Die Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND) hat ein Impulspapier in Auftrag gegeben, das Handlungsempfehlungen gibt, wie der Weg hin zu größtmöglicher Energiesouveränität durch erneuerbare Energien gestaltet werden kann. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass allzu große einseitige Abhängigkeiten vermieden werden müssen, wie sie der Ukrainekrieg im Zusammenhang mit russischem Gas mehr als deutlich gemacht hat. Carolin Friedemann, Geschäftsführerin von IKND, betonte bei der Vorstellung der Studie, Sicherheit-, Energie- und Verteidigungspolitik müssten künftig stärker als bisher zusammen gedacht werden.
An dieser Stelle stellen wir Ihnen fünf Ansätze aus der Studie vor, wie unsere Energieversorgung sicherer und sauberer werden könnte:
1. Übermäßige Abhängigkeiten vermeiden
Eine Lehre aus der Erfahrung energiepolitischer Erpressbarkeit durch Russland ist: die Produktion von Rohstoffen und grünen Endprodukten muss diversifiziert werden. Es gilt, übermäßige Abhängigkeiten, die geopolitisch instrumentalisiert werden könnten, zu verringern. Die Europäische Kommission schätzt, dass bei etwa sechs Prozent der Außenhandelsströme der EU strategische Abhängigkeiten bestehen. Die Hälfte dieser sechs Prozent entfällt auf China, und das Energiesystem ist ein wichtiger Teil davon. China ist zum globalen Zentrum der Verarbeitung nicht nur kritischer, sondern fast aller mineralischen und metallischen Rohstoffe avanciert, zu denen bislang keine gleichwertigen Alternativen existieren.
2. Produktionsverlagerung nach Innen – wenn möglich
Wenn Deutschland einen strategischen Ansatz verfolgt, kann es Abhängigkeiten bei erneuerbaren Energien besser managen als bei fossilen. Eine vollständige Produktionsverlagerung ins Inland ist dabei keine realistische Lösung. Die Produktionskosten für viele erneuerbare Güter sind in Europa höher als in anderen Teilen der Welt. Deutschland sollte aber eigene strategische Kapazitäten aufbauen, sich breit diversifizieren, Abhängigkeiten von wenigen Produzenten entlang der gesamten Lieferkette vermeiden und Produkte aus der ganzen Welt beziehen.
3. Diversifizierung von Lieferketten
Sicherheitspolitisch und auch ökonomisch bringt die Diversifizierung entgegen Markttendenzen mittelfristig mehr Versorgungssicherheit und damit auch geringere risikoangepasste Kosten, auch wenn sie zunächst eine Verteuerung der Energiewende bedeutet. Neben der Diversifizierung von Lieferketten sind Sicherheitskontrollen bei den Softwarecodes, die in vielen Systemen zur Erzeugung erneuerbarer Energien verwendet werden, ebenfalls von zentraler Bedeutung für die Gewährleistung von Energiesicherheit.
Mit Blick auf das strategische Leitziel größtmöglicher Energiesouveränität gilt es, die Grundspannung zwischen Wirtschaftlichkeit einerseits und Sicherheit andererseits verantwortungsvoll auszugestalten. Chinesische Solarpanels und die in China abgebauten Rohstoffe sind weltweit preisgünstig und insofern attraktiv für die schnelle Umsetzung der Energiewende. Doch Chinas veränderte geopolitische Ambitionen – wie auch das warnende russische Beispiel – machen deutlich, dass Sicherheitskriterien heute stärker gewichtet werden müssen als noch vor einigen Jahren. Eine staatlich geforderte und geförderte Diversifizierung könnte den Ausbau erneuerbarer Energien zwar kurzfristig verlangsamen und verteuern, doch sie ist notwendig, um große Risiken zu reduzieren. Mittelfristig aber wird sie die Energietransformation durch mehr Sicherheit resilienter und kosteneffizienter machen.
4. Reflektierter Umgang mit China
China ist der weltweit größte Hersteller, Exporteur und Installateur von Solarmodulen, Windturbinen und Elektrofahrzeugen. Es nimmt bei der Versorgung mit nahezu allen Rohmaterialien für saubere Energien eine starke bis beherrschende Stellung ein. In einem breiten Spektrum grüner Technologien ist China bereits heute eine globale Supermacht. China hat somit eine zentrale Rolle in der – zur Erreichung der Pariser Klimaziele entscheidenden – europäischen Energiewende, deren Dringlichkeit sich mit der Abkehr von russischen Kohle-, Öl- und Gasimporten beschleunigt hat. Die neuen Ziele der Bundesregierung erfordern nahezu eine Verdreifachung der installierten Leistung in den nächsten acht Jahren. Ohne Rohstoffe und Technologie aus China ist dies nicht zu schaffen. Aber: Um den Risiken in der Neukartierung des Energiemarktes entgegenzuwirken und strategische Handlungsoptionen entwickeln zu können, ist ein klarer Blick auf Chinas geopolitische Ambitionen erforderlich. Ebenso braucht es eine Differenzierung der Abhängigkeiten in den Wertschöpfungsketten von Schlüsseltechnologien und kritischen Rohstoffen.
5. Risiken in der Wertschöpfungskette minimieren
Chinas erklärtes Ziel ist, selbst unabhängiger von internationalen Importen und Technologietransfers zu werden und gleichzeitig die Abhängigkeit der internationalen Produktionsketten von China zu verstärken. Um die Muster alter Abhängigkeiten nicht zu wiederholen, muss die Neukartierung der Energiewende auch mit Blick auf Chinas geopolitische Interessen sicherheitspolitisch ausgestaltet werden. Bei der strategischen Ausgestaltung künftiger Energiesicherheit geht es vor allem um Zugänge zu wichtigen Mineralien, Materialien und Komponenten, die für die Herstellung erneuerbarer Energietechnologien benötigt werden. Der Aufbau sicherer, widerstandsfähiger und nachhaltiger Lieferketten wird für diese Technologien von entscheidender Bedeutung sein. Fünf Risikofelder, die auch für die künftige Energiepolitik mit China eine hohe sicherheitspolitische Relevanz haben, sind:
• kritische Mineralien: Abbau und Verarbeitung knapper Mineralien für grüne Energietechnologien sind anfällig für Versorgungsunterbrechungen aufgrund von Betriebsschwierigkeiten, monopolistischem Verhalten sowie politischem oder militärischem Aufruhr.
• kritische Komponenten: Die Versorgung grüner Energietechnologien mit kritischen Teilen, die nur von einer begrenzten Anzahl von Lieferanten bezogen werden können, muss Störungen vermeiden, die sich auf die gesamte Lieferkette auswirken würden.
• geografische Konzentration: Betriebsstörungen im Herstellerland oder geopolitische Spannungen zwischen Herstellern und Abnehmern stellen ein Risiko dar, wenn die Fertigung von Zwischen- und/oder Endprodukten grüner Technologien auf wenige Länder konzentriert ist.
• Know-how: Falls die Produktion grüner Energietechnik ins Ausland verlagert ist, müssen Abnehmer dem potenziellen Verlust von Know-how zur Herstellung dieser Technik entgegenwirken, um Versorgungsunterbrechungen bewältigen zu können.
• Cybersicherheit: Obwohl Cybersicherheitsprobleme nicht nur bei grünen Energietechnologien auftreten, hat die schnelle Entwicklung dieser Technologien und die Vernetzung der neuen Energieinfrastruktur die Cybersicherheit zu einem Hauptrisiko gemacht. (nw)