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Kommentar

Habeck für Auswärtigen Ausschuss, aber wozu?

Ob bei der für diesen Donnerstag angesetzten Vorstellung der Frühjahrsprojektion zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, bei der Konferenz des polnischen Industrieministeriums im schlesischen Kattowitz schon am Mittwoch zu „Energiesicherheit“ und zur Übergangsphase der Kohlewirtschaftsregionen unseres Nachbarlandes oder am Tag nach dem Tod des Papstes: Dass der unterlegene Kanzlerkandidat von Bündnis 90/Die Grünen sich ganz aktuell betont außenpolitisch äußert, lässt sich schwer in Abrede stellen.

Gemäß einer von der Nachrichtenagentur DPA verbreiteten Meldung der Wirtschaftszeitung Handelsblatt wird der noch amtierende Bundeswirtschaftsminister am frühen Donnerstagnachmittag über ein glattes Nullwachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Ergebnis der Projektion berichten, die die jüngsten Prognosen eines 0,3-Prozent-Plus des BIP endgültig nach unten korrigiert. Als Hauptgrund hierfür werde Habeck die Zollpolitik des neuen rechtspopulistischen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump heranziehen, heißt es im Handelsblattartikel gestützt auf Quellen in Regierungskreisen. Von seinem Kurztrip in die schlesische Provinzhauptstadt ließ sich Habeck am Mittwoch schon damit zitieren, dass er die US-Amerikaner vor Verhandlungen zur Zukunft der zwei durch einen Sprengstoffanschlag gekappten Ostseepipelines über die Köpfe der Europäer hinweg warne. Die „Nordstream“-Röhren hatten Deutschland bis 2022 mit russischem Erdgas versorgt. Den Tod des bei vielen Menschen weltweit beliebten Papstes Franziskus hatte Habeck schon am Dienstag im Stile eines Chefdiplomaten bedacht – wenigstens protokollgerecht einen Tag nach dem Bundespräsidenten, aber sehr offiziös auf der Homepage des Ministeriums: „Der Tod von Papst Franziskus erfüllt uns mit großer Trauer …, seine kompromisslose Solidarität mit allen, die Schutz und Beistand bitter nötig haben, hat den Menschen in aller Welt Halt und Orientierung gegeben“.

Tilman Weber

Nicole Weinhold

Tilman Weber

Indirekt bestätigen diese drei Botschaften des Grünen-Stars die von ihm selbst noch unbestätigte Ankündigung der Grünen-Fraktionschefin Britta Hasselmann vom vergangenen Freitag: Habeck werde nach seiner Ministerzeit entgegen ersten Gerüchten nicht den Bundestag verlassen, aber statt der klimagerechten Transformation der deutschen Wirtschaft künftig einen diplomatischen Spezialauftrag erledigen. Er wechsle in den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Dort werde er sich „in Absprache mit uns – … um das Verhältnis Deutschland-USA kümmern“.

Was Habeck wirklich tun wird, bleibt abzuwarten – bis er sich zu seinen nächsten politischen Absichten äußert. Zeit ist es aber offenbar, nun Bilanz zu ziehen, was der charismatische Politiker für die Energiewende Deutschlands und Europas bedeutete.

Vorweg: Auch jene Unterstützergruppe mag nicht mehr darüber wissen, die derzeit unter dem Namen Habeck4Future für ein Weitermachen des Norddeutschen als aktuell vermutlich prominentester, charismatischster und parteiintern beliebtester Grüner wirbt. Sie hat über eine Onlinepetition seit der verlorenen Bundestagswahl fast 500.000 Unterschriften für den Verbleib Habecks an vorderster politischer Front gesammelt. Sie trommelt über Instagramm fleißig für eine zweite Kanzlerkandidatur spätestens nach Ablauf der vollen nächsten Legislaturperiode 2029. Auffällig unauffällig bedient sie mit verschiedenen vergangenen Habeck-Zitaten dessen mögliche Umorientierung, indem sie halb klima- und energiewendepolitische, halb geopolitische Habeck-Botschaften verbreitet. Etwa so: „Die Energiewende macht uns resilienter, Europa macht uns stärker. Beides ist in dieser Zeit zentral.“ Oder gegen Trumpsche verbale Übergriffe aufs nördliche Nachbarland der USA gerichtet: „Kanada und die Europäische Union passen gut zusammen – und in Zukunft vielleicht noch besser.“ Oder ein Osterbotschaftsfilmchen mit einer Stellungnahme gegen Russlands autokratischen Präsidenten Wladimir Putin.

