Die Erzeugungskapazität der deutschen Meereswindparks wird im Zieljahr 2030 alleine wegen der verzögerten Bereitstellung der Netzanschlüsse um zehn Gigawatt (GW) geringer ausfallen als politisch und gesetzlich vorgegeben. Das lässt die neueste Statistik der Offshore-Windenergieorganisationen zum Meereswindparkbau in Deutschland erkennen. So sorgen die verspäteten Umspannplattformen Balwin 1 und Balwin 2 von Übertragungsnetzbetreiber Amprion mit jeweils erst ab 2030 und bis Ende 2031 voll zugänglichen Stromdurchleitungen bis an Land, dass zwei Windparks mit zusammen 4 GW erst 2031 komplett einspeisen können. Die verspäteten 50-Hertz-Verbindungen in Nord- und Ostsee, Lanwin 3 und Ostwind 4, verschieben jeweils zwei Gigawatt Einspeisung auf 2031 und 2032. Und Übertragungsnetzbetreiber Tennet lässt mit Balwin 3 ebenfalls zwei Gigawatt Einspeisung unterm Strich erst 2032 zu.
Verglichen mit bis dahin gemäß Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) geplanten 30 GW an Offshore-Windstromerzeugung werden Ende 2030 die vollständig in Betrieb genommenen Offshore-Windparks einstweilen nur 21,9 GW ans Netz bringen. Zu den bis heute ans deutsche Netz gebrachten 9,2 GW Offshore-Windkraft werden die Meereswindkraftunternehmen dafür bereits etwas mehr als 12 GW neu dazu gebaut haben, wie aus den Daten der Deutsche Windguard hervorgeht. Das Marktanalyseunternehmen hatte sie für die Branchenorganisationen BWE, BWO, VDMA Power Systems, Stiftung Offshore Windenergie, WAB und Wind Energy Network erhoben und am ‚Dienstag präsentiert.
Drei Offshore-Windparks fertig
BSH gibt nächsten Raum für 2,5 Gigawatt neue Offshore-Windkraft frei
Auch die dänische Ausschreibung floppt
Dabei legten die Inbetriebnahmen neuer Offshore-Windenergieanlagen nach vier mageren Jahren in Folge mit stets weniger als 0,5 GW jährlichen Zugewinns inklusive eines Kompletteinbruchs der Offshore-Windpark-Errichtungen im Jahr 2021 im jüngsten Bilanzjahr erstmals wieder zu. So gingen 73 Windenergieanlagen mit 742 Megawatt (MW) neu ans Netz – im Wesentlichen durch die komplette oder überwiegende Inbetriebnahme des Windparks Baltic Eagle in der Ostsee und Gode Wind 3 in der Nordsee. Weitere 81 Anlagen mit zusätzlich 936 MW installierten die Bauteams bereits vollständig, mussten aber deren Inbetriebnahme wegen des unpünktlichen Netzausbaus auf 2025 verschieben. Dies betraf vor allem den 913-MW-Windpark Borkum Riffgrund 3.
Ob die für Ende 2030 nun absehbare Fast-22-GW-Kapazität dann in Betrieb sein wird, ist allerdings nicht gesichert. Die Statistiker gehen hierfür von Inbetriebnahmen aller Windparks zu den nun neu vorgesehenen Fahrplänen aus, die mit 1,9 GW schon im Bau sind, für die es schon finale Investitionsentscheidungen gibt – was weitere 1,9 GW betrifft, oder für die Zuschläge aus Ausschreibungen vorliegen – was mehr als 8,4 GW einbringen würde. Hinzu kommen 0,5 GW, die 2025 für die Ausschreibungsfläche N-10.2 in der Nordsee noch einen Zuschlag bekommen und ebenfalls einen Netzanschlussanspruch noch für 2030 haben.
Die Offshore-Windenergieorganisationen ließen am Montag deutliche Schwierigkeiten darin erkennen, die Folgen des verzögerten Ausbaus für die weitere Planbarkeit des Branchen-Geschäfts zu erklären und die vorherrschenden Blockaden zu benennen: „Verzögerungen beim Netzausbau sowie eine gesetzlich festgelegte Flexibilität bei der Fertigstellung von Windparks auf See führen dazu, dass das Ausbauziel in Höhe von 30 GW voraussichtlich 2031 erreicht wird“, lautet ihre Prognose. Darüber hinaus werben sie zunächst um mehr Optimismus: „Das Ziel für 2035 von mindestens 40 GW wird hingegen bereits ein Jahr früher erfüllt.“ Als Voraussetzung dafür setzen die Branchenvertreter allgemein auf „planbare Rahmenbedingungen für die Branche“.
Ihre zusätzliche Ursachenanalyse in Bezug auf die verspäteten Netzanschlüsse zielt derweil auf nicht präzise zurechenbare außenpolitische Spannungen: Die Netzanbindungen hätten unter „geopolitisch bedingten Lieferkettenverzögerungen“ gelitten, sagte ebenfalls bei der Präsentation der Daten am Dienstag Andreas Mummert von der Stiftung Offshore Windenergie. Die Netzanbindungen seien im Flächenentwicklungsplan des zuständigen Bundesamts BSH „gut synchronisiert“ mit dem geplanten Windparkausbau. Doch die angesprochenen geopolitischen Spannungen ließen sich in den Planungen als „im Prinzip höhere Gewalt“ nicht schon vorbeugend berücksichtigen.
