Wie der Berliner Thinktank Agora Energiewende in einer Studie zur deutschen Energiebilanz für 2024 aufzeigt – „Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2024“ – hat Deutschland gemäß herangezogenen Daten von Umweltbundesamt und vom Statistikportal AGEB der Energiebranche im vergangenen Jahr kaum noch mehr als halb so viel Treibhausgase verursacht wie im Referenzjahr 1990. So ging der Ausstoß der für die Erderwärmung verantwortlichen Klimagase wie insbesondere von Kohlendioxid (CO2) um weitere drei Prozent oder 18 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente auf noch 656 Millionen Tonnen zurück. Dies führt dazu, dass Deutschland 2024 das nationale Jahresziel beim Klimaschutz um 36 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente übererfüllt.
Die im deutschen Klimaschutzgesetz von 2021 festgelegten jährlichen deutschen Emissionsminderungsziele beziehen sich auf das Referenzjahr 1990 und sehen regelmäßige Rückgänge beim Treibhausgasausstoß bis 2030 um dann 65 Prozent, bis 2040 um mindestens 88 Prozent und bis 2045 um netto 100 Prozent vor. Die jetzige Verbesserung beim Schadstoffausstoß ist der dritte Rückgang in Folge. Allerdings habe sich „der Rückgang im Vergleich zum letzten Jahr stark verlangsamt“, schreibt Agora Energiewende.
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Dass Deutschland auch im Jahr einer geplatzten Koalition und außenwirtschaftlicher Schwierigkeiten in der Energieversorgung aufgrund internationaler Krisen weiter Kurs halten kann, ist zu mehr als 80 Prozent den Fortschritten der Stromversorgung zu verdanken. Nach der Stilllegung weiterer Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 6,1 Gigawatt (GW) beziehungsweise von 16 Prozent der bisher installierten Kohlestromnennleistungen und dank insbesondere erhöhter Photovoltaikverstromung stieg der Anteil der klimaneutralen Erneuerbaren Energien an der Bruttostromversorgung auf 55 Prozent. Während die Emissionen der Energiewirtschaft insbesondere dank des Rückgangs der Kohlenutzung in den Kraftwerken um gleichfalls 18 Millionen Tonnen CO2 geringer wurden und auf noch 183 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente fielen, blieb die Gasverstromung in etwa auf demselben Niveau von 2023. Die Gasnutzung insgesamt mitsamt dem Heizen allerdings zog einen Anstieg beim Energieverbrauch von 3,3 Prozent nach sich.
Dennoch läuft manches auf dem deutschen Klimapfad weiterhin nicht stimmig. So verfehlte Deutschland erneut bei der Gebäude-Energieversorgung und der Verkehrs-Treibstoffversorgung die Klimavorgaben der Europäischen Union (EU). In der für beide Bereiche heranzuziehenden sogenannten Effort Sharing Regulation verfehlte Deutschland das Klimaziel um schätzungsweise 12 Millionen Tonnen CO₂.
Und dabei waren hier die Klimaergebnisse nur deshalb nicht schlechter, weil die Temperaturen in der Heizperiode erneut milder als gewöhnlich waren und weil die Wirtschaft und damit insbesondere die Industrieproduktion schwächelt. So wären die Heiz-Emissionen im Gebäudebereich sogar gestiegen, wäre das Wetter nicht wieder wärmer gewesen. Sie fielen tatsächlich aber dennoch nur um 2 Millionen Tonnen. Auch im Verkehr gingen die Emissionen nur um 2 Millionen Tonnen zurück, weil infolge der wirtschaftlichen Schwäche weniger Lkw fuhren. Im Vergleich zu den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes blieb der Verkehrssektor somit um 19 Millionen Tonnen schmutziger als vorgegeben. Und jenseits von Gebäude- und Verkehrssektor stiegen die Emissionen in der Industrie selbst trotz der rückläufigen Aktivitäten sogar um noch einmal 3 Millionen Tonnen an. Hierzu trug immerhin ein leichter Produktionsanstieg bei der energieintensiven Industrie wie etwa Chemie- oder Eisen- und Stahlwerken bei, während andererseits zugleich die Zementklinkerproduktion, das Kalkbrennen und de Aluminiumproduktion rückläufig waren.
Durch die verfehlten EU-Zielvorgaben, so warnt Agora Energiewende, müsse Deutschland nun Emissionsrechte von anderen Mitgliedsstaaten dazukaufen um hohe Strafzahlungen an die EU zu vermeiden.
Klimaschutzinvestitionen für privaten Verkehr, aber auch für Wärmeversorgung gehen zurück
Agora-Energiewende verweist auch auf einen auffälligen Stillstand bei Klimaschutzinvestitionen außerhalb des direkten Energiesektors. So gingen der Absatz von Wärmepumpen und auch die Neuzulassungen von Elektro-Pkw im Jahresvergleich um 44 beziehungsweise 26 Prozent sehr deutlich zurück, sicherlich aufgrund plötzlich gestrichener staatlicher Förderungen. „Ein zentraler Grund für den Mangel an strukturellem Klimaschutz in den Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr ist die Verunsicherung bei Haushalten und Unternehmen“, interpretiert dies Agora-Energiewende-Direktor Simon Müller. „Diese führte zu einer allgemeinen Investitionszurückhaltung – trotz 2024 insgesamt rückläufiger Stromkosten“.
Wie groß der CO2-Ausstoß auch bei einer geringfügig wachsenden Wirtschaft ausgefallen wäre oder inwiefern die zunehmend wichtigen Erdgas-Kraftwerke auf Basis hoher Emissionen verursachender Flüssiggaslieferungen und Fracking-Förderung sich negativ fürs Klima auswirkten, ist in der Bilanz nicht verrechnet. Tatsächlich ist der Rückgang der konventionellen Stromerzeugung um 11 Prozent sehr kräftig ausgefallen. Zugleich jedoch sieht die von der Berliner Denkfabrik genutzte Treibhausgasbilanzierung gemäß der nationalen Klimaberichterstattung eine Verrechnung nach dem sogenannten Territorialprinzip vor. Sie schreibt die Emissionen sowohl aus dem Fracking, als auch aus dem Energieeinsatz zur Verflüssigung des Erdgases für Schiffstransporte und den Schifffahrten den Förderländern zu. Nur was hierzulande noch für die Regasifizierung anfällt, geht demnach in die deutsche Bilanz ein wie ebenso natürlich die direkte Gasverbrennung.
Eine neue Entwicklung ist auch die 2023 begonnene deutliche Zunahme der Stromimporte, die 2024 erstmals einen Anteil an der Versorgung von 5 Prozent erreichten. Als Treibhausgaseffekt wirkt sich dies allerdings offenbar kaum aus. Der einfließende Strom stammt nämlich ebenfalls schon zu 49 Prozent aus grünen Quellen, allerdings auch weiterhin zu einem Viertel aus Kernenergie.