Sie fordern ein neues Ausschreibungs- und damit auch Vergütungssystem für neue Offshore-Windparks. Es soll den Netzanschluss an Land mit einbeziehen. Was wäre für Sie als Projektierer und Betreiber der große Vorteil im Vergleich zu vorher?
Volker Malmen: Es wäre an der Zeit, den Ansatz des Wettbewerbs, wie er heutzutage in Deutschland und in vielen anderen Ländern geführt wird, anders darzustellen. Bisher werden als Folge des Ausschreibungssystems in Deutschland Projekte nach einer vorgegebener Erzeugungskapazität ausgeschrieben und geplant. Das Volumen dieser Kapazität richtet sich nach der Anschlussfähigkeit des Stromnetzes an Land. Unser Interesse hingegen ist ein anderes: Wir als Investoren oder Projektierer wollen im Gegensatz dazu in erster Linie die uns zur Verfügung stehende Projektierungsfläche optimal nutzen. Damit wir das können, müssten wir aber auch in die Lage versetzt werden, den Netzanschluss selbst zu bauen und damit die für unsere Kapazitäten benötigten Einspeisemöglichkeiten bereit zu stellen. Der Vorteil wäre nämlich, dass sich dann im Netzanschluss verschiedene Lösungsmöglichkeiten integrieren ließen.
Heute können wir Investoren zwar auch schon in Stromspeicher investieren – oder in Power-to-X-Anlagen …
Also Anlagen zur Produktion von Energieträgern wie Wasserstoff oder Warmwasser oder Biogas aus überschüssigem Wind- oder Sonnenstrom. Dessen Erzeugung würden die Netzbetreiber zum Schutz der Leitungen sonst stoppen.
Volker Malmen: … Allerdings könnten wir als Betreiber dann für unsere Einspeisung aus dem Windpark oder für die Umwandlung von überschüssigem Strom nur aufs öffentliche Netz zugreifen. Demzufolge hätten wir keinen Einfluss darauf, ob ein Windpark wegen Netzüberlastung heruntergeregelt wird oder vielleicht dank alternativer Einspeisung in eine Power-to-Gas-Anlage nicht. Das Problem ist maßgeblich: Im Durchschnitt wird ein Windpark in der Nordsee um jährlich acht bis zehn Prozent gedrosselt. Hinzu kommt ein weiteres: Auf den Projektierungsflächen wie bei unserem Windpark Borkum Riffgrund 1 haben wir bis im Herbst 2015 konkret 78 Windräder à vier MW, also 312 MW installiert. Doch schon ein gutes Jahr zuvor stand unserer Branche eine Acht-MW-Windenergieanlage zur Verfügung. …
… die Vestas-Windturbine V164, deren Prototyp im Frühjahr 2014 die erste Kilowattstunde erntete …
Volker Malmen: Mit Acht-MW-Turbinen hätten wir theoretisch auf derselben Fläche mit derselben Anzahl von 78 Turbinen die Erzeugungskapazität verdoppeln können, auf dann 624 MW. Rein rechnerisch hätte sich das dort installieren lassen – wenn man einmal die Windschatteneffekte durch die größeren Turbinen nicht berücksichtigt. Aber aufgrund der langfristigen Planungsvorlaufzeiten, die uns die Bundesnetzagentur zugunsten der Planbarkeit bei ihren Netzanschlussarbeiten vorgibt, konnten wir die Kapazität nicht erhöhen. Außerdem hätte das Netz dort womöglich so viel mehr Einspeisung nicht ertragen. Oder nehmen Sie das zweite Beispiel, der jetzt im Bau befindliche 450-MW-Windpark Borkum Riffgrund 2. Das vorher für viel mehr und kleinere Windturbinen geplante Projekt bestücken wir stattdessen mit nur noch 56 Anlagen der V164-8-MW und halten damit die von der Netzplanung gesetzte Kapazitätsgrenze von 450 MW ein. Wir nutzen damit aber weniger Fläche, als wir in diesem Projekt nutzen könnten. Mit etwas mehr V164 wären mindestens 550 MW statt 450 MW im Windfeld von Borkum Riffgrund 2 sicherlich möglich. Das gilt auch noch, wenn wir von einer höheren Windströmungs-Abschattungsgefahr ausgehen und daher ausreichend größere Abstände zwischen den Anlagen planen.
Das System in England beispielsweise sieht hingegen vor, dass wir Investoren unseren Netzanschluss selbst bauen. Hierdurch haben wir Zugang zum Netz an Land und zur Onshore-Substation, zur dortigen Umspannstation. Durch diesen Deshalb konnten wir zuletzt für unseren Windpark Burbo Bank eine Zwei-MW-Batterie zum Ausgleichen von Lastspitzen an diesem Netzanschluss einbauen und sie seither betreiben.
Unser deutsches System hingegen ist auch sonst nicht komplett zeitgemäß. Wir haben aufgrund verbesserter technischer Möglichkeit die Idee, mit einem Netzanschluss an Land verschiedene Windparks direkt anzubinden. Die jetzigen Netzanschlüsse im Meer haben hingegen dafür nicht ausreichend hohe Kapazität. Der Standardnetzanschluss bei Tennet beträgt 900 MW und verlangt parkinterne Extra-Umspannstationen, um Konflikte zwischen sonst am Netzanschluss beteiligten verschiedenen Parteien auszuweichen.
