Der Energie-Ministerrat der Europäischen Union (EU) hat mehrheitlich ein Windenergie-Statut unterzeichnet, das neue Ausschreibungsregeln in den EU-Mitgliedsstaaten mit nicht-preislichen, qualitativen Kriterien vorsieht und damit unfairen Wettbewerb durch Industrieunternehmen aus Nicht-EU-Staaten ausschließen soll. Als Leitlinie gibt das aus zwei DinA-4-Seiten bestehende Dokument vor, dass die EU-Länder den Wettbewerb im Windenergieausbau aktiv beobachten und gegebenenfalls Maßnahmen gegen die Gefahr unlauteren Wettbewerbs aus dem internationalen Markt für alle „Windenergie-bezogenen Produkte“ ergreifen. Bei Investitionen in den Windenergiesektor sollen sie miteinander im Rahmen der EU-Regularien von 2019 zu ausländischen Direktinvestitionen kooperieren, die bereits generell eine kritische Überprüfung der finanziellen Engagements von Unternehmen oder Akteuren aus dem Nicht-EU-Ausland in EU-Ländern vorsehen, um solche bei Widerspruch zu wichtigen EU-Interessen zu unterbinden.
Das nun von 24 der 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie von Windenergieunternehmen und Interessenverbänden dieser Erneuerbare-Energien-Branche unterzeichnete Statut und von insgesamt 26 Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Ungarns bestätigte Statut – European Wind Charter genannt, frei übersetzt also Europäische Windenergie-Charta – plädiert für eine „resiliente (widerstandsfähige), nachhaltige und wettbewerbsfähige EU-Windenergie-Lieferkette“. Sie sei die notwendige Voraussetzung dafür, dass die EU wie von ihr vorgesehen ihre jährliche Zubaurate neuer Windenergiekapazitäten verdoppelt und eine sichere Zulieferkette beziehungsweise eine ausreichende Verfügbarkeit von Anlagen und Dienstleistungen garantiert.
Die Auktionen sollen gemäß der Charta im Detail „die Produktion von Windturbinen hoher Qualität mit hohen Standards zu Umweltschutz, Innovationen, digitaler Sicherheit und Arbeitsbedingungen“ fördern. Dafür müssten die Länder unter anderem „gut designte, objektive, transparente, nicht diskriminierende Nicht-Preis-Kriterien einführen, die außer den schon genannten Zielen für die Turbinenproduktion auch die Fähigkeit der Anlagenhersteller oder auch Projektierer berücksichtigen müssten, das Versprochene auch liefern zu können.
Die EU-Minister und die EU-Chefbehörde Europäische Kommission, die das Statut eingebracht hatte, folgen damit weitgehend den Forderungen aus der Windenergiebranche, die sich einen Schutz gegen Import von Windturbinen aus China erhoffen. Zwar konnten chinesische Windturbinenhersteller bisher mit ganz wenigen Ausnahmen noch keine Windturbinen in Europa installieren. Dennoch fürchtet die europäische Windenergieindustrie genau das, die unter einem Preis- und Kostendruck leidet und die chinesischen Wettbewerber durch staatliche Zuschüsse mit unfairen Wettbewerbsvorteilen ausgestattet wähnt. Der Preis- und Kostendruck – infolge rigider Ausschreibungsregeln, die nur auf den Preis oder gar auf Zahlungen für Projektrechte durch die Projektierenden und die Investoren setzen, infolge der Energiekostenexplosion seit dem Ukrainekrieg und infolge von Lieferkettenproblemen auch durch internationale Handelsstreitigkeiten – macht den europäischen Turbinenbauern derzeit schwer zu schaffen. Das Turbinengeschäft selbst macht Verluste. Manche Unternehmen wie Siemens Gamesa schrieben zuletzt tiefrote Zahlen. Weltmarktführer Vestas legte zwar eine positive Herbstbilanz vor. Allerdings war das Plus einzig dem guten Ergebnis des weiterhin lukrativen Servicegeschäfts zu verdanken, die Produktion und Lieferung der Turbinen blieb trotz wieder anziehender Turbinenpreise verursachte noch leichte Verluste.
Das EU-Statut zur Windenergie nennt China an keiner einzigen Stelle. Doch insbesondere die genannten Kriterien zur digitalen Sicherheit oder auch zu den guten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Lieferkette dürften auf den Wettbewerb aus Fernost zielen. Beispielsweise können die Sensorik und die elektronische Computer-gestützte Steuerung der Windenergieanlagen auch digitale Angriffe von außen ermöglichen. Die EU äußert hier insbesondere immer wieder den Verdacht gegen chinesische Elektronik, sie lasse sich durch den chinesischen Staat von außen manipulieren oder zum Ausspähen europäischer Wirtschaftsunternehmen nutzen.
Ausschreibungsregeln sollen auch Inflationsnachteile für Windenergieindustrie einhegen
Zusätzlich verlangt das EU-Windenergie-Statut auch, dass die Länder in die Regeln ihrer künftigen Ausschreibungen ein Hedging gegen die Inflation und Preisinstabilität einbauen. Manche Ausschreibungssysteme sehen das bereits vor: Eine bezuschlagte Vergütungshöhe wird dann nach dem Bau des Windparks auf einem um die Inflation und Kostenentwicklung bereinigten Niveau ausgezahlt. Sind Preise oder Kosten beim Bau der Windparks anders – also derzeit meist höher – als zum Zeitpunkt der Ausschreibung, steigt entsprechend die für beispielsweise 20 Jahre geltende Vergütungshöhe anteilig an.
Der EU-Ministerrat verabschiedete außerdem eine Erklärung seiner Mitgliedsstaaten, wie viel Windkraft sie im nächsten Dreijahreszeitraum 2024 bis 2026 errichten wollen.
2030 schon 111 Gigawatt offshore?
Möglicherweise bestätigten die Energieminister über die Charta auch die im Oktober von der EU-Kommission in ihrem European Wind Power Action Plan – Europäischer Windenergie-Handlungssplan – vorgegebene neue Zielsetzung zum Ausbau der Meereswindkraft. Demnach sollten die EU-Länder bis 2030 in all ihren Meeresgebieten zusammen eine Offshore-Windkraft-Stromerzeugung mit 111 Gigawatt (GW) erreichen. 2020 hatte die EU noch 60 GW Offshore-Windkraft bis 2030 vorgesehen. Das im Ministerrat unterzeichnete Statut erwähnt das 111-GW-Ziel nicht, erklärt aber, die Windenergiecharta baue auf dem Wind Power Action Plan auf.
Hier finden Sie die European Wind Charter!