ERNEUERBARE ENERGIEN: „Nachhaltig“. Windstrom an Land und Offshore als „unverzichtbare Standbeine“. Und: „Wir wollen beitragen, dass die erneuerbaren Energien weltweit den Durchbruch schaffen." Mit solchen Attributen erklärt Umweltminister Peter Altmaier gerne die Energiewende. Sind Sie damit zufrieden?
Thorsten Herdan: Das sind sicherlich nicht alle Worte, die zu einer Energiewende dazugehören. Es stellt sich aber erstens die Frage nach der Geschwindigkeit und zweitens, ob einzelne Energieträger bevorzugt werden. Hier sollte man sich darauf zurück besinnen, dass wir eine Technologievielfalt haben wollten. Dass wir auch bestimmte Technologien haben wollten, weil sie Vorteile im Gesamtsystem bringen. Beispiel Offshore. Auch wenn sich da nun wahrlich keine Industrie angesiedelt hat und wahrscheinlich auch in den nächsten zehn Jahren keine ansiedeln wird im Meer – und bisher auch kein Kabel da ist: Es hat einen Grund gehabt, warum wir diese Technologie wollten. Und das sollte man auch jetzt nicht voreilig in Frage stellen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie Herr Albers, sagten bereits sinngemäß, die Branche müsse das kleine Positive im Gesagten des Ministers aufnehmen. Begeisterung über einen nach einem halben Amtsjahr nicht mehr ganz so neuen Umweltminister hört sich anders an!?
Hermann Albers: Alle diese Kommentare des Ministers könnten auch wir unterschreiben. Nur fällt auf, dass sich das Handeln nicht vollends danach ausrichtet. Wir haben die Trendwende von einer Fachdebatte zur Energiepolitik hin zu einer allgemeinen und in weiten Teilen auch undifferenzierten Debatte. Das tut uns in der Zielsetzung nicht gut. Wir wollen uns darum bemühen, die notwendigen Schritte fachlich sauber zu diskutieren, abzuklären – und dann umzusetzen. Das betrifft etwa das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Energiewirtschaftsgesetz, und die Ausbauziele der Länder. Ich habe viele Stimmen aus der Bundesregierung in den vergangenen Wochen allerdings im Gegenteil so verstanden: Wir wollen weniger Windenergie, weniger Erneuerbare, wir wollen die Energiewende langsamer gestalten.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Dennoch haben Sie bei der Eröffnungspressekonferenz der Husumer Messe im September gelobt, Altmaier habe „Klarheit geschaffen in der Debatte“, dass Branche und Politik „in die Weiterentwicklung des EEG einsteigen wollen“. Was gefällt Ihnen daran?
Albers: In einer Situation, in der Stimmen aus der Spitze der Bundesregierung sich für eine sofortige Beendigung des EEG ausgesprochen hatten, da hat Herr Altmaier klar festgehalten, dass wir eine EEG-Gesetzesnovelle sorgfältig vorbereiten müssen. Dass es um eine hohe Verantwortung für die Branche zum Einen, aber auch für das Energiesystem zum andern geht. Und dass Schnellschüsse niemandem helfen und sogar den Standort gefährden können. All das sind wichtige Aussagen derzeit. Und so setzen wir darauf, dass wir 2014 die Entscheidung fassen werden zum neuen EEG. Wir werden allerdings noch mit dem Umweltminister über die Ziele sprechen. Und mir fällt dabei auf, dass die ehemaligen Mindestziele der Bundesregierung, die eine Varianz nach oben hatten, insbesondere im Netzentwicklungsplan …
ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie meinen die im Netzentwicklungsplan berechneten 50 Gigawatt Windenergie, für die die Netze bis in zehn Jahren ausgelegt sein sollten – womit die Erneuerbaren insgesamt deutlich oberhalb des Mindestziels im Energiekonzept der Bundesregierung von 35 (respektive der inzwischen neu ausgegebenen 40) Prozent Anteil an der Stromversorgung landen würden?
Albers: Ja, 50 Gigawatt Windenergie bis 2022. Mir fällt auf, dass die Debatte immer häufiger am unteren Ende der Szenarien geführt wird und nicht mehr in ihrer Bandbreite. Und dabei haben wir so fantastische Möglichkeiten in unserer Industrie. Und immer wenn wir die Probleme gemeinsam zügig lösen werden wir Vorsprünge im Weltmarkt erzielen. Wir sollten das nicht als Risiko sehen, sondern als Chance.