Sie loben aber auch die Entwicklung unter den jetzigen Ausschreibungsregeln. So bezeichnen sie die von Ihnen nun drei Mal in Deutschland für ein Offshore-Windpark-Projekt erreichten „Null-Cent-Zuschläge“ als Erfolg eines “ehrlichen Gebots“. Die von Ihnen hier angebotene Einspeisung ohne jeglichen Vergütungsausgleich durch den Netzbetreiber auch bei bis auf Null fallenden Preisen im Börsenstromhandel nutze gut kalkuliert das Wirtschaftlichkeitspotenzial der Projekte aus.
Volker Malmen: Wir sind ein Pionier der Offshore-Windkraft. Aber als solcher sind wir auch verpflichtet, über den Tellerrand hinauszuschauen. Ich muss die Zukunft ausmalen, wie sich das heutige Geschäft auch für uns ändert. War es in Deutschland bisher nur so, dass wir unsere Offshore-Windparks an eine Substation im Meer angeschlossen haben, und in die hat der Netzbetreiber dann noch sein Kabel reingesteckt, brauche ich künftig eine Substation mitsamt Anschluss für Speicher und Power-to-X an Land. So entsteht ein super flexibles Netz …
… was dann also natürlich auch wieder die Kosten senken würde …
Volker Malmen: Im bisherigen Netzbetrieb entstehen konkrete Ideen hierzu erst gar nicht. Hinzu kommt, dass die Kalkulation für die Null-Cent-Gebote natürlich die Verfügbarkeit von ertragsstärkeren Windrädern mit einer Nennleistung von 13 bis 15 MW annimmt im Vergleich zu den heute oder demnächst höchstens acht bis knapp zehn MW leistenden Anlagen. Wir haben in enger Absprache mit den Turbinenbauern alle drei Möglichkeiten durchgespielt – die Nutzung von 13-, 14- oder 15-MW-Anlagen. Wir haben zudem die Zugangsmöglichkeiten zu den Windturbinen erhöht – mit besseren Schiffen oder mit beispielsweise Service-Stationen in Schiffen oder auf Inseln. Außerdem haben wir inzwischen bessere Konzepte in Wartung, Überwachung und Bau der Anlagen und werden diese weiter verbessern. Null-Cent-Gebote sind aber weiterhin die Ausnahme. Wir haben Null-Cent-Angebote nur für Windparks geben können, die aufgrund einer exponierten Lage in der Nordsee nicht in einem Windschatten von Nachbarwindparks liegen und bei denen wir Synergien mit angrenzenden Standorten heben können.
Letztlich dürften aber doch zumindest die Turbinenbauer immer ein Unsicherheitsfaktor bleiben: Wie sicher ist es, dass die von Ihnen eingepreiste Entwicklung noch effizienterer Windturbinen dann auf dem Markt sind, wenn Sie wie geplant in fünf oder noch mehr Jahren diese Windparks bauen?
Volker Malmen: Wenn Sie vor drei bis vier Jahren gefragt hätten, ob wir 2016 erste Sechs-MW-Anlagen aufstellen, hätten Sie das als genauso ungewiss bezeichnen können. Und wenn Sie uns 2013 gesagt hätten, dass wir in diesem Jahr schon den ersten Offshore-Windpark in Deutschland mit Acht-MW-Anlagen errichten, hätte das sich vielleicht „verrückt“ angehört. Aber wir haben inzwischen sehr viele eigene Kenntnisse als Ørsted gewonnen. Sie finden ja alle existierenden Windturbinen-Technologien in unseren Windparks. Wir kennen jede Generation von Offshore-Windenergieanlagen. Und diese Kenntnisse haben wir bei der Kalkulation unserer Angebote und der zu erwartenden, zur Verfügung stehenden Windturbinentechnik genutzt. Wir haben uns mit den Turbinenlieferanten zusammengesetzt und im Detail die Möglichkeiten abgewogen …
Ørsted hat 2017 trotz Umsatzrückgang des Gesamtkonzerns wieder ein deutliches Wachstum beim sogenannten Ebit erzielt, dem operativen Gewinn vor Steuern und Zinsen. Zu diesem Gewinnwachstum kann aber doch Ihr Offshore-Windenergie-Geschäft bei weiteren Null-Cent-Netzanschlusszuschlägen nichts mehr beitragen!? Oder wollen Sie hier ein Plus nur noch durch die pure Masse an bezuschlagten Erzeugungskapazitäten erreichen?
Volker Malmen: Künftig wächst das Ebit, weil es sich bei Windkraft um eine inzwischen reife Industrie handelt, die nicht mehr auf den Return on Investment einzelner Projekte schauen muss. Wir sind eine erwachsene Industrie geworden, die gewisse Risiken schon beherrschen, aber auch weiteres Verbesserungspotenzial bergen kann. Es ist ein sehr gutes Investment sagen die Investoren …
Könnten Sie sich Null-Angebote auch leisten, ohne auch Energieversorger zu sein? Oder bringt Ihnen Ihre Rolle als Versorger von Endkunden oder als Direktvermarkter die entscheidenden Vorteile, weil Sie von einem Projektzuschlag insgesamt als Konzern profitieren können?
Volker Malmen: Grundsätzlich gilt: Wir sind tatsächlich weiterhin wichtiger Energieversorger in Dänemark. Dort gehört das Direktkundengeschäft in unser Portfolio. Aber unsere Strategie ist es auch dort, nicht bloß Versorger zu sein. In Deutschland wollen wir hingegen Unternehmen anbieten, dass wir ihre Energiebilanz optimieren und über PPA, über langfristige Stromlieferverträge, diesen anbieten, von uns grüne Energie zu beziehen.
Das Gespräch führte Tilman Weber