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Sozialer Klimaschutz rückt in den Fokus

Nicole Weinhold

Wenn wir am 23. Februar zur Wahl gehen, wird die Welt eine andere sein“, begann Rainer Baake sein Statement auf einer Konferenz seiner Stiftung Klimaneutralität Ende Januar. Das war der Moment, als die meisten Zuhörenden dachten, nun werde es um Donald Trump und die Rückwärtsrolle der USA gehen. Aber weit gefehlt. Baake hat die Stiftung 2020 zusammen mit Bernhard Lorentz in der Zeit gegründet, als die Europäische Union sich auf Klimaneutralität 2050 verständigt hatte. Er sah den guten Ansatz. Und auch an dieser Stelle beschrieb er Fortschritte, die seit 2021 in der europäischen Klimapolitik erzielt wurden: Aus dem Vorhaben der CO2-Reduktion bis 2030 um 55 und bis 2050 um 100 Prozent seien viele Gesetzentwürfe der EU-Kommission hervorgegangen. „Fit for 55“ und „Green Deal“ seien wichtige Schlagworte in dem Zusammenhang. Seitdem sind im Rahmen des Green Deals eine Reihe von EU-Gesetzen beschlossen und reformiert worden, die auch für Deutschland den energie- und klimapolitischen Rahmen verbindlich prägen. Inzwischen habe sich viel getan, etwa beim Emissionshandel (ETS). „Und jetzt geht die Menge der zu versteigernden Zertifikate steil runter.“ Der Stiftungsdirektor, Grünen-Parteimitglied und ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, zeigt die geplante Absenkung der Emissionen anhand von Grafiken zum ETS.

Anders als bei der Bundestagswahl 2021 sei die deutsche Energie- und Klimapolitik heute viel stärker europäisch integriert. Mit dem Europäischen Emissionshandel für Industrie und Energiewirtschaft (ETS I) sollen die zulässigen Emissionen in diesen Sektoren von Jahr zu Jahr stark reduziert werden und noch vor 2040 den Nullpunkt erreichen. Nach 2039 werden keine Emissionsberechtigungen mehr versteigert. In der kommenden Legislaturperiode wird sich zeigen, ob Deutschland sein Zwischenziel im Jahr 2030 erreicht. Dafür müssen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 gemindert werden.

Werden die Ziele nicht erreicht, wird es richtig teuer.

Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität, zum Thema Emissionshandel

Emissionshandel für Verkehr und Gebäude

Der neu geschaffene Emissionshandel für Gebäude und Verkehr (ETS II) soll 2027 beginnen. Auch hier sollen die zulässigen Emissionen kontinuierlich sinken und 2043 den Nullpunkt erreichen. Im Ergebnis müssen die Sektoren Industrie, Energiewirtschaft, Gebäude und Verkehr in ganz Europa bis spätestens 2045 klimaneutral sein. „Das bedeutet, dass der Anpassungsdruck steigen wird“, so Baake. „Die Politik muss darauf Antworten geben.“ Steigende Zertifikatspreise könnten zum Wandel beitragen, ist sich der Grünen-Politiker sicher. Er warnt jedoch: „Die Zustimmung zum Klimaschutz kann sinken.“ Darum müssen wir jetzt umdenken. „Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass alle Menschen eine Chance haben, sich klimaverträglich zu verhalten“, betont er.

Dafür hat die Stiftung Klimaneutralität 55 Politikempfehlungen formuliert (stiftung-klima.de). Sie enthalten konkrete und umsetzbare Regelungsvorschläge zu den Themen Finanzierung, Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude sowie Landwirtschaft und Landnutzung. Sie basieren auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen und politischen Debatte zur Klimapolitik.

Angesichts der aktuellen radikalen Veränderungen in der Welt – Austritt der USA aus dem Klimaabkommen von Paris, Genehmigungsstopp für den weiteren Ausbau der Windenergie in den Staaten, radikale Rückkehr zu fossilen Energien –, angesichts eines massiven Rechtsrucks in Europa und lauter werdender Forderungen, den Green Deal zurückzunehmen, lassen sich jedoch auch auf Baakes Klimakonferenz die zweifelnden Stimmen nicht überhören: Wie lange wird der Green Deal noch Bestand haben? Für Baake ist klar: Wenn der ETS ausfallen würde, müssten die Staaten die CO2-Reduktion mit eigenen Vorgaben meistern. „Und wenn die Ziele nicht erreicht werden, wird es richtig teuer.“ Zudem glaube er nicht, dass Ursula von der Leyen vor eine Weltklimakonferenz treten werde, um zu sagen: Wir werden jetzt doch nicht der erste klimaneutrale Kontinent. Brigitte Knopf, Mitglied im Expertenrat für Klimafragen, fürchtet derweil, es werde „nicht so weitergehen mit dem ETS“. Polen und andere Staaten würden bereits von einer Verschiebung des ETS sprechen. Daher müsse sich Deutschland hier schon jetzt stark aufstellen und die Transformation angehen.

55 Politik­empfehlungen hat die Stiftung Klimaneutralität für die neue Legislatur­periode formuliert.

Einigkeit herrscht derweil über den Fokus auf sozialer Gerechtigkeit beim Klimaschutz. „Die Hitze steigt, die Leute in den Plattenbauten stöhnen: Mir ist es wichtig, dass wir ein gutes Paket für die Transformation des Energiesystems schnüren, das bei den Menschen ankommt“, stellt Brigitte Knopf fest. Den Begriff der Transformation kritisiert Julia Metz, Programmleiterin Grundsatzfragen Klima- und Industriepolitik bei Agora Industrie und Agora Energiewende, als „viel zu technokratisch“. „Dahinter stehen überall Menschen, Hausbesitzer, Mieter, Pendler …“, verweist sie. Klimaschutz müsse zudem positiver besetzt sein, etwa beim Thema Arbeitsplätze, betont Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Rats für Nachhaltigkeit und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. „Warum reden wir nicht mit den Bürgern über gute, sinnstiftende Arbeit?“ Nicht mehr 1.000 Meter unter der Erde Steinkohle zu fördern, sondern stattdessen Solaranlagen zu errichten, nennt er als ein Beispiel.

Zu der Frage, wie Bürger:innen beim Klimaschutz besser mitgenommen werden, hat die Stiftung Klimaneutralität in ihren 55 Politikempfehlungen eine ganze Reihe an Vorschlägen: sozial gestaffelte Förderprogramme, soziales Klimageld und Strompreissenkung sind nur drei Schlagworte aus dem Papier. Bleibt abzuwarten, ob sich der eine oder andere Punkt in einer deutschen Energiepolitik à la Friedrich Merz wiederfinden wird. W

Das Europäische Emissionshandelssystem ETS I sieht eine drastische Reduzierung der ­Zertifikate von jetzt über 1.200 auf null im Jahr 2039 vor.

Grafik: Stiftung Klimaneutralität, Quelle: Öko-Institut

Das Europäische Emissionshandelssystem ETS I sieht eine drastische Reduzierung der ­Zertifikate von jetzt über 1.200 auf null im Jahr 2039 vor.

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