Der Noch-Bundeswirtschaftsminister lässt vor der Wahl des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) im Bundestag und bis zum Amtsantritt des neuen CDU/CSU-SPD-Kabinetts die Habeck4Future-Aktivisten gewähren. Das wirft freilich Fragen auf: Ist Habeck a) kühl steuernder, b) bescheiden und pflichtbewusst das Moment zum Handeln abwartender oder c) tragisch getriebener Akteur? Ist er eine Kombination aus a) und c), auch wenn der ehemalige schleswig-holsteinische Umweltpolitiker vermutlich gerne als der weitsichtige und dann tatkräftige Verantwortungspolitiker wahrgenommen werden will, als Kategorie b)? Was wollte er am Anfang seiner Amtszeit, was hat er für Energiewende und Klimapolitik erreicht und was sollte er für sie noch tun?

Schon jetzt lässt sich weitgehend unbestritten festhalten: Noch nie zuvor hat ein deutscher Bundesminister, zumal ein Wirtschaftsminister, so klar, tatkräftig, aus einem Guss und sogar mit anhaltend geduldiger Flexibilität im Nachsteuern seine Politik erfolgreich angeschoben. Das Jahr 2022 und noch 2023 und 2024 waren geprägt von umfangreichen Reformen für die Energiewende. Gut vorbereitet ließ Habeck ab dem Frühjahr 2022 Entwürfe für das 500 Seiten dicke, im Wesentlichen fünf Gesetze reformierende sogenannte Osterpaket ins Parlament einbringen und schon Anfang Juli verabschieden, ein Dreivierteljahr nach der Bundestagswahl. Es folgten Neuregelungen wie das Windenergie-an-Land-Gesetz am 20. Juli, die Reform des Bundesnaturschutzgesetzes zugunsten des Erneuerbaren-Ausbaus, die Rücknahme der Mehrgewinnabschöpfung bei Grünstromerzeugern infolge der vom Ukrainekrieg ausgelösten galoppierenden Stromhandelspreise im Juni 2023, jeweils Mitte 2024 das Solarpaket 1 mitsamt Einführung von Projektplanungsbeschleunigungsgebieten zugunsten des Repowerings/der Erneuerung bestehender Erneuerbaren-Anlagenparks, die Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes für schnellere Genehmigungsverfahren bei Wind- und Photovoltaikanlagen. Ende 2024 folgte das Biogaspaket zur flexiblen Biomasse-Stromversorgung.   

Außerdem gehen auf das Minister-Konto: Neue Klimaschutzziele. Neue Erneuerbaren-Ausbauziele einer Verdreifachung der installierten Erzeugungskapazitäten bei Wind- und Solarkraft. Erste Wasserstoff-Ausbauziele für Grünstrom-Elektrolyseure mitsamt Planung eines staatlich kofinanzierten Kernnetzes zum Transport des klimaneutralen Treibstoffs für Verkehr und für Industrieprozesse.

Es sei dahingestellt, wie viel das für die Politik wichtige Team an Experten wie dem nach einer persönlichen Verfehlung zum Ausscheiden aus dem Amt gezwungenen Staatssekretär Patrick Graichen hierzu beitrug. Der Gründer der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende, Graichen, gilt aber auch als Kopf des verunglückten Heizungsgesetzes, das Habeck viel Ärger eingebracht hatte. Aufgrund des russischen Angriffs im Krieg gegen die Ukraine im März 2022 und der Abnabelung Deutschlands vom russischen Erdgas hatte die Koalition aus SPD, Grünen, FDP das ohnehin seit 2019 vorgesehene Heizungsgesetz um auf 2024 vorziehen wollen, und das Ministerium wollte bei Neubauten auch Gasheizungen nicht mehr erlauben, dafür fast nur noch Wärmepumpen oder Fernwärme, um so den vorgeschriebenen 65-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien am Heizen zu erreichen. Das hatte ebenso viel Unmut bei Hausbesitzenden gesorgt wie im selben Jahr bei Bauern die Absicht, die Agrardieselsteuerprivilegien zu streichen.

