Gleich drei verschiedene Windparkbaustellen dienten im vergangenen Jahr nebenbei als überdimensionierte Freiluftbühnen der leistungsstärksten neuen deutschen Turbinenfelder des Jahres. Zumal sie aus den modernsten Anlagentypen entstanden und auch sonst Botschaften vorführten. In den Windkraftfeldern Lensahner Berg in Ostholstein, Süstedt im südlichen Bremer Umland und Gevensleben im Harzvorland waren unterschiedliche Baustadien von Großwindparks mit jeweils mehr als 80 Megawatt (MW) Nennleistung zu besichtigen.
Auffällig war die Bauzeit. Streng genommen hatten die Bauteams das 81,6-MW-Windfeld Gevensleben schon 2023 aufgestellt. Bis Juni 2024 stellten die Elektro- und Inbetriebnahmefachkräfte aber die zwölf Turbinen des aktuell für Standorte an Land leistungsstärksten Anlagentyps N163 mit 6,8 MW noch auf den Netzbetrieb ein. Auch der Bau des Windparks Süstedt hatte schon 2023 begonnen. Die meisten der geplanten 15 Anlagen des größten seriengefertigten Enercon-Modells E-160 kamen 2024 dazu. Drei Turbinen werden infolge eines Rück- und Neubaus von vier nicht zertifizierten Türmen erst in diesem Jahr in Betrieb gehen. Dann wird das 83,4-MW-Windkraftwerk vollständig. Im Projekt Lehnsahner Berg nahmen 2023 neun Anlagen des Vestas-Flaggschiffs V162 mit 6,0 MW den Betrieb auf. Fünf weitere, davon zwei auch mit 6,2 MW, folgten noch 2024. Nun sind hier 84,4 MW am Netz.
Diese Neuzugänge des deutschen Windparkbestands an Land mögen auch deshalb als Symbole fürs vergangene Windkraft-Zubaujahr dienen, weil sie die 90-MW-Größe jüngster Rekordwindparkerrichtungen im Bundesgebiet leicht unterboten. Denn mit 3,3 Gigawatt (GW) neu errichteter Erzeugungskapazität bei Installationen von mindestens 644 Anlagen blieb das Zubaujahr 2024 gemäß Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur (BNetzA) hinter dem Vorjahr leicht zurück. 2023 waren es 745 Anlagen mit 3.567 MW. Die bis Redaktionsschluss zur dritten Januarwoche verfügbaren Daten waren vorläufig, ließen aber den Trend erkennen.
3.283 Megawatt Landwindkraft kamen 2024 neu an unser Netz.
Repowering und Bürgerbeteiligung zählten
Und das Zubaujahr verkörpert das Windparktrio durch zwei weitere 2024 typische Windpark-Merkmale: Repowering und Bürgerbeteiligung. So kamen die Vestas- wie auch die Enercon-Windturbinen im Repowering gegen abgebaute, deutlich leistungsschwächere Altanlagen an ihre Standorte. Wie oft bei Repowering-Projekten haben an Lensahner Berg und Süstedt entweder unterschiedlichste örtliche Eigentümergemeinschaften oder viele Landbesitzer Anteile. Zu den beiden niedersächsischen Windparks Süstedt und Gevensleben wiederum gehören Genossenschaften zur Beteiligung der Bürger an einer Anlage. Und speziell für Gevensleben bietet das hier investierende Projektierungsunternehmen Landwind vergünstigten Strom für Anwohnende an.
Nie zuvor hatten Repowering-Vorhaben einen so großen Anteil. 37 Prozent der neu scharf gestellten Erzeugungskapazität oder 1.192 MW ergaben sich aus Windparkerrichtungen an Standorten, an denen Altanlagen verschwanden. Mehr als 220 neue ersetzten 555 abgebaute Turbinen. Wegen der stillgelegten Nennleistung von mehr als 700 MW nahm die Erzeugungskapazität der Windparks an Land unterm Strich um nur 2,5 GW netto zu.
Noch im Juli waren die Branchenverbände von Anschlüssen von bis zu 4,1 GW ausgegangen. Eigentlich hätten die Windenergieakteure nämlich das zwei Jahre vorher in einem der BNetzA-Tender mit Vergütungsrechten versehene Windparkpotenzial weitgehend ausschöpfen können. 2022 waren Zuschläge für 4,2 GW erfolgt. Die Windkraftorganisationen VDMA Power Systems im Maschinenbauverband und Bundesverband Windenergie (BWE) rechneten Mitte Januar nun vor, dass 2024 ans Netz gegangene Turbinen im Schnitt 20 Monate vom Zuschlag bis zur Inbetriebnahme gebraucht hatten, also vorrangig Zuschläge von 2022 umsetzten.
