Die „zentrale Überlebensfrage“ hatte Felix Banaszak am Sonntag im TV-Duell der beiden vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Topkandidaten für die nächste Kanzlerschaft gewerteten Männer vermisst. Der amtierende Kanzler von der SPD und sein Herausforderer von der CDU hatten sich eineinhalb Stunden lang über unterschiedlichste Themen gestritten, nicht aber ihre Positionen für den Klimaschutz klargestellt. „Es wurde nicht über Klimaschutz gesprochen, obwohl wir in jedem Jahr neue Extremwert-Ereignisse in immer schlimmerer Intensität und immer intensiverer Abfolge erleben“, ließ sich der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen am Montagvormittag von der Nachrichtenagentur DPA zitieren.
„Wir haben gestern ein spannendes Duell zwischen dem Gestern und dem Vorgestern erleben dürfen“, sagte der Chef der Grünen-Partei, die bekanntlich mit Robert Habeck ihrerseits einen Kanzlerkandidaten stellt. Die Zukunft aber habe in dem eineinhalbstündigen Austausch der Positionen von Amtsträger Olaf Scholz und CDU-Vorsitzendem Friedrich Merz nicht stattgefunden. Beiden sei Klima kein Thema für ihre Bewerbung beim Wahlvolk gewesen, betonte Banaszak sinngemäß.
Der Grünen-Chef landet damit einen Volltreffer, auch wenn dieser in Teilen die beiden Moderatorinnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner von ARD und ZDF miterfasst. Sie fragten nicht nach dem Klima.
Allerdings hat die Sache auch einen Haken, der auf Banaszak und die ihrem Programm nach berechtigterweise als Klimaschutzpartei aufretenden Grünen zurückschlägt.
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Nicole Weinhold
Banaszaks Kritik ist nämlich erstaunlich flach, wenig tiefgründig und daher erkenntnisarm. Um das zu erklären, darf hier kurz ausgeholt werden. Es spielt keine Rolle, dass der neue Mann in der Grünen-Parteiführung eine kurze aber bemerkenswert klare Positionierung von Scholz im TV-Duell für einen starken schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und gegen die Kernkraft unter den Tisch fallen lässt. Ob Banaszak die Energiewende für weniger wichtig als den Klimaschutz oder für ein jeweils sprichwörtliches zweites Paar Stiefel ohne Zusammenhang zum im Schuhregal vermutlich daneben abzustellenden 1,5-Grad-Ziel von Paris hält, sei hier ebensowenig von Belang.
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Wichtiger ist aber schon, wie Banaszak die Klimathema-Abstinenz der beiden Vortänzer der ehemaligen alleinigen Volksparteien erklärt. So hätten die beiden offenbar lieber eine halbe Stunde lang über Migration gesprochen, sich darin zu übertrumpfen versucht, wer der „härteste Knochen“ sei und am schnellsten Menschen abschiebe, die vor Krieg und Hunger fliehen. Wohl nicht zufällig ließ Banaszak jedoch eines unter den Tisch fallen: Dass beide genau gestoppt 20 Minuten über die harte Begrenzung von Zuwanderung und Flüchtlingsankünften in Deutschland, vor allem aber mindestens genauso lang über Aufrüstung und die militärische Unterstützung der Ukraine im Krieg und über Geldquellen für die beabsichtigten Ausgaben für die Bundeswehr sprachen.
Die Grünen und ihr Kanzlerkandidat hatten den vormaligen Landesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen des für die Partei-Machtbasis wichtigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen im November für den Neustart in den Wahlkampf geholt. Als frische Kraft soll Banaszak nach dem Ampelaus und einem Rücktritt der Partei-Doppelspitze zusammen mit Franziska Brandtner das Profil prägen. Übrigens ist Brandtner aus dem für die Grünen machtpolitisch aktuell noch genauso wichtigen Baden-Württemberg. In beiden Ländern regieren die Grünen mit der CDU und besetzen bedeutende Regierungsämter wie die Wirtschaftsministerin in NRW oder gar den Ministerpräsidenten selbst in Bawü.
Doch als Banaszak am 8. Januar in der Talkshow Markus Lanz im ZDF zwei Mal sieben und einmal fünf Minuten lang zu Wort kam, sprach auch er nicht vom Klima. Dabei hatte ihn Markus Lanz mehr oder weniger direkt danach gefragt. Fast spöttisch und mit einem kurzen trockenen Lacher hatte Lanz zuerst die teilnehmende Wirtschaftsprofessorin zu einer Kritik aufgefordert – an der ihm offenbar merkwürdig anmutenden deutschen Zurückhaltung bei dreckigen Energietechnologien wie dem Fracking von Erdgas und der Gewinnung sogenannter seltener Erden für Grünstrom-Generatoren. Während der Abbau seltener Erden nur viel Verschmutzung der Umwelt und Gesundheitsgefahren für die Rohstoffarbeiter riskiert, kommt beim Gasfracken durch Chemikalien noch ein Treibhauseffekt-reicher Methanausstoß dazu.
Leiste sich Deutschland bei dieser bisherigen Abstinenz zu viel und falschen Klima- oder Umweltschutz, fragte er indirekt dann den Grünen-Chef – „weil häufig ökologische um nicht zu sagen ideologische Bedenken im Weg stehen“? Und: „Könnte es sein, dass Sie da ganz alte und sehr vertraute, lieb gewordene Positionen plötzlich räumen müssen?“
Banaszak aber brachte das Wort Klima in seiner ersten Sieben-Minuten-Antwort kein einziges Mal unter und in einer nächsten Sieben-Minuten-Redebeteiligung kurz danach nur einmal. Bevor er etwas zu Fracking oder auch dem (hoch umstrittenen und vom Bundeswirtschaftsminister Habeck inzwischen nicht mehr opponierten) Verpressen von abgefangenem CO2 unter dem Meeresboden sage, entgegnete Banaszek, müsse er über anderes reden. Die aktuelle „Dimension der Bedrohung, Dimension der Veränderungen“ sei „ja offensichtlich noch wesentlich größer“ als andere Themen, deutete er an. Banaszak wollte lieber über von ihm so eingestufte militärische und strategische Bedrohungen durch Russland, China und die USA unter dem isolationistischen Neu-Präsidenten Donald Trump reden. Und dass hier auch militärische und strategische Antworten zu finden seien, die Fragen nach beispielsweise dem Fracking zweitrangig machten. Auch auf die mehrmalige Nachfrage, ob er das klimaschädliche Fracking zur Absicherung der Energieversorgung in diesen Zeiten befürworte, antwortete er nicht klimapolitisch. Das werde nicht notwendig sein, sprach der Grünenchef. Und weil Lanz nicht lockerließ, legte er nach, wenn es rein hypothetisch doch für die Sicherheit der Energieversorgung erforderlich würde, durchaus ja.
Das Beispiel – und dass Banaszak die Dominanz der militärischen Themen auch im TV-Duell Scholz-Merz übersah, zeigen aber eines: Krieg, Ringen um wirtschaftlich-strategischen Einfluss und Militär behindern das Nachdenken und Politikmachen für den Klimaschutz aktuell ganz direkt. Dem tut keinen Abbruch, dass auch das Nacheifern von AFD-Forderungen gegen Flüchtlinge und Einwanderung mitschuld ist. Beides ist eine Falle für die Klimaschutzpolitik, in die auch eine Klimaschutzpartei tappt. Dass da lieber keiner darüber reden will, ändert daran nichts.