Habeck verlor hierbei Glaubwürdigkeit. Es dürften weniger als öffentlich diskutiert, das von ihm und seiner Partei beschworene Kriegsunglück und die energiepolitischen Schlussfolgerungen der Regierung hierzu beigetragen haben. Weniger auch die schon in Staatskasse wie in den inflationsgeplagten privaten Haushalten spürbare finanzielle Einengung selbst, weniger die Polemik der bösen AFD und des Oppositionsführers Merz mit rechts- oder wertepopulistischen Angriffen bis hin zum durch Merz per Bundesverfassungsgericht bewirkten Finanzierungsstopp für Energiewende-Fördergelder aus dem Klimafonds. Eher war da das vielleicht ja nicht nur unrichtige Gefühl, dass hier ein Minister normalen Bürgerinnen und Bürgern viel zumuten will, um klimapolitisch Bilanzen zu schönen, die militärischen wie Handelskonflikten und den Erfordernissen eines Burgfriedens in Ampelkoalition und der auseinanderstrebenden Europäischen Union (EU) zum Opfer fielen.

Statt sich für das Auszahlen des versprochenen KIimageldes als Ausgleich für energiesparende Bürger einzusetzen, die bis 2025 gemäß einem Gesetz immer mehr für Emissionszertifikate für ihren Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) beim Heizen und Autofahren bezahlen müssen, galten offenbar gerade auch außenpolitische Prioritäten. Unvergessen ist sein Kotau vor einem Scheich in Katar, um aus dem menschenrechtsnachlässigen Emirat teures Flüssig-Erdgas (LNG) unter hohem Energieverbrauch und vermutlich auch CO2-Ausstoß auf Jahre nach Deutschland zu bestellen dürfen. Oder der Bau teurer LNG-Terminals, staatlich finanziert, zur Anlandung auch des kürzlich noch umweltpolitisch aus vielen Gründen verabscheuten Frackinggases aus den USA. Oder die rasch zunehmenden Fantasiezahlen zur sehr teuren Produktion grünen Wasserstoffs (H2) – mit dem Verweis, diese künftig aus anderen Kontinenten wieder per Schiff oder neuer noch zu bauender Pipelines zu bauen sowie das H2 in hierzulande zu errichtenden neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerken zu verstromen.

Die Absicherung einer neuen Gasversorgung gelang Habeck. Er aber verlegte sich lieber aufs Erklären vermeintlich unzweideutiger Zusammenhänge und klimapolitischer Notwendigkeiten sowie alternierend aufs Verurteilen unbelehrbarer politischer Gruppen, als wirklich transparent seine energiepolitischen Visionen zu verteidigen. Dazu hätte er auch auf die Gefahr seines eigenen Scheiterns hin freilich sagen müssen, was denn anderes als die Energiewende so teuer ist: von der Ampelkoalition aus außenpolitischen Gründen unterstützte Doppelstrukturen – neue Pipelines und Kraftwerke, doppelter Ausbau der Erneuerbaren ohne schon ausreichende Stromnetzkapazitäten, um die grüne Wasserstofferzeugung viel schneller zu bekommen oder um neue Rechenzentren zur Schaffung künstlicher Intelligenz (KI) zu haben. KI braucht es für eine effiziente Steuerung dezentraler wetterabhängiger Stromerzeugung, aber zum Beispiel auch wiederum für militärische Zwecke oder zur Aufdeckung eventueller Wirtschaftsspionage in den Handelskriegen.

Nicht zu vergessen ist auch der vom Bundeswirtschaftsminister mit getragene wenig sanfte außenpolitische Druck der EU auf Lieferländer für die Rohstoffe zum Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen oder für Batterien oder die plötzliche Subventionierung großer Unternehmen und gar ausländischer Konzerne, um ihre Produktion für hiesige Wertschöpfung zu sichern. So solle sich EU-Europa gegen andere Weltregionen behaupten, hieß plötzlich die Devise. Im Wesentlichen scheiterten die Subventionen, weil die Unternehmen sich doch lieber in den schon damals protektionistischeren USA niederließen.     

So verriet der charismatische Minister immer wieder auch ein wenig die Energiewende zugunsten seiner persönlichen Ambitionen. Durchs Mitschwimmen im außenpolitischen Strom auf auch im Wortsinne die Kosten der Bevölkerung sicherte er sich die sprichwörtliche politische Beinfreiheit. Sie nutzte er teils, um ein wenig mehr Energiewende zuzulassen, aber eben auch Doppelstrukturen, etwa in der EU für deren plötzliche Förderung der nicht Energiewende-kompatiblen Atomkraft.

Ironischerweise hatte Habeck bereits im Wahlkampf seiner Kollegin Annalena Baerbock plötzlich einen Frontbesuch schon im Noch-Bürgerkriegsland bei nur militärischer Einmischung Russlands, aber noch vor dem russischen Einmarsch veranstaltet. Er zeigte sich in Helm und Schutzweste. Ob Zufall oder nicht: Von diesem Besuch an in Begleitung von Rüstungsunternehmen im April sanken die Zustimmungswerte der bündnisgrünen Wahlkämpfer von 28 auf dann im September-Ergebnis knapp 15 Prozent. Hatte er zum damaligen Zeitpunkt noch einige in der Grünen-Klientel verschreckt? Vier Jahre später im Wahlkampf ließ er sich zum Spruch hinreißen, Baerbock, die aufgrund ihrer Bedeutung für die Grünen als weibliche Kanzlerkandidatin damals Vorrang vor seiner Kandidatur erhielt, habe 2021 eigentlich nur einen Elfmeter verwandeln müssen. Sie habe ihn verschossen, ließ er seine Zuhörer von selbst schlussfolgern. Im Februar 2025 schnitt er dann als Kanzlerkandidat mit nur 11,6 Prozent ab. Der Absturz war vom Zeitpunkt seiner erfolgreichen Osterpaket-Reformen an mit damals 25 Prozent Grünen-Zustimmung genauso tief wie der Annalena Baerbocks im Jahr 2021.

Erinnert sei an dieser Stelle an den früheren tragischen Grünenhelden Joschka Fischer als ehemaliger rebellischer Turnschuh-Umweltminister in Hessen, der über den Umweg als Außenminister nach seinem Ausscheiden zum Erklärer US-amerikanischer Politik-Volten geworden ist. Beide mögen sie an den ebenfalls Ex-Außenminister und früheren Popbeauftragten und sozialdemokratischen Instinktpolitiker Sigmar Gabriel erinnern, der als Atlantikbrückenchef derzeit dasselbe macht.

Wird Habeck nun ebenso dieser Spur folgen? Will er symbolisch im Kampfanzug in den Außenpolitik-Ausschuss, um gegen Trump mit vermeintlich liberalen US-Politikern zusammenzuarbeiten und eine angeblich bessere Politik gegen China und Russland und für ein irgendwie starkes Europa zu vertreten – während die nächste Bundesregierung vom Neustart der Energiewende faselt?

Warum zieht das Modell Klaus Töpfer nicht mehr? Der Christdemokrat war nach seiner Zeit als Umweltminister in den 1990-er Jahren, in der er die Weltklimakonferenzen mit angestoßen hatte, ins Umweltprogramm der Uno gewechselt. Dort hatte er als Exekutivdirektor und steter Mahner für Umwelt- und Klimaschutz weitergewirkt, als zunehmend glaubwürdiges Gesicht der Energiewende. Wäre es undenkbar, wenn Habeck zum Beispiel einen Thinktank für glaubwürdige Energiewende auf EU-Ebene gründete – oder als neuer politischer Frontmann die Agora-Energiewende dazu umbaute?

Man wird ja wohl außenpolitisch auch mal mitphantasieren dürfen.

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