Die im Golf-Kooperationsrat (GCC) zusammengeschlossenen Staaten am Persischen Golf haben das Potenzial, zu einer weltweit führenden Region für Produktion und Einsatz von grünem Wasserstoff zu werden. Das zeigt eine Studie, die von Dii Desert Energy gemeinsam mit Roland Berger vorgelegt wurde. Seit 19. Juni 2020 ist Stefan Kaufmann Innovationsbeauftragter Grüner Wasserstoff beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Unter eine Ampelkoalition wird es hier sicher Veränderungen geben, Experte für Wasserstoff bleibt er auf jeden Fall.
Warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien in Nordafrika anzustoßen?
Stefan Kaufmann: Deutschland importiert heute rund 70 Prozent seiner Primärenergie. An unserer Importabhängigkeit wird sich beim Umstieg auf die Erneuerbaren voraussichtlich nicht viel ändern. Wir werden also – ebenso wie andere Industrienationen – auch im Wasserstoffzeitalter Energie importieren müssen. Statt fossiler Energie kann das dann jedoch nur erneuerbare Energie sein. Grüner Wasserstoff, den wir aus erneuerbaren Strom herstellen können, ist als universaler Energieträger hervorragend dazu geeignet, diesen Import zu ermöglichen.
Viele Regionen Afrikas – nicht nur der Norden – bieten sehr gute Bedingungen für die Wasserstofferzeugung. Wir haben erst vor wenigen Wochen eine Wasserstoffpartnerschaft mit Namibia geschlossen. Die ersten Ergebnisse des vom Bundesforschungsministerium geförderten Potenzialatlas für grünen Wasserstoff in Afrika zeigen allein für die westafrikanischen ECOWAS-Staaten ein Erzeugungspotenzial von 165.000 Terawattstunden grüner Wasserstoff. Das ist das 1.500-fache unseres für 2030 angenommenen Wasserstoffbedarfs von 90-110 Terawattstunden.
Lieferpartnerschaften mit Afrika für grünen Wasserstoff sind also eine Jahrhundertchance für beiden Seiten: Die Länder Afrikas können als grüne Ölstaaten neue Exportmärkte erschließen und zugleich die eigenen Energieversorgung dekarbonisieren, Deutschland kann seine Energieversorgung diversifizieren und zum weltweit führenden Ausrüster für grüne Wasserstofftechnologien werden. Das ist ein Win-win-Geschäft par exellence.
Wie beurteilen Sie dem gegenüber Überlegungen, grünen Wasserstoff lieber nur in Europa zu produzieren? Vielleicht mit Offshore-Inseln?
Wir in Europa brauchen grünen Wasserstoff, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Er ist ein Schlüsselelement, um den Industriestandort Europa klimaneutral und so fit für die Zukunft zu machen. Denken Sie etwa an die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung oder von Chemie- und Zementindustrie. Auch im Flug- und Seeverkehr wird es ohne synthetische Kraftstoffe aus grünem Wasserstoff nicht gehen.
Aus diesem Grund sind wir gut beraten, verschiedene Optionen für eine sichere, stabile und zugleich wettbewerbsfähige Versorgung mit grünem Wasserstoff in den Blick zu nehmen. Daher sollten wir nicht zögern, engagiert die Erzeugungspotenziale für grünen Wasserstoff etwa in Südeuropa oder im Nordseeraum zu erschließen. Das wäre ein deutliches Signal an die Welt: Europa macht ernst!
Diese Kapazitäten werden aber voraussichtlich nicht ausreichen, um den europäischen Bedarf zu decken. Heute wird mehr als die Hälfte der Energie in der Europäischen Union importiert. Deshalb setzen wir im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie von Beginn an und ganz bewusst auch auf den Aufbau internationaler Lieferpartnerschaften, zum Beispiel mit afrikanischen und südamerikanischen Staaten, mit Australien oder Kanada. Nur gemeinsam können wir einen globalen Markt für grünen Wasserstoff schaffen – das gilt für Europa und Deutschland gleichermaßen.
Ist der Transport von Nordafrika nach Europa nicht zu ineffizient?
Die Frage des Transports stellt sich beim Aufbau internationaler Lieferpartnerschaften praktisch sofort – sie spielt in unseren Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten eine wichtige Rolle. So sind erste Ergebnisse der vom Bundesforschungsministerium geförderten Machbarkeitsstudie HySupply zum Wasserstoffimport aus Australien vielversprechend. Selbst bei dieser wirklich langen Seeroute machen die Transportkosten voraussichtlich nur einen geringen Anteil der Gesamtkosten der Wasserstofflieferkette aus – es geht um etwa zwei bis fünf Prozent. Im Übrigen dürfen wir nicht vergessen, dass die Produktion von grünem Wasserstoff in Konkurrenz zu anderen Stromabnehmern steht. Diese sind im Zweifel bereit, viel mehr für ihren Strom zu zahlen. Da kann der Wasserstoffimport aus Regionen mit niedrigen Stromkosten für Erneuerbare schnell zu einem lohnenswerten Geschäft werden.
Ist das Konzept, grünen Wasserstoff in Nordafrika zu produzieren sinnvoller als das Desertec-Vorhaben in der Vergangenheit, wo es nur um sauberen Strom ging?
Mit grünem Wasserstoff können wir erneuerbarer Strom in Chemikalien speichern. Vor allem wenn wir den grünen Wasserstoff vor Ort gleich zu Derivaten wie Ammoniak oder Methanol weiterverarbeiten, ist ein Transport auch über große Distanzen einfach möglich. Überlandleitungen sind demgegenüber teurer und nicht so flexibel. Aus Kundensicht ist es attraktiv, wenn verschiedene Lieferanten aus verschiedenen Regionen zur Verfügung stehen. Das erhöht die Versorgungssicherheit.
Was wir allerdings auch nicht vergessen dürfen: Die Staaten Nordafrikas stehen vor der riesigen Herausforderung, dass sie auch ihre eigene Energieversorgung dekarbonisieren müssen. Um grünen Wasserstoff nach Europa zu exportieren, müssten Sie die Erneuerbaren also „doppelt“ ausbauen. Deswegen nehmen wir bei unseren Lieferpartnerschaften auch flächenreiche Staaten mit viel Wind und Sonne in den Blick, die von Anfang auf den Export setzen – zum Beispiel Australien oder Namibia.
Lesen Sie auch das Interview mit GP-Joule-Chef Ove Petersen, der mit dem Projekt eFarm regional grünen Wasserstoff erzeugt.
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