Vermeintlich sind es harmlose Hashtags: #Verbrenneraus, #Tempolimit, #Wärmepumpe, #Atomausstieg, #Windenergie. Doch wer sich mit diesen Themen auf Social-Media-Kanälen exponiert, erlebt oft verbale Gewalt bis hin zu Morddrohungen.
„Man kann schon fast sagen: Wenn es keinen Shitstorm gibt, ist es kein guter Post“, sagt Volker Quaschning lakonisch. Der Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin gehört zu den prominentesten Gesichtern der Energiewende mit entsprechender Reichweite auf den unterschiedlichsten Kanälen: 80.000 Abonnenten auf Youtube, 32.000 Follower auf Instagram, je 130.000 auf X und Linkedin. Reagiert wird schnell und viel. Die Kommentare sind dabei – je nach Plattform – konstruktiv bis beleidigend. Vor allem auf X schlägt die Stimmung schnell in verbale Gewalt um. Und: Je größer die Reichweite des Posts, desto brutaler und verletzender sind die Kommentare. „Das ist wie der Broken-Window-Effekt“, hat Quaschning beobachtet. „Wenn erst mal eine Scheibe eingeschlagen ist, gibt es kein Halten mehr.“
Der Wissenschaftler ist mit diesen Erfahrungen kein Einzelfall. Eine aktuelle Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) unter rund 2.600 Forschenden ergab, dass 45 Prozent von ihnen schon einmal Anfeindungen erlebt haben. Diese sind häufig ideologisch motiviert, ergab die Studie: Je aktueller und politisch umstrittener das Forschungsfeld ist, desto eher werden Wissenschaftler angefeindet.
Verbale Gewalt und Einschüchterungen beschränken sich nicht nur auf Klimaforscher, sondern treffen auch prominente Akteure der Zivilgesellschaft. So erlebte die Autorin Katja Diehl, die sich für die Mobilitätswende engagiert, im Februar 2023 nach einem Fernsehauftritt einen Shitstorm auf X mit bis zu 230 hasserfüllten Tweets pro Stunde, wie die Hilfsorganisation Hate Aid ermittelte. Diehl sah sich gezwungen, ihren Account zwischenzeitlich zu deaktivieren – was zum Triumph der Täter führte: „Sie wollte anderen das Fahrzeug und das Eigenheim nehmen. Jetzt haben wir ihr die Redefreiheit genommen. LERNEN DURCH SCHMERZEN“, zitiert Hate Aid einen Tweet vom 20. Februar 2023.
Wenn erst mal eine Scheibe eingeschlagen ist, gibt es kein Halten mehr.
Facebook-Gruppe mit Gewaltfantasien
Auch Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), hat schon viele Shitstorms erlebt. Drohungen online, aber auch real, seien keine Seltenheit, berichtet er. „Es gibt beispielsweise eine Facebook-Gruppe ,Stoppt die Deutsche Umwelthilfe‘ mit mehr als 50.000 Mitgliedern, in der Gewaltfantasien ausgelebt werden: ,Dieses grüne Schwein ist unerträglich. Gibt es denn nirgendwo mehr einen guten Scharfschützen?‘“ Sogar Briefsendungen mit weißem Pulver oder eine Patrone seien ihm schon zugeschickt worden. „Dabei vertreten wir in puncto Tempolimit, Atomausstieg und Klimaschutz die Mehrheitsmeinung“, betont Resch.
Ziel der Hasskommentare sei es, die sichtbaren Protagonisten der Energiewende einzuschüchtern, ist Volker Quaschning überzeugt. Jürgen Resch befürchtet, die engagierte Zivilgesellschaft solle mundtot gemacht werden. „In der Folge engagieren sich immer weniger Menschen, ob für den Gemeinderat, für Naturschutz, die Energiewende oder für Flüchtlinge.“ Nataliia Sokolovska, Forschungsleiterin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, das die DZHW-Studie koordinierte, warnt vor den Folgen für die Wissenschaft: „Anfeindungen und Diskreditierungskampagnen können zur Selbstzensur unter Forschenden führen. Im schlimmsten Fall wird dann unter großem Druck zu wichtigen Themen nicht mehr geforscht, etwa im Bereich Klimawandel.“
Motiviert wird der Onlinehass gegen Klimaforschende und -aktivsten vor allem aus dem rechten politischen Spektrum. Bereits 2021 beobachtete eine Studie des Institute for Strategic Dialogue ISD Germany im Vorfeld der damaligen Bundestagswahlen im Netz eine Stilisierung der Klimadebatte vonseiten rechter Nutzer zum sogenannten „Kulturkampf“: Klimaschutzmaßnahmen wurden als vermeintliche Bedrohung für den Lebensstil der Wähler dargestellt. Vor allem Akteure aus der AFD und andere aus dem rechten Spektrum schürten so bewusst Ängste in der Bevölkerung, indem sie Feindbilder projizierten, Fakten zum Klimawandel bewusst verzerrt darstellten oder auch konsequent ignorierten, ermittelten die Wissenschaftler.
Auch Jürgen Resch macht die AFD für Gruppen wie „Stoppt die Deutsche Umwelthilfe“ verantwortlich, sie sei deren „politischer Arm“. Doch auch konservative Politiker wie Friedrich Merz oder Markus Söder seien mit ihren Forderungen nach einer Abschaffung des Verbandsklagerechts und Streichung der Gemeinnützigkeit der DUH Wegbereiter populistischer Forderungen. „Seit Monaten beobachten wir, wie die Attacken zunehmen, aus der Union, von rechten Populisten, aus der Wirtschaft.“
45 Prozent von 2.600 Forschenden haben laut einer Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung bereits Anfeindungen erlebt.
Hassposts müssen gelöscht werden
Doch einschüchtern lassen wollen sich weder Wissenschaftler noch Aktivisten. Katja Diehl war nur kurz offline: „Ich erlebe immer wieder überbordenden Hass gegen mich, eine Soloselbstständige. Aber ich bin immer noch hier“, sagt sie Hate Aid. „Das verdanke ich meinem Umfeld und meiner intrinsischen Motivation – einem kleinen Gerechtigkeitskraftwerk, das mich jeden Tag an der Veränderung arbeiten lässt.“ Sie brauche aber in Zeiten, in denen sie bedroht werde, die Solidarität anderer Menschen. „Und vor allem: ein Rechtssystem, das Betroffene und nicht die Täter:innen schützt.“
Volker Quaschning fordert mehr Engagement der Plattformen, Hassposts von sich aus zu löschen, statt auf Beschwerden der Betroffenen zu reagieren – oder auch nicht. „Allzu oft bekommen die Hater eher noch Bestätigung, wenn die Plattformbetreiber entscheiden, dass ein Post doch in Ordnung ist“, kritisiert er. Klare gesetzliche Unterscheidungen zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung seien nötig, ebenso ein Bußgeld für Plattformbetreiber, die nicht reagieren.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch verlangt mehr Opferschutz und eine schnellere Reaktion der Polizei bei Strafanzeigen, beispielsweise durch eine sofortige Gefährderansprache in jedem Fall. „Wir bringen jede Gewaltandrohung zur Anzeige“, betont er. Die DUH führt zudem derzeit eine Musterklage gegen Meta als Facebook-Betreiberin. „Wir wollen erreichen, dass Foren im Internet, in denen regelmäßig zur Gewalt und Mord aufgerufen wird, verboten werden“, sagt Resch. Denn es bestehe immer die Gefahr, dass aus Kommentaren wie „Wann werden diese linksradikalen Abmahnterroristen endlich eliminiert?“ reale Taten würden.
Und auch wenn es „nur“ online bleibt – Beleidigungen, Beschimpfungen gehen nicht spurlos an den Betroffenen vorbei, selbst wenn sie, wie Volker Quaschning sagt, „ein dickes Fell“ haben. Kommentare auf X lese er schon gar nicht mehr. Vertreiben lassen will er sich derzeit trotzdem nicht: „Es wäre doch katastrophal, wenn sich diese Leute durchsetzen. Ich poste weiter auf X, auch um dort die Blasen zu stören und sie wenigstens ab und zu mal mit einem anderen Denkansatz zu konfrontieren.“