Der Verweis dürfte auf die militärischen Auseinandersetzungen mit Russland und den damit verbundenen Abbrüchen wirtschaftlicher Beziehungen nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine sowie auch auf Handelskonflikte mit China und möglicherweise auch Störungen der Seehandelswege infolge weiterer Konflikte gemünzt sein.
Vor allem der Wettbewerb mit chinesischen Unternehmen macht den Offshore-Windenergie-Organisationen weiterhin Sorgen. Dabei siehen zumindest die produzierenden Unternehmen der Branche laut Mummert die anhaltende Gefahr eines unfairen Wettbewerbs durch unvergleichlich günstige Produktionsbedingungen für chinesische Windturbinen und beispielsweise Unterwasserfundamente oder Elektrik als „hausgemachtes Problem“. Mummert kritisierte die Bundesregierung dafür, auch auf die Aufforderung durch die Europäische Union (EU) schon von 2023 nicht reagiert zu haben, die Ausschreibungen der Offshore-Windparkrechte mehr auf qualitative zielorientierte Kriterien auszurichten empfiehlt. Insbesondere müsse die Regierung den sogenannten Cyberschutz stärker berücksichtigen lassen und die dazugehörige Nis-2-Richtlinie durchsetzen, um mit strengen Datenschutzregelungen die elektronische Steuerung den chinesischen Unternehmen aus der Hand zu nehmen. Dies soll wohl einerseits verhindern, dass chinesische Unternehmen direkt und möglicherweise indirekt die chinesische Politik unlauteren Einblick in die Versorgungs- und Wirtschaftsdaten erhalten, andererseits soll es die Anforderungen für Chinas Unternehmen erhöhen. Anforderungen an den Umweltschutz könnten zudem werterhöhende Innovationen der Unterwasserfundamente bewirken. BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm ermahnte, die Investoren müssten auch in Zukunft auf die globale Lieferkette zugreifen können, um den großen Bedarf an Anlagen und Technologie erfüllen zu können. Dennoch müssten neue Ausschreibungsregeln die Lieferkette europäischer Technologiehersteller und Anlagenbauer stärken und wachsen lassen.
Thimm lobte in diesem Zusammenhang staatliche Bürgschaften wie die von 2024 für den Bau von Umspannstationen, das „Sonderbürgschaftsprogramm des Bundes und der Länder für den Bau von Konvertern und Konverterplattformen“. Mit derartigen Programmen will die Branche die Investitionsbereitschaft der Branche erhöhen lassen, um Vorleistungen wie Rohstoffbeschaffungen und Werkerweiterungen aufbringen zu können.
Probleme bestehen für die Branche allerdings auch in einer nicht ausgesprochenen Konkurrenz traditioneller Windenergie- oder Energieversorgerunternehmen mit Ölkonzernen. So haben Total und BP im besonders auf zusätzliche Zahlungen ausgerichteten neuen Ausschreibungssegment nicht staatlich voruntersuchter Flächen zuletzt große Windenergieentwicklungsflächen gewonnen – weil sie dafür Milliarden-Euro-Zahlungen aufbringen wollen. Die Mineralölkonzerne besäßen hier einen Vorteil, „weil sie niedrige Kapitalkosten haben“, sagte Thimm.
Als problematisch für die Sicherheit der Investitionen werten die Branchenorganisationen auch die Ausschreibung von staatlicherseits zu dicht beplanten Flächen. Stehen zu viele Windenergieanlagen auf ihnen, schatten sich die Windenergieanlagen den Wind gegenseitig ab oder blockieren Luftströmungen auf benachbarte Planungsflächen. Dies hatte zuletzt zu Ausschreibungen von Flächen mit Effizienzen von nur noch deutlich unter 3.000 statt bis zu 4.000 möglichen Volllaststunden im jährlichen Turbinenbetrieb geführt. Der BWO lobte stattdessen das vom BSH erstmals angewandte Prinzip des Overplantings: Einerseits für weniger Nennleistungen geplante Eignungsflächen dürfen hier andererseits Netzanschlüsse mit ihren Kapazitäten überlasten. Dies bedeutet, dass hier Windparks bei hoher Auslastung ihre Nennleistung nur bei übermäßig reichem Windangebot drosseln müssen, bei durchschnittlich wechselhaften Windvorkommen aber sich gegenseitig ergänzen und die Netzkapazitäten preiswert befüllen.
Der neue Flächenentwicklungsplan des BSH für 2025 von Ende Januar bestimmt diesbezüglich, dass auf den Flächen N-9.4 und N-9.5 Windparks entstehen sollen, deren installierte Leistung um 20 Prozent über die Kapazität einer gemeinsamen Netzanbindung hinausgehen soll. Im Entwurf ursprünglich noch mit jeweils 2 GW geplant sieht der Ausschreibungsfahrplan nun jeweils nur 1 GW vor. Das Overplanting am betroffenen Offshore-Netzanschluss Nor-9-4, bei Betreiber Tennet als Balwin 5 geführt und für 2032 geplant, gleicht diese Nennleistungshalbierung aber teilweise wieder aus. Den künftigen, insbesondere auch finanziellen Umgang mit dieser Regel müssen Branche, Politik und Behörden allerdings noch finden, da ohne einen Ausgleich der fürs Netz nützlichen Praxis so zunächst höhere relative Investitionskosten auf Seite der Windparkakteure entstehen.