie ist dagegen ein kleinteiliges Geschäft. Im Untergrund ist immer alles anders.“ Trotz aller unterschiedlichen Gegebenheiten über und unter der Erde ist aber auch hier eine Art Serienreife das Ziel, sagt Schneider. „Das heißt, wir müssen Know-how und Erfahrungen für den Untergrund aufbauen.“

Wissenstransfer ist dabei in der Geothermie elementar. Da die geologischen Gegebenheiten überall in der Region des Norddeutschen Beckens ziemlich ähnlich sind, geben die Stadtwerke Schwerin ihre Erfahrungen rund um den Bau und die Inbetriebnahme ihrer ersten Geothermieanlage an interessierte Versorger weiter. „Mit diesem Wissenstransfer in der Branche wollen wir zur Dekarbonisierung von Wärme durch die Geothermie beitragen“, ergänzt Knaack. Wo sieht er die größten Herausforderungen für den Durchbruch der Tiefengeothermie? „Unsere Anlage zählt zur sogenannten mitteltiefen Geothermie“, so Knaack. Sie zeichne sich durch Bohrtiefen von 1.000 bis 2.000 Meter aus. „Aus Brancheninformationen wissen wir, dass derzeit bundesweit über 80 Geothermieprojekte in der Planung sind“, fügt er an. Diese Vorhaben in mitteltiefer und Tiefengeothermie lassen sich nach Ansicht des Schweriners beschleunigen durch Optimierungen in folgenden Bereichen:

  • Minimierung des Fündigkeitsrisikos, zum Beispiel durch Etablierung einer Fündigkeitsrisikoversicherung
  • Schaffung klarer Förderstrukturen, gleichzeitig Vermeidung konkurrierender Förderprogramme
  • Vereinfachung der verschiedenen Planungs- und Genehmigungsprozesse (zum Beispiel Gewässerschutz, Artenschutz, Naturschutz)
  • schnellere Bearbeitung/Erteilung von Genehmigungen, die Möglichkeit der digitalen Bearbeitung könnte dazu beitragen
  • verlässliche Rahmenbedingungen.
  • 2,8 Terawattstunden haben die bayerischen Tiefengeothermie-Anlagen in einem Jahr erzeugt.

    Hohe Kosten für Kommunen

    Die Kosten für eine Geothermieanlage sind erheblich. Ohne Förderungen ist das für eine Kommune kaum zu schaffen. „Planung und Bau unserer Geothermieanlage wurden mit rund 4,2 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Zusätzlich erfolgte eine Förderung durch das Land Mecklenburg-Vorpommern in Höhe von ca. 9,2 Millionen Euro, davon fünf Millionen Euro als zinsverbilligtes Darlehen. Den Großteil der Investitionen haben die Stadtwerke Schwerin selbst getragen“, schlüsselt Knaack auf. Kostenintensiv ist auch der Ausbau eines Fernwärmenetzes, ohne das die Geothermie nicht funktioniert. Denn schließlich muss die Wärme zu den Abnehmern gebracht werden.

    Trotz genannter Hindernisse setzen derzeit viele Gemeinden bei der kommunalen Wärmeplanung auf Tiefengeothermie. „Der Durchbruch der tiefen Geothermie ist schon längst passiert“, bestätigt Jochen Schneider. „Sie haben einmalig hohe Investitionskosten, dann aber über viele Jahre geringe Produktionskosten, weil keine Brennstoffkosten anfallen. Das heißt Preisstabilität.“ Im Münchener Raum habe man zudem den Vorteil, dass eine Quelle bis zu 50 Jahre genutzt werden könne, betont Schneider, das sei für kommunale Versorger ideal. „Damit ist das definitiv eine sinnvolle kommunale Daseinsvorsorge.“ Er fügt an, es gebe schließlich nicht so viele Möglichkeiten für die Umsetzung der kommunalen Wärmewende.

    Letztlich könnte die Geothermie einen erheblichen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Durch die Nutzung der Erdwärme anstelle von Erdgas können in Schwerin jährlich 7.500 Tonnen CO2 eingespart werden. Aus den 20 Versorgungsnetzen in Bayern, die Wärme aus Geothermie transportieren, werden inzwischen über 130.000 Haushalte beheizt. Erzeugt haben die Geothermieanlagen in Bayern zuletzt innerhalb eines Jahres 2,8 Terawattstunden. „Das entspricht einer jährlichen Einsparung von 613.000 Tonnen CO2“, erklärt Schneider.

    Und es gibt noch einen Aspekt, der für die Geothermie spricht, Stichwort Resilienz. „Mit dem Hochlauf der Geothermie werden Klimaschutz und Stärkung der regionalen Wirtschaft beziehungsweise des Standorts Nordrhein-Westfalen gleichzeitig positiv beeinflusst“, heißt es im NRW-Masterplan. „Das führt zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Förderung von technologischen Innovationen.“ Erdwärme könnte also eine Chance für Deutschland sein, für Jobs, Versorgungssicherheit und fürs Klima. 

    Außenansicht des Schweriner Geothermie-Heizwerks

    Foto: Maxpress GmbH

    Außenansicht des Schweriner Geothermie-Heizwerks

    Opfer des Ampelbruchs?

    Beschleunigte Genehmigungsverfahren von Geothermieanlagen waren das Ziel eines Gesetzes, das am 4. November 2024 im Bundestag erörtert wurde. Neben den Regierungsfraktionen sprach sich auch die Unionsfraktion für Erleichterungen aus. Am 6. November 2024 entließ Bundeskanzler Olaf Scholz jedoch den Finanzminister und die Erdwärme rückte weit in den Hintergrund. Der Bundesverband Geothermie (BVG) appellierte im Dezember an die Politik, der inhaltlichen Übereinstimmung Taten folgen zu lassen. Doch andere ­Themen spielten während des Wahlkampfs eine größere Rolle. Positiv kann jedoch geschlossen werden, dass jetzt mit einer baldigen Verabschiedung zu rechnen ist.