Meereswindkraft beflügelt die Fantasie. Visionen von wie Seerosenteppiche schwimmenden Anlagenparks, von Zehn-Megawatt-Riesenturbinen mit der dreifachen Kapazität von Landwindanlagen oder von sich selbst reparierenden, zumindest nie ganz ausfallenden Stromerzeugern sind schon keine mehr. Doch ist die Entwicklung von Offshore-Windenergieanlagen ein geradlinig fortschreitender Erfolg? Und lässt sich technisch so viel verbessern, dass sie die hohen Stromerzeugungskosten drastisch senken können? Denn ihre hohen Erzeugungskosten sind bekanntlich das politisch drängendste Problem der Offshore-Windkraft.
Müsste die Branche verbindlich darauf antworten, würde ihr wohl schnell zum Vorwurf, sich durchlavieren zu wollen. Denn das müsste sie sagen: Ja, möglicherweise, aber in Wirklichkeit: nein. Ja, wenn … . Weil journalistische Kommentare aber klare Antworten geben, lautet mein Fazit: gut so.
Der Reihe nach: Die Entwicklung von Offshore-Windenergietechnik war in der Vergangenheit natürlich keine geradlinige Erfolgsgeschichte. Das lässt sich rückblickend schnell an zwei Tatsachen feststellen. Einerseits gelang es, immer weiter weg von den Küsten immer mehr und immer stetiger Windenergie zu ernten. Die Zahl der Volllaststunden geht gegen 5.000 im Jahr – eine beeindruckende Auslastung von fast 60 Prozent einer auf natürliches Windaufkommen angewiesenen Energiegewinnung! Zugleich sind die Erzeugungskosten in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht gesunken, weil die Investitionskosten pro installierter Leistung zugleich massiv zulegten.
Fortschritt oft von äußeren Anlässen abhängig
Jüngste Meldungen und auch durch Recherche gewonnene Informationen zeigen zudem, wie sehr technologischer Fortschritt auf äußere Anlässe mal ruht und mal stattfindet: So verhandelte zuletzt offenbar das britische nationale Forschungszentrum für Offshore-Windenergie, ORE Catapult, mit dem südkoreanischen Hersteller Samsung über den Kauf einer Sieben-MW-Testanlage. Sie steht vor der schottischen Küste. Seit 2013 hat sie technische Probleme, verursacht im Betrieb gemäß Meldungen in regionalen Tageszeitungen zu viel Lärm – und steht weitgehend still. Bekommt ORE die Anlage, könnte die Forschung endlich an einer technologisch ganz aktuellen Turbine die Lektionen lernen, auf die diese Branche eigentlich so angewiesen ist: Woran scheitern neue technische Antriebskonzepte wie der Kompaktantriebsstrang der Samsung-Anlage? Woran scheitert der Sprung in eine neue Anlagendimension? Denn die Turbine erzeugt nicht nur sieben Megawatt (MW) und gehört damit zu den größten drei derzeit in Entwicklung befindlichen Anlagentypen auf dem Markt. Sie trägt mit 83 Metern Länge auch die aktuell längsten Rotorblätter der Welt.
In der Vergangenheit waren hingegen die Branche prägende Unfälle oder Technologieabstürze hinterher nie für transparente Analyse offen – weder beim deutschen Problem-Offshore-Windpark des ehemaligen Herstellers Bard, noch bei Serienschäden früherer Anlagentypen etwa bei Vestas oder Areva-Multibrid.
Jetzt geht es ans Fundament
Sehr gut zeigt sich die Stop-and-Go-Bewegungsart der Offshore-Windkrafttechnik an ihrer größten Einzelkomponente: Dem Fundament. Wie auf der Offshore-Windkraftkonferenz Windforce im Juni in Bremerhaven anschaulich zu erfahren war, entwickelt eine ganze Reihe von Akteuren neue Verfahren, um die für 40 Prozent der Investitionskosten verantwortlichen Gründungen um jeweils Millionenbeträge pro Windpark erschwinglicher zu machen.
So wird Baukonzern Bilfinger ab Jahresende erstmals Jackets in einer industriellen Serienfertigung in Stettin herstellen. Erstmals wird die Verwendung von Industrierohren in immer gleichen Größen möglich – während bisher Jacketabmaße auf Einzelabrechnungen beruhten, die Rohre immer neu gebogen werden mussten und auch die Verbindungsknoten der Rohre in den Stromgittermast-ähnlichen Konstruktionen von Hand geschweißt waren. Die Industrialisierung durch Bilfinger ermöglicht erstmals auch den Einsatz von Robotern. Bilfinger kann das jetzt in Angriff nehmen, weil erstmals ausreichend Bestellungen von Jackets vorliegen.
Zweitens bringt Chemie-Riese BASF einen neuen Mörtel auf den Markt. So er eine Erfolgsgeschichte wird, erübrigt sich damit plötzlich die bisher aufwändige Zusammenmischung des Klebers auf See, mit dem die Installateure das Fundament über ein Transition-Piece mit dem Turm verbinden.
Sensoren-Offensive hat großes Potenzial
Und schließlich wollen das Fraunhofer-Institut IKTS und das Spezialunternehmen für Sensoren Wölfel unabhängig voneinander die Unterwasserüberwachung der Fundamente voll automatisieren. Das soll die teuren Taucher-Einsätze zur vorgeschriebenen Sichtprüfung der Gründungen ersetzen. Während das IKTS keramische Piezosensoren mit einer aus der Photovoltaik-Industrie kommenden Schutzfolie nahe der Schweißnähte der Jackets platziert werden, um mit Ultraschall Risse zu detektieren, konzentriert sich Wölfel in einem neuen Forschungsprojekt mit dem Fraunhofer-Windenergieinstitut IWES auf die Überwachung der Strukturgesundheit von Monopile-Fundamenten durch Vibrations- und Beschleunigungsmessungen.
Der Nutzen beider Sensorikprojekte dient nicht nur der Kostenreduktion eines konkreten Dienstes – der Tauchprüfungen. Er fördert weitere geldwerte technologische Entwicklung: Aus den gewonnenen Daten ließe sich endlich genau eruieren, wo welche Lastströme tatsächlich durch die Fundamente ziehen. Bisher waren die Drücke, Biegungen und Stöße durch Wellen und Wind und die Beanspruchungen durch den Rost nur in den virtuellen Modellierungen der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen eingegangen. Die Ausmaße der Unterwasserkonstruktion, die Menge des eingesetzten Stahls folgte den Modellierungen und setzte auf mehr oder weniger große Sicherheitspuffer. Nun kann vielleicht künftig schneller überflüssige Masse gezielt an einigen Stellen abgebaut werden. Die nächste Fundamentgeneration kann dann deutlich billiger werden.
Geld und Aufträge da, Überraschungen fern: Zeit der Optimierung
Die Beispiele zeigen: Plötzlich treiben in der Forschung und Entwicklung von Offshore-Windenergieanlagen Dinge voran, die auch vor vielen Jahren hätten angepackt werden können – während zweifellos ganz viele tolle technologische Entwicklungen auch schon stattgefunden haben. Auf der Windforce in Bremerhaven ließ sich spüren, woran es liegt: Die Stimmung war geprägt von nüchterner Zuversicht, weil politisch aufgrund in Gesetz gegossener nationaler Ausbaupfade keine Überraschungen mehr winken. So hat die Branche keinen plötzlichen Installationsboom zu erwarten, kann sich aber auf die abgesteckten jährlichen Installationsvolumen verlassen. Zudem ist genug Kapital für die Finanzierung da, die Finanzierungsinstrumente sind auch bei Banken anerkannt.
So scheint plötzlich wieder Zeit, sich um ganz nüchterne Fortschritte mit großen Auswirkungen zu sein. Dass die Kostensenkungsziele zu erreichen sind, ist mit „Ja, wenn …“ dann schnell beantwortet. „Ja, wenn der Zeitraum lang genug abgesteckt ist“. Die Zielmarken der Branche beziehen sich derzeit meist auf 2020. Das sollte genug sein für eine Branche, deren Technologie auf ganz viele Gewerke vom Fundamentbau über die Windturbinenherstellung bis zur Automatisierung und dem Monitoring reicht und damit genügend Stellschrauben für große Kostensenkungen besitzt.
Das sagt die Branche ja aber auch selbst.
(Tilman Weber)
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