Die Branchenvertreter verweisen auf drei Verspätungsgründe: So habe der Beginn des Krieges in der Ukraine mit Folgen wie höheren Energiekosten oder neu aufzubauenden Lieferketten für Rohstoffe und Turbinenbauteile zu höheren Anlagenpreisen geführt. Ab 2022 seien „einige Projekte unwirtschaftlich“ geworden, analysiert BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek. Deren Investoren hätten Projekte umgeplant oder Zuschläge zurückgegeben. Die Unterspülung einer für Windenergielogistik wichtigen Straße bei Cuxhaven und Lieferengpässe bei Transformatoren zur Stromnetzanbindung sollen ebenso Projekte verlangsamt haben, die nun im neuen Frühjahr fertig werden. Projektierer schildern ERNEUERBARE ENERGIEN, wie marode Brücken, Autobahnbaustellen und aufwendige Straßenverkehrsgenehmigungen ihre Fahrpläne nichtig machten. Überfahrtverbote für nicht belastbare Autobahnbrücken kosteten hier bis dreimonatige Wartezeiten für Durchfahrgenehmigungen zu jedem einzelnen Ort auf Ausweichrouten.
Möglicherweise werde der Anlagentausch 2025 vorübergehend an Bedeutung verlieren, weil nun die ersten der seit 2022 gesetzlich vorgeschriebenen neuen Flächenfreigaben für Windparkprojekte durch die Bundesländer beginnen, heißt es bei den Verbänden. Große Windparks waren gleichwohl schon 2024 keine Seltenheit mehr. So gingen ein Dutzend Projekte mit mehr als 40 MW an die Netze, außerdem etwa 50 Windparks mit 20 bis knapp 40 MW. Das gelang nicht nur, weil immer leistungsstärkere Turbinen bei schon mittlerer Nennleistung der neu errichteten Anlagen von mehr als 5 MW weniger Anlagen für dieselbe Netzeinspeisung erfordern. Es gelang auch dank hoher Expertise im Zusammenbinden unterschiedlichster Flächen, lokaler Akteure und Interessengruppen – also dank gewachsener Kompetenz fürs Repowering.
Industriestrom und Elektrolyse-Reallabor
So machen nun mittelgroße Projekte wie der Windpark Hohenlimburg auf sich aufmerksam, die durch besondere Finanzierungsmodelle und konkrete Stromversorgungskonzepte vorankamen. Die vier E-138 eines neuen Windparks bei Hagen zum Beispiel lässt der Gladbecker Projektierer SL Naturenergie wie auch eine fünfte benachbarte Enercon-Anlage über eine Drei-Kilometer-Leitung direkt Strom zur Versorgung des Thyssenkrupp-Stahlwerks Hagen-Hohenlimburg liefern. Auch das 50-MW-Windkraftfeld des Energieparks Bad Lauchstädt aus acht V162-Vestas-Turbinen hat branchenweit Signalwirkung: Ein Konsortium um die Gasgroßunternehmen VNG und Uniper baut bei Halle nach dem Netzanschluss der Windturbinen derzeit einen Großelektrolyseur, der mit 30 MW mit dem Windstrom grünen Wasserstoff als Energieträger herstellen soll. In das 210 Millionen Euro teure Pilotprojekt investieren die Partner 103 Millionen Euro. Der Bund fördert es als Reallabor der Energiewende mit 34 Millionen. Und das den Windpark entwickelnde Projektierungsunternehmen Terrawatt steckt 73 Millionen Euro in die Rotoren. Im Sommer soll alles starten und den wirtschaftlichen Betrieb zwischen Netzeinspeisung und Wasserstoffproduktion nach Marktregeln lehren.
Vestas, im Vorjahr noch Deutschlandmarktführer, profitierte 2024 auch davon, dass sich die V162 weiter im Markt etabliert hat. Die Dänen konnten sie als 5,6-, 6,0- und allmählich auch 6,2-MW-Modell in die Windparks einbringen und lieferten 65 Anlagen davon aus, nach 53 im vergangenen Jahr.
5,1 Megawatt betrug in Deutschland im vergangenen Jahr die durchschnittliche Anlagennennleistung der an Land neu installierten Windturbinen.
Marktanteile: Nordex löst Vestas ab
Allerdings verlor Vestas mehr als sechs Prozentpunkte Marktanteil und trug mit gut 170 Turbinen und 920 MW noch 28 Prozent zur neu an die Netze gebrachten Erzeugungskapazität bei. Denn in der 3- bis 5-MW-Klasse des Unternehmens waren die Anschlüsse rückläufig. Während im Vorjahr noch die V150 zusammen mit der N149 von Nordex nach je 107 Installationen die am meisten errichtete Turbine war, brachte sie jetzt 77 Errichtungen ein. Dabei kann der Anlagentyp in einem Nennleistungsbereich von 4,2 bis 6,0 MW an windhöffigen Standorten viel Strom ernten. Und V136 und V126 mit bis zu 4,2 MW waren nach 47 und 42 Errichtungen im Vorjahr bestenfalls noch halb so stark.
Neuer Deutschlandmarktführer wurde Nordex. Die Hamburger machten Vorjahres-Topmodell N149 erneut zum meisterrichteten Modell des Jahres. Sie steigerten die Installationen der neuerdings bis zu 6 MW starken Anlage leicht auf 109 Neuerrichtungen. Nächstes Nordex-Topmodell wird die N163 mit bis zu 6,8 MW, in einer Variante 7,0 MW. Es kam 43 Mal zum Zuge, 17 Mal öfter als im Jahr davor.
Gemäß einem Register-Check seitens der Berliner Fachagentur (FA) Wind und Solar am 16. Januar hat das Unternehmen 1.058,9 MW betriebsbereit an Betreiberfirmen übergeben und dafür 196 Anlagen bundesweit neu errichtet. Das waren 32 Prozent der neu errichteten Nennleistung nach 28 Prozent im Vorjahr. FA Wind und Solar wertet im Auftrag von VDMA und BWE seit diesem Jahr alle Register- und Ausschreibungsdaten der BNetzA aus, um die Windparktrends des Landes aufzuspüren.
Im Unternehmen selbst begründen Marktstrategen speziell den Erfolg des N149-Modells. Weil sie die erste leistungsvariable Windturbine ihrer Größenordnung war mit Errichtungen schon 2018 hätten die Kunden besonders frühzeitig Baugenehmigungen beantragt, argumentiert Nordex-Sprecher Felix Losada. Sie ernteten nun nach einigen Aktualisierungen ihrer Technik wie eben Leistungsanhebungen die Früchte: Viele noch vor Jahren genehmigte Vorhaben werden Realität.
Der frühere Deutschlandmarktführer Enercon schob sich ebenfalls noch vor Vestas und distanzierte den dänischen Wettbewerber durch eine schiere Vielzahl neu installierter Anlagen auf Rang drei. Gemäß den vorläufigen Registereinträgen waren es 212 Windkraftmaschinen mit 981 MW – fast 30 Prozent der neuen Brutto-Windkraft.
Neue Anlagenstrategie hilft Enercon
Für Enercon dürfte es sich im vergangenen Jahr erstmals auch statistisch merklich ausgezahlt haben, mit der E-160 nachgesteuert zu haben. Das ostfriesische Unternehmen hatte nach der Prototyperrichtung 2020 stufenweise in Designreformen mit den Wettbewerbern beim Ausreizen der Modelle mit immer größeren Rotordurchmessern und rasch ansteigenden Leistungsklassen gleichgezogen. So rückte Enercon zeitgleich mit den Wettbewerbern in die Rotordimension ab 160 Meter Durchmesser und die Leistungsklasse von deutlich über fünf bis sechs und mehr Megawatt vor. Mit dem Nachfolgemodell E-175 und dessen künftig 7 MW könnten die Ostfriesen ab kommendem Jahr den Trend sogar mit anführen. Zudem stellte die Entwicklungssparte 2022 auf containerförmiges Maschinenhausdesign um, das wie bei ähnlichen neuen Containerdesigns der Wettbewerber kostengünstig ist. Verbesserungen am Generator mit dem Wechsel zu Industrie-Formspulen statt handgefertigter großer Kupferwicklungen senkten ebenfalls die Kosten bei Enercon und verkleinerten die statisch problematische Masse und Baugröße der entscheidenden Komponente der speziellen getriebelosen Enercon-Technik.
Nun war E-160 bei ebenso 77 Inbetriebnahmen wie V150 schon die dritthäufigste Anlage: mehr als das Doppelte der 31 Vorjahreserrichtungen. In der Leistungsklasse darunter steigerten die Direktantriebsspezialisten die Installationen ihres 4,2-MW-Modells E-138 und kürten es mit 92 nach vorher 76 Inbetriebnahmen zur zweithäufigsten neu gebauten Turbine.
Zwei weitere Akteure halten sich mit den Spitzenanlagen in einigen Großwindparks gerade noch im Rennen. So hielt GE mit 36 Errichtungen und 198 MW sechs Prozent. 13 neue Siemens-Gamesa-Turbinen mit 85,8 MW ergaben 2,6 Prozent.
4,8 Gigawatt bis 5,3 Gigawatt Zubau von Windkraft an Land prognostizieren VDMA Power Systems, BWE und FA Wind und Solar für 2025.
Reduzierte Portfolios: GE, Siemens Gamesa
Aus unterschiedlichen Gründen bewegen sich beide auf dem deutschen Errichtungsmarkt nur im Hintergrund. Während das amerikanische Unternehmen GE seine Strategie auf Nachfrage nicht kommuniziert, fällt seine auf nur noch ein Anlagenmodell konzentrierte Auslieferung auf. Es installierte nur GE 5.5-158. Das Modell auf seiner Cypress-Plattform war die erste Entwicklung einer Landwindturbine im Bereich von 160 Meter Rotordurchmesser und an der 5-MW-Schwelle. GE konnte in den vergangenen Jahren mit immer neuen Varianten noch punkten, weil die Projekte mit dieser Anlage weiter fortgeschritten waren als die Projekte vergleichbarer anderer Turbinen. 2020 stellte GE ein Nachfolgemodell mit 164-Meter-Rotor und 6,0 MW vor. Doch nach schon einigen bundesweiten Installationen 2023 war 2024 wieder glatte Fehlanzeige.
Siemens Gamesa errichtete nur Anlagen mit 6,6 MW Nennleistung und 170- oder 155-Meter-Rotor. Der Turbinenbauer hatte 2023 nach Schwierigkeiten mit fehlkalkulierten Turbinenkosten und Entwicklungszeiten sowie nach Qualitätsproblemen in der Fertigung den Verkauf der Plattform ab 5 MW eingestellt. Das Unternehmen arbeitet nun die Mängel auf – und senkt Kosten zum Beispiel durch Neu-Zusammenstellen der Bauteile.
Die Neuinstallationen seien vor dem Vertriebsstopp verkaufte Maschinen, deren Lieferung sich wegen vorgenommener Verbesserungen an Technik oder Material verzögert habe. So ist es aus der deutschen Firmenzentrale zu hören. In diesem Jahr will man dort den Verkauf der Plattform neu starten.
Bei den Neugenehmigungen punktete dagegen vor allem Vestas. Mit enormem Abstand meistgenehmigter Turbinentyp war V162 mit 465 Behördenzulassungen für mehr als 2.900 MW. Und auf die zweitgrößte 2024 genehmigte Erzeugungskapazität bringt es die bisher nur auf dem Prototyptestfeld Østerild installierte V172 mit auch über 2.000 MW. Angesichts eines Vestas-Marktanteils von 44 Prozent an einem Rekordvolumen 2024 im Gesamtmarkt neu genehmigter 14 GW lässt das Unternehmen durch Sprecher Yannick Kramm einen Slogan verlauten: „Vestas war Marktführer bei Errichtung, Netzanbindung, Bezuschlagung und Genehmigung von On- und Offshore-Windenergieanlagen in Deutschland zusammen genommen auch 2024.“
Wie sehr sich das 2025 auswirkt, bleibt abzuwarten. Die Verbände BWE und VDMA Power Systems gehen noch von den 2023 neu genehmigten 7,5 GW als Basis der Inbetriebnahmen im neuen Jahr aus. Sie prognostizieren 4,8 bis 5,3 GW Zubau. W
Marktanteile Hersteller
Anlagenbauer nach Marktanteil (in Prozent siehe rechts) an in Deutschland 2024 brutto zugebauter Windkraft an Land von 3.282,6 MW. Davon Nordex 1.058 MW (2022: 994,3 MW), Enercon 981 MW (866,8 MW), Vestas 910,8 MW (1.228,7 MW), GE 198 MW (258,5 MW), Siemens Gamesa
85,8 MW (183,6 MW),
Eno
27,4 MW, Vensys
6 MW, Sonstige 14,8 MW.
Quelle: Marktstammdatenregister, ausgewertet am 16.1.2025
Meisterrichtete Modelle 2024
Anzahl der erfolgreichsten neun Anlagentypen
N149 Nordex 109
E-138 Enercon 92
E-160 Enercon 77
V150 Vestas 77
V162 Vestas 64
N163 Nordex 43
GE.5.5-158 GE 36
E-115 Enercon 28
N133 Nordex 25
Marktstammdatenregister, ausgewertet am 16.1.2025
Meistgenehmigte Modelle 2024
Anzahl der erfolgreichsten neun Anlagentypen
V162 Vestas 465
E-160 Enercon 307
V172 Vestas 290
N163 Nordex 226
E-138 Enercon 209
V150 Vestas 182
N149 Nordex 167
E-175 Enercon 115
GE 5.x-158 GE 102
Marktstammdatenregister ausgewertet am 16.1.2025