Schwierige Positionsbestimmung
ERNEUERBARE ENERGIEN: Soweit unstrittig. Herr Herdan, Ihre Einigkeit mit Herrn Albers über abgestimmte Forderungen an die nächste EEG-Novelle las sich im gemeinsamen Interview mit einer Firmenzeitschrift jüngst so: „Nicht abrupt“ und „ohne weitere Brüche“, sagen Sie, „behutsam und geordnet“, sagt Hermann Albers. Im Ernst: Die Wucht der EEG-Debatte vom 15. Oktober an (Tag der Bekanntgabe der deutlich verteuerten EEG-Umlage) erfordert wohl größere gemeinsame Botschaften?
Herdan: Das EEG hat es überhaupt erst ermöglicht, dass wir heute schon so weit sind. Wir sind aber auch an dem Punkt angelangt, wo wir der Industrie beibringen müssen, dass es so nicht weitergehen kann – dass ein Umdenken notwendig ist und kein Einreißen des EEG. Wir vom VDMA wollen überlegen, wie man das System intelligent fortführen kann. Hier gibt es eine Vielzahl von Stellschrauben.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Müssen Sie nicht konkreter und einiger werden, um dem Vorwurf Ihrer Gegner öffentlich entgegenzutreten, der Branche gehe es nur um hohe Vergütung? Nehmen wir Ihre Kapazitäts-Flexi-Prämie, Herr Albers – die Kapazitätsprämie ohne Einspeiseveorrang der Erneuerbaren wollen Sie, Herr Herdan ...
Herdan: Ich spreche nicht vom Ende des Vorrangs. Ich sage lediglich: So wie das System sich weiter entwickeln soll, müssten wir gedanklich nun 100 Prozent Erneuerbare veranschlagen. Dafür ist ein Vorrang unsinnig. So wird sich das System zwangsläufig irgendwann ad absurdum führen. Ähnlich steht es mit der Ermittlung des Strompreises: Der Börsenstrompreis, wenn er sich denn an variablen Kosten orientiert, wird so irgendwann bei Null liegen. Zwangsläufig. Da muss man sich doch jetzt überlegen, welche Weichenstellung möglich sind. Das heißt im Umkehrschluss aber sicher nicht, dass morgen der Vorrang abgeschafft werden muss oder besser gleich das ganze EEG. Vielmehr sollte versucht werden, andere Komponenten ins Spiel zu bekommen. Vielleicht sollte man überlegen, wann der Strom welche Wertigkeit besitzt. Muss man denn zu jeder Tageszeit und an jedem Ort die gleiche Einspeisevergütung bekommen?
ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie sprechen den so genannten Strombedarfsansatz an.
Herdan: Der Strombedarfsansatz wird auch schon angewandt. Nehmen Sie Offshore. Offshore Windenergie bekommt einen anderen Vergütungssatz, weil sie an einem anderen Ort stattfindet. Das ist die Logik von Offshore. Wir haben dort eine Energieform, die sich durch eine hohe Volllaststundenzahl auszeichnet und dadurch eine hohe Systemrelevanz besitzt. Und dafür zahlen wir alle im Moment mehr Geld.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Hier haben Sie aber keinen Konsens, nehme ich an.
Albers: Wenn das die Grundlage wäre, müsste Schleswig-Holstein in Zukunft mehr Vergütung bekommen als andere Bundesländer. Und übrigens werden wir hier mit den auf der Messe gezeigten neuen höheren Türmen durchaus bei den gleichen 4.000 bis 5.000 Volllaststunden auch an Land liegen können. So dass wir die gleiche Systemverlässlichkeit hätten. Der Grund für die höhere Offhshore-Vergütung derzeit ist, dass der Einstieg in diese Technologie anspruchsvoller ist, und dass die Kosten für die Installation höher sind – und zwar spezifisch sogar höher als der Mehrertrag. Aber mit Ihrer Frage danach, wie wir nach dem 15. Oktober noch in eine nachhaltig geordnete Politik kommen, haben Sie ja vollkommen Recht.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Der 15. Oktober, ab dem die neue EEG-Umlage bekannt ist – und damit, wie hoch der Stromverbraucher pro Kilowattstunde für Mehrkosten der Vergütung erneuerbarer Energien herangezogen wird …
Albers: Hier wäre ich Herrn Minister Altmaier sehr verbunden, wenn er mit ruhiger Hand die Politik über diesen Termin hinweg gestaltet. Und wir dürfen auch mit ruhiger Hand erklären, dass der Anstieg am Ende nicht größer ist, als er in vielen anderen Energiemärkten in den letzten ein bis zwei Jahren auch entstanden ist. Denken Sie an die Strompreiserhöhungsankündigung, denken Sie an die Gaspreiserhöhung, denken Sie auch an die Entwicklung des Benzinpreises. Und ich erwarte von dem Minister, dass er mit uns bereit ist zu sagen, dass nur die Hälfte der am 15. Oktober veröffentlichten Kosten ursächliche Kosten der erneuerbaren Energien sind. Der zweite Teil der Kosten sind administrative Entscheidungen im Mechanismus der Umlagenberechnung. Da ist vor allem die Entlastung der Industrie, die ja ausgeweitet worden ist: von Großverbrauchern mit jährlich zehn Gigawattstunden (GWh) Strombedarf auf Unternehmen schon mit einer GWh Verbrauch. Und als Windvertreter erwarte ich auch, dass wir zum Ausdruck bringen, dass Windenergie an Land die Chance ist, im Umbau der Energiewende den Verbraucher so weit wie möglich zu entlasten.
Wie die Branche in die Offensive kommen kann
ERNEUERBARE ENERGIEN: Der Umweltminister hat eine Abstimmung des Erneuerbaren-Zubaus auf die Netze „und umgekehrt“ angemeldet. Wäre da nicht von Vorteil, die Branche erfüllt ihren Teil dieser Abstimmung – Anlagenzubau dort, wo Netze vorhanden sind – und sie könnte ihrerseits vom Umweltminister den Netzausbau verlässlich und passend zum Bedarf des Windenergieausbaus einfordern?
Herdan: Wir haben doch jede Menge Vorschläge. Aber es wäre fatal, diese Vorschläge, die immer am Ende so umfang- wie zahlreich sein werden, über die Presse zu diskutieren. Dann würde die öffentliche Debatte vielleicht temporär einzelne Aspekte herausheben. Das System ist aber viel komplexer. Hier ist Minister Peter Altmaier auf dem richtigen Wege, indem er in hoher Frequenz seine Plattformen mit den Arbeitsgruppen tagen lässt. Mit denen er ja schon bis Ende September ein erstes Ergebnis präsentieren wollte. Und dann wird ein Bündel von Vorschlägen auf dem Tisch liegen: So muss zusätzlich zum Strombedarfsansatz beispielsweise überlegt werden, wie Energieformen zusammenpassen. Da haben VDMA und BWE vielleicht nicht immer dieselbe Auffassung. Warum sorgt man also nicht dafür, dass über ein EEG 2.0 eine intelligente Verknüpfung zwischen zum Beispiel Windenergie und flexiblen konventionellen Kraftwerken zu einer Vergleichmäßigung des Stromangebots führt? Das jetzige EEG hat im Rahmen von Biogaseinspeisung die Möglichkeit, dass man Verträge schließt mit jemandem, der möglicherweise Hunderte von Kilometern vom Biogas-Erzeugungsort entfernt ist und der dort das eingespeiste Biomethan in Kraft-Wärme-Kopplung verarbeitet. Nur mit diesem Vertrag bekommt er eine Einspeisevergütung. Das ließe sich auch auf die Windenergie übertragen: Wenn irgendjemand eine Turbine aufstellt, muss er mit irgendjemandem einen Vertrag schließen, der ihm eine Vergleichmäßigung seiner Stromproduktion in Speichern, flexiblen Kraftwerken oder was auch immer gewährleistet. Aber diese Einzelaspekte kann man nicht losgelöst in der Öffentlichkeit diskutieren. Das erzeugt nur noch mehr Verunsicherung – weil jeder Einzelaspekt das System schädigt, statt es sinnvoll zu reformieren.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Herr Albers, d’accord?
Albers: Im Grundsatz ja. Wir könnten durchaus so etwas wie einen Verstetigungsansatz in der nächsten Novelle festlegen. Wir haben im Übrigen schon bei der vorigen Novelle eine solche Debatte geführt …
Herdan: Genau.
Albers: … ob wir nämlich immer größere Generatoren mit mehr Leistung in die Windenergieanlagen bauen sollten, oder ob wir nicht sehr viel mehr größere Rotordurchmesser, höhere Türme bei gleichbleibender Größe der Generatoren einsetzen, um sehr gezielt die Volllaststundenbeiträge um 1.000 oder 2.000 Stunden anzuheben. Was dann bedeutet, dass wir zu 95 Prozent des Jahres Strom liefern für den Verbraucher.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Für diese Produkte sorgt aber doch die Industrie aus Eigeninteresse schon von sich aus ….
Albers: Ja, aber nicht unbedingt der Erzeuger in jeder Hinsicht. Ich sehe immer noch einen Trend und einen Ehrgeiz, größere Generatoren zu installieren. Der wird durch die neue Industrieentwicklung …
ERNEUERBARE ENERGIEN: … der Produktion von immer mehr großflügeligen Anlagen auch in der Anlagenklasse Zwei-MW-Plus-Minus …
Albers: … etwas abgebremst und flexibilisiert. Das kann die Politik unterstützen: im Hinblick darauf, welche Tarife der Verbraucher aber auch welche Tarife der Erzeuger im Zuge dessen erzielen kann am Markt. Und ich glaube, dass die direkte Verbindung von Verbraucher und Erzeuger vor Ort unter Entlastung der Netze auch durchaus eine Förderung wert wäre. Denn wenn wir Systemausbaukosten von einem Eurocent pro Kilowattstunde haben und ich finde Betreiber, die sagen ich gehe nicht über das Netz, sondern finde meinen Verbraucher in meinem Umfeld: Warum soll er nicht einen Teil dieser nichtnotwendigen Netzausbaukosten bei entsprechendem regulierten Nachweis für den eigenen Betrieb erhalten.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Verbinden müsste die Branche dies dann aber mit der Forderung nach Erleichterungen des Baus von Windparks dort, wo sie benötigt sind?
Albers: Das ist ja etwas, wofür wir – glaube ich – in den vergangenen zehn Jahren auch gemeinsam gekämpft haben. Zunächst bin ich froh über das Angebot sehr vieler Bundesländer ehrgeizige Ziele zu formulieren. Nun muss man aber aufpassen, dass man diese Länder nicht in der Absage dieser Kapazitäten demotiviert. Sondern, dass wir den Prozess ordnen und dass wir Ehrgeiz und Willen der Länder und auch der deutschen Öffentlichkeit dafür nutzen, die Energiewende so wie nach technischen Verläufen möglich schneller zu gestalten und nicht etwa abzubremsen. Die Aussage, wir haben ja noch 40 Jahre Zeit für die Energiewende, sollte sich nicht von selbst bewahrheiten. Sondern wir sollten auch dem Rest der Welt u zeigen, wie geeignet wir auch als deutsche Industrie sind eine Energiewende möglich zu machen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Das klingt bei Ihnen so, als könne man vertrauen, dass die deutsche Wirtschaft die richtige Lösung schon entwickelt. Und als müsse Politik mit dem EEG nur ein wenig hinterher steuern?
Herdan: Also für uns definitiv nicht. Sonst würden wir doch nicht über ein EEG 2.0 reden. Wir brauchen ein EEG, was noch EEG heißen sollte – schon allein um Kontinuität zu schaffen – was aber komplett anders aussehen muss. Nehmen Sie das Beispiel von Hermann Albers zu größeren Rotoren bei kleineren Generatoren. Das jetzige EEG führt eben nicht zu dieser Entwicklung, weil man mit solchen Anlagen weniger produzierte Kilowattstunden haben wird. Und wenn ein Netzbetreiber nur produzierte Kilowattstunden zahlen muss, warum soll ich als Betreiber weniger Kilowattstunden verkaufen wollen, wenn ich technisch mehr produzieren kann. Man muss diesen Systemansatz im EEG etablieren, nach dem Motto: Ich zwinge dich, weniger Kilowattstunden zu produzieren, weil du dich auf diese Weise systemisch an der Stromversorgung beteiligen musst. Dafür muss es eine Umschichtung in der Vergütung geben. Was nicht geht ist, dass die Einspeisevergütung auf dem aktuellen Niveau belassen wird – und dann kommt hier noch ein Bonus oben drauf und da noch einer.
Die Leuchtturmfunktion Deutschlands
ERNEUERBARE ENERGIEN: Insgesamt hat man den Eindruck, Herr Herdan, sie sind eher zufrieden mit der von Altmaier geführten Debatte. Sind sie es möglicherweise deshalb schon, weil der Umweltminister Ihnen als Vertreter des industriellen Teils der Windkraftbranche eine Unterstützung in Sachen Anlagenexporte in das sonstige Europa versichert hat?
Herdan: Die von Ihnen angesprochene Windtec-Initiative spielt in der EEG- und Strommarktdesigndebatte für uns keine Rolle. Ich bin auch weder zufrieden noch unzufrieden unterm Strich mit dem was Minister Peter Altmaier sagt. Ich glaube, es gibt eine Notwendigkeit, diesen Weg jetzt gehen zu müssen. Es wurden in der Vergangenheit pro Jahr zu viel Erneuerbare aufgestellt, im wesentlichen Photovoltaik. Und es gibt derzeit eine öffentliche Kostendebatte, die man natürlich so wie sie ist führen kann. Ich bin hier ganz bei Herrn Albers, kritