Metropolen wie Berlin spielen für die Energiewende und den Klimaschutz eine herausragende Rolle. Sie gelten im Klimaschutz wegen ihrer großen Bevölkerungs- und Industriedichte als besonders herausfordernd, insbesondere für eine Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien. Mit einer Simulationsstudie zeigt die Energy Watch Group (EWG) für Berlin-Brandenburg, wie die Umstellung auf 100% Erneuerbare in einer Metropolregion mit stundengenauer ganzjähriger Bedarfsdeckung für alle Energiesektoren bis 2030 gelingen kann. Damit liefert die EWG den jeweiligen Landesregierungen einen konkreten politischen Orientierungsrahmen für die urbane Energiewende und die gemeinsame Umsetzung des Pariser Klimaabkommens.
Die Rolle, die Metropolen wie Berlin für den Klimaschutz zukommt, ist nicht zuletzt aufgrund ihres enormen Energieverbrauchs von zentraler Bedeutung. Bereits heute entfallen mehr als zwei Drittel der weltweiten CO2-Emissionen auf urbane Zentren — Tendenz steigend. Die alleinigen CO2-Emissionen Berlins entsprechen dem CO2-Ausstoß ganzer Länder, wie zum Beispiel Kroatiens. Somit ist auch der Beitrag, den Großstädte wie Berlin zur Lösung des Klimakrise leisten können, enorm.
Berlin und Brandenburg bilden eine gemeinsame Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Energieregion. Betont wird häufig die Vorreiterrolle, die Berlin-Brandenburg durch eine Reihe laufender und bereits umgesetzter Maßnahmen im Bereich der Energie- und Verkehrswende bundesweit schon jetzt einnehme. Um die Vision von Berlin als “grüner Hauptstadt” Wirklichkeit werden zu lassen, muss Berlin im Verbund mit Brandenburg den Ausbau Erneuerbarer Energien jedoch erheblich intensivieren und die Bemühungen um eine Verkehrs- und Wärmewende enorm forcieren. Da die Erzeugung von Erneuerbaren Energien flächenintensiv ist, kann Berlin nur in Verbindung mit den ländlichen Räumen Brandenburgs die Energiewende schaffen. So kann die Hauptstadtregion ihren Beitrag zur Einhaltung des in Paris völkerrechtlich verbindlich vereinbarten Klimazieles leisten, ohne von der Entwicklung des deutschen und europäischen Verbundnetzes abhängig bleiben zu müssen.
Denn, auch wenn die im Koalitionsvertrag der Ampel-Bundesregierung festgelegten energiepolitischen Ziele und Maßnahmen durchaus in der Lage sind, eine starke Wachstumsdynamik für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland anzustoßen, liefern sie noch nicht den Pfad zur Einhaltung der in Paris vereinbarten 1,5°C Grenze. Da nach den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Erhöhung der Erdtemperatur um 1,5°C bereits um das Jahr 2030 überschritten sein wird, kommen die Klimaschutzziele der Bundesregierung „Klimaneutralität bis 2045“ und „80% Ökostrom bis 2030“ deutlich zu spät. Erforderlich wäre, eine Null-Emissions-Wirtschaft bis 2030 zu installieren bei der 100% Erneuerbare Gesamtenergieversorgung im Zentrum steht.
Die Berliner Landesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag klar zum “Ziel der Klimaneutralität Berlins entsprechend des Pariser Klimaschutzabkommens, im Sinne des 1,5-Grad-Limits.” Es ist erklärtes Ziel der rot-grün-roten Koalition, “die Klimaneutralität schneller als gesetzlich vorgegeben” zu erreichen. Auch auf der politischen Agenda der Brandenburger Landesregierung ist der zügige Ausbau der Erneuerbaren Energien hoch angesiedelt.
Wie die Erreichung dieser Ziele für die Region Berlin-Brandenburg in der Praxis zu ökonomisch wettbewerbsfähigen Kosten bis 2030 gelingen kann, zeigt nun erstmals eine Studie der Energy Watch Group (EWG). Es handelt sich hierbei um die erste Studie, die die Energieversorgung der Metropolregion mit 100% Erneuerbaren Energien stundengenau bedarfsdeckend für alle Energiesektoren simuliert.
Die Studie quantifiziert den konkret erforderlichen Ausbaubedarf an Erzeugungs-, Umwandlungs- und Energietransportkapazitäten für Ökostrom und grünen Wasserstoff, mit denen eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien in den nächsten zehn Jahren möglich ist. Sie modelliert, mit welchem Zielsystem an Erzeugungs-, Sektorenkopplungs- und Speichertechnologien die Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien für die Bereiche Strom, Wärme, Mobilität und industrieller Energieverbrauch zu jeder Zeit des Jahres klimaschutzökonomisch gelingen kann.
Auf der Erzeugungsseite sind demnach Photovoltaikanlagen auf Gebäuden sowohl in Berlin von heute 0,1 GW auf 11,9 GW wie auch in Brandenburg von 1,1 GW auf 27 GW auszubauen. Die bereits weit entwickelten Windenergieanlagen in Brandenburg werden von heute knapp 9 GW um rund 3 GW auf 12 GW weiter ausgebaut. Damit bleibt der Windkraftausbau in der Größenordnung der aktuellen Ausbaupläne der Brandenburger Landesregierung. Dazu kommen Ausbauvolumina von Geothermie um 0,7 GW und Bioenergie auf 3,3 GW, um die Kosten für Speicherung insbesondere zur Bedarfsdeckung in Zeiten der Dunkelflaute zu begrenzen.
Der Flächenbedarf der erforderlichen Freiflächen-Photovoltaikanlagen liegt bei etwa 0,5% der Landesfläche der Region und kann durch die gemeinsame Flächennutzung von Photovoltaikanlagen und Landwirtschaft über Agri-Photovoltaik ohne Konflikte mit der Landwirtschaft optimiert werden. Der Gesamtenergieverbrauch in Berlin-Brandenburg sinkt um etwa 16% gegenüber heute, insbesondere durch den Effizienzgewinn durch E-Mobilität und Wärmepumpen gegenüber den heutigen dominanten Verbrennungsmotoren und Erdöl-, wie Erdgasheizungen.
Dabei ermöglicht das von der EWG skizzierte Energiesystem nicht nur die zur Einhaltung der 1,5–Grad-Grenze notwendige Senkung der energiebedingten Emissionen auf Null innerhalb von zehn Jahren, sondern auch eine Senkung der Energiekosten von derzeit rund 90 Euro auf 75 Euro pro Megawattstunde. Für die Errichtung der kapitalintensiven Anlagen werden insgesamt 112 Mrd. Euro benötigt. Dies entspricht einem durchschnittlichen Finanzierungsbedarf von knapp 18.400 Euro pro Kopf und sollte bei einem pro Kopf Geldvermögen von rund 95.000 Euro im Bundesdurchschnitt auch für Berlin eine finanzierbare Aufgabe darstellen. Entscheidend wird sein, durch geeignete politische Rahmensetzungen das private Kapital in bürgerlichen Händen für die Energiewende zu mobilisieren. Damit würde der Finanzbedarf der öffentlichen Hand geringgehalten.
Wie bereits bei einer vorherigen Simulation für ganz Deutschland zeigt auch die Berlin-Brandenburg-Studie der EWG: Es gibt keine Ausreden mehr. Der rasche Umstieg auf die Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien in allen Sektoren ist klimapolitisch notwendig, technisch machbar und rechnet sich sogar ökonomisch. Selbst lokale Investitionen in eine Vollversorgung mit 100% erneuerbaren Energien inklusive Speicher sind heute vielfach wettbewerbsfähig gegenüber dem Neubau konventioneller Anlagen. In wenigen Jahren werden sie sogar günstiger sein als der Betrieb von abgeschriebenen Erdgas-, Kohle- oder Atomkraftwerken.
Wer sich noch immer nicht vorstellen kann, dass eine Industrierevolution für 100% erneuerbare Energien bis 2030 realistisch ist, sollte sich einmal in der Industriegeschichte unserer Zivilisation umsehen: Eine Dekade war häufig der Zeitraum für große industrielle Veränderungen, wie etwa die Umstellung von Pferdekutschen hin zum Auto nach 1900 oder die Einführung von PCs, Laptops, Internet und Mobilfunk, die sich alle in etwa einer Dekade mit rasanten Wachstumskurven durchsetzten. Warum soll dies nicht auch für eine Transformation zu 100% erneuerbaren Energien gelingen?
Es gibt keine Blaupause für das Gelingen der urbanen Energiewende. Für die Region Berlin-Brandenburg liegt den Landesregierungen mit der Studie der EWG nun jedoch ein machbarer, wenn auch ambitionierter wissenschaftlicher Fahrplan zur Umsetzung einer integrierten Energiewende bis 2030 und damit zur Einhaltung der Vorgaben des Pariser Klimaabkommens vor.(nw)
Autor: Hans-Josef Fell, Präsident der EWG
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