Für den Klimaschutz stellt sich die Situation dramatisch dar: Rekordtemperaturen in der Antarktis, auftauender Permafrostboden und ein Regenwald, der sich dem Kipppunkt nähert und dann kein CO2 mehr aus der Erdatmosphäre aufnehmen wird. Gleichzeitig ist die Weltöffentlichkeit auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine fokussiert. Und auch in Deutschland werden sicher geglaubte Klimaschutzpositionen wie der Ausstieg aus der Kohleverstromung plötzlich erneut diskutiert.
Eine fatale Entwicklung, denn der Klimawandel pausiert während des Krieges nicht. Im Gegenteil. Der jüngste Bericht des IPCC zeigt: Trotz aller Versprechen und trotz des Pariser Klimaabkommens von 2015 liegt der jährliche Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase mit umgerechnet derzeit etwa 59 Milliarden Tonnen CO2 so hoch wie noch nie.
Besonders schlecht steht es im Verkehrssektor
Reichen da die Pläne der Bundesregierung aus, um die selbst gesteckten Klimazeile zu erreichen? Nicht, wenn es bei den jetzigen Maßnahmen bleibt, urteilt ein Gutachten, dass das Öko-Instituts im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität erstellt hat. Nur mit einem Paket zusätzlicher Instrumente blieben die deutschen und europäischen Klimaziele erreichbar, so das Fazit des Gutachtens mit dem Titel: „Klimaschutz 2030: Ziele, Instrumente, Emissionsminderungslücken sowie die Verbesserung der Überprüfungs- und Nachsteuerungsregularien.“
Die Gutachter des Öko-Instituts analysierten die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP niedergelegten Klimaschutzmaßnahmen und alle weiteren bis zum 1.April 2022 bekannt gemachten Ergänzungen und Konkretisierungen für die Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr. Ihr Ergebnis: „Mit Ausnahme der Energiewirtschaft muss für die Sektorziele sowohl für das Jahr 2030 als auch zumindest für einige der Zwischenjahre mit einer Zielverfehlung gerechnet werden.“
Besonders gravierend falle die Zielverfehlung im Verkehrssektor aus (37 Mio. t CO2-Äquivalente im Jahr 2030). Aber auch für den Industriesektor (14 Mio. t CO2-Äqu.) und den Gebäudesektor (2 Mio. t CO2-Äqu.) seien große Lücken zu erwarten.
Kohleausstieg bis 2030 bleibt Schlüssel für Klimaziele im Energiesektor
Einzig die Energiewirtschaft könne im Szenario des Koalitions-Programms ihr Sektorziel für 2030 deutlich unterschreiten, und zwar um mehr als 25 Mio. t CO2-Äquivalente – allerdings nur dann, wenn der Kohleausstieg bis 2030 erfolge, die erneuerbaren Energien „früh und sehr massiv“ ausgebaut würden und die CO2-Preise des europäischen Emissionshandelssystems sich „günstig“ entwickelten. Auch eine „Normalisierung der aktuell sehr unübersichtlichen Verhältnisse im europäischen Gasmarkt“ sei dazu unerlässlich.
Über alle Sektoren hinweg könnten im Szenario des Koalitions-Programms für den Zeitraum 1990 bis 2030 die Treibhausgasemissionen im günstigsten Fall um rund 62 Prozent gesenkt werden, im ungünstigsten Fall (Verzögerungen bei Kohleausstieg und regenerativer Stromerzeugung, anhaltend hohe Gaspreise) lediglich um 58 Prozent. Europäische Klimaschutz-Verordnung
Zusätzliche Maßnahmen erforderlich
Das Gutachten des Öko-Instituts berechnet aber nicht nur Lücken, sondrn definiert auch Maßnehmen, um sie zu schließen. So „könnten in allen Sektoren die Sektorziele des KSG im Jahr 2030 erreicht oder übertroffen werden“: Insgesamt sei in diesem Szenario eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 um ca. 68 Prozent gegenüber 1990 möglich. Damit würde das Gesamtziel für Deutschland um etwa 35 Mio. t CO2-Äquivalente übertroffen.
Nötig seien dafür unter anderem:
- ein ambitionierterer Wasserstoffhochlauf, der die Emissionsminderungen in der Industrie um fast 20 Mio. t CO2-Äquivalente und in der Energiewirtschaft nochmals um mehr als 10 Mio. t CO2-Äquivalente verstärken könnte,
- im Gebäudesektor die Ausweitung Sanierungsanforderungen, eine Austauschpflicht für alte Heizkessel, verstärkte Förderung der Gebäudesanierung sowie der Wärmenetze
- im Verkehrssektor ein CO2-Malus bei der Kfz-Steuer, die Einführrung einer LKW-Maut+ sowie eines Tempolimits.
Datenbereinigung und bessere Vorausschau
Außerdem fordert das Gutachte ein Umdenken beim Umgang mit den Daten sowie eine weniger rückwärtsgewandte Zielüberprüfung. Es fehle an einer im Voraus vorgenommenen Wirkungsschätzung für ergriffene oder geplante Maßnahmen, die ja im Regelfall erst mit einer Verzögerung von mehreren Jahren ihre Wirkung entfalten können. Außerdem würden Effekte wie das Wind- und Sonnenenergiedargebot und die Temperatur-Situation nicht aus den Daten bereinigt, die für die nachträgliche Zielberechnung genutzt würden, obwohl sie einen massiven Einfluss hätten. (kw)
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