„Die Energiewende wird ohne Wilhelmshaven nicht funktionieren“, erklärte Carsten Feist, Oberbürgermeister der Stadt an der Nordwestküste des Jadebusens, jetzt auf einer Presseveranstaltung in Berlin. Dort stellte die Initiative Energy-Hub Port of Wilhelmshaven die wesentlichen Erkenntnisse der von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IST durchgeführten Untersuchung „Industrielles Wasserstoffcluster Wilhelmshaven“ vor. Und natürlich ist man als Oberbürgermeister auch der oberste Rührer der Werbetrommel einer Stadt. Immerhin hatte Wilhelmshaven es nicht leicht in der Vergangenheit: In den 1970er Jahren lag die Einwohnerzahl noch bei über 100.000. Sie sank wegen Firmenschließungen wie der des Olympia-Schreibmaschinenwerkes und wegen der Verkleinerung des Bundeswehrstandortes auf heute 75.000. Dann der als Geisterhafen verschriene Jade-Weser-Port. Die Hafenkaje des Jade-Weser-Port wurde als Tiefwasserhafen westlich neben der Ölpier Niedersachsenbrücke an der Innenjade mit finanzieller Unterstützung der Länder Bremen und Niedersachsen gebaut und 2012 offiziell in Betrieb genommen. Ausgelegt ist er für 2,7 Millionen Container jährlich - 2014 wurden lediglich 67.000 Container abgefertigt. Aber die Auslastung hat sich inzwischen deutlich verbessert. Gleichwohl – Wilhelmshaven könnte mit seinen Häfen deutlich besser da stehen. Zum Beispiel, wenn es im Rahmen der Energiewende eine wesentliche Rolle zugewiesen bekäme. Und genau das haben vor zwei Jahren eine Reihe von Unternehmen mit Unterstützung von Politik und Wissenschaft selbst in die Hand genommen. Es ging darum zu prüfen, inwiefern die Region zum Energiecluster für die Energiewende aufgebaut werden könnte – mit Ausrichtung auf Wasserstoffförderung und -speicherung.
Mit 16 Partnerunternehmen und Unterstützung der Wirtschaftsförderung Wilhelmshaven hat die Dena dann gemeinsam mit dem Fraunhofer IST eigene Analysen durchgeführt und intensiv mit den Stakeholdern validiert. Das Ergebnis ist ein Strategiedokument, das einen beschleunigten Transformationspfad für die Region Wilhelmshaven als integriertes, klimaneutrales Energiecluster, zu einer Drehscheibe für erneuerbare Energien und klimafreundlichen Wasserstoff – dem “Energy Hub Port of Wilhelmshaven” beschreibt.
Dafür entstehen Elektrolyseprojekte in Küstennähe und Häfen werden als Importvektor für Wasserstoff zu einem wichtigen Baustein der Energiewende. Gleichzeitig braucht es mit dem Wandel zur Elektrifizierung von Anwendungen und dem Import von Wasserstoff und Derivaten einen neuen Ansatz zur Versorgungssicherheit. Ein Fazit aus der Dena-Studie: Schon 2030 könnte die Hälfte der gesamten Wasserstoffversorgung Deutschlands über Wilhelmshaven gehen.
Die Studie der Dena identifiziert Synergien zwischen einzelnen Unternehmensprojekten rund um den Standort Wilhelmshaven, bettet sie in ein übergeordnetes Gesamtkonzept ein und leitet Handlungsempfehlungen für die Wasserstoffstrategie ab. Alle Erkenntnisse stellt der Energy-Hub Port of Wilhelmshaven in einer umfangreichen Broschüre zur Verfügung. „An der Küste wissen wir, wie wichtig Leuchttürme sind. Wilhelmshaven kann so ein Leuchtturm für die Energiewende sein und nicht nur regional, sondern auch international mit guten Ideen vorangehen. Dieses Potenzial ergreifen wir gemeinsam“, sagt Uwe Oppitz, Sprecher Energy-Hub Port of Wilhelmshaven und Geschäftsführer des an der Initiative beteiligten Unternehmens Rhenus Ports.
Niedersachsens rühriger Umweltminister Olaf Lies erklärte auf der Pressekonferenz in Berlin, mit der Initiative wolle man „einen riesigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Wir übernehmen in Wilhelmhaven ein Stück nationale Verantwortung.“ Er verwies auf die Gaslieferstopp noch Polen und Bulgarien aus Russland und räumte ein, dass Deutschland keine Chance auf eine Versorgung hätte, wenn es jetzt ebenfalls einen Lieferstopp erleben würde. „Darum besteht jetzt die Notwendigkeit, Gas aus Russland zu substituieren.“ Schon 2025 könne Niedersachsen russisches Gas substituieren.
Im Rahmen einer hybriden Veranstaltung mit rund 200 Besuchern diskutierten die Podiumsteilnehmer dann wiederum eifrig um ein alten Thema: Wieviel Wasserstoff muss überhaupt importiert werden? Unabhängigkeit von Importen ist derzeit das Gebot der Stunde. Aber Olaf Lies erinnerte daran, dass erneuerbare Energie, die hierzulande sauberen Strom liefern sollen, nicht doppelt verplant werden dürfen: Der Stromsektor benötigt reichlich Erneuerbare, aber auch für Mobilität und Wärme ist der Bedarf an Regenerativstrom riesig. „Erneuerbare Energien sind erstmal für die Stromproduktion“, betonte Lies. Grünes Gas könne über den Seeweg importiert werden. Wie auch andere Diskutanten forderte er von der Bundesregierung, Hürden für den Wasserstoff abzubauen – etwa durch die Festlegung, dass er grün sein müsse. Hier gibt es naturgemäß unterschiedliche Auffassungen. Wichtig sei es laut Lies auch, dass die Wasserstoffinfrastruktur sinnvoll ausgebaut werde – etwa so, dass man aus einem sonnenreichen europäischen Land wie Spanien Wasserstoff aus PV nach Deutschland bringen könne. Planungen für eine H2-Leitungsinfrastruktur bestehen bereits.
Die Initiative Energy-Hub Port of Wilhelmshaven könnte die Potenziale der Region zur Etablierung eines Wasserstoff-Clusters tatsächlich heben. Wenn es nach den Mitgliedern der Initiative und auch nach Oberbürgermeister Carsten Feist ginge, würde „Wilhelmshaven zur Wasserstoffhauptstadt Deutschlands werden“. Ziel ist es, einen Austausch mit Unternehmen der gesamten potenziellen Wasserstoff-Wertschöpfungskette – vom Import, der Erzeugung, der Speicherung, dem Transport bis hin zum Verbrauch – zu führen.
Das Cluster soll zahlreiche Wasserstoffprojekte der beteiligten Unternehmen als Basis beinhalten. Sie könnten die Vorteile des Hafens mit guter Verfügbarkeit bereits erschlossener Flächen und sehr guter nautischer Erreichbarkeit nutzen. Über den Hafen kann schon in wenigen Jahren Wasserstoff in der Form von Ammoniak und synthetischem Methan in großen Mengen über den Seeweg importiert werden. Mit der bestehenden Infrastruktur und Logistikkapazitäten können auch Power-to-Liquid Produkte, z.B. für die Chemieindustrie und den Flugverkehr, importiert werden. Der Energy Hub könnte ein Schlüsselstandort für den Import von Wasserstoffderivaten werden. Er würde den Hochlauf einer internationalen Wasserstoffwirtschaft in Europa mit seiner Anbindung an die industriellen Zentren des Kontinents beschleunigen.
Neben dem Import soll lokal produziert werden: Es sind bis 2030 Elektrolyseure mit einer Gesamtleistung von 1,1 GW geplant. Insgesamt könnten so schon im Jahr 2030 über 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs durch die Importe und Eigenerzeugung im Energy Hub gedeckt werden. Kavernenspeicher gewährleisten die Versorgungssicherheit - auch für Wasserstoff.
Weitertransport und die Speicherung des Wasserstoffs sollen über den Anschluss von Wilhelmshaven an das Wasserstofffernleitungsnetz erfolgen. So könnte der produzierte Wasserstoff in ganz Deutschland und Europa eingesetzt werden. Die bestehenden Kavernenspeicher für Öl und Gas in der Region mit weit über 100 Salzkavernen könnten zunehmend auf Wasserstoffspeicherung umgestellt werden und decken dann mit mehr als 22,5 TWh über die Hälfte des deutschen Wasserstoffspeicherbedarfs.
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien durch Wind onshore und offshore, Photovoltaik und Biomasse nimmt in der Strategie ebenfalls eine wichtige Rolle ein. Offshore-Strom landet demnach in Wilhelmshaven an und eine geplante sogenannte Neu-Connect-Leitung wird eine Verbindung zum britischen Stromnetz herstellen. Der Interkonnektor – Baustart könnte noch in diesem Jahr sein – wird die erste direkte Stromverbindung zwischen Deutschland und Großbritannien und verbindet dann zwei der größten Energiemärkte Europas. Über 720 km Unterseekabel sollen eine unsichtbare Autobahn bilden, die es ermöglicht, bis zu 1,4 GW Strom in beide Richtungen zu transportieren – genug, um bis zu 1,5 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen.
Landeinwärts ermöglichen die Elektrolyseure der Region eine netzdienliche Integration der erneuerbaren Energie. Perspektivisch kann der Energy Hub mit dem Transport oder der Konversion von CO2 einen weiteren Beitrag zur Energiewende leisten, insbesondere mit der stofflichen Verwertung von biogenem CO2 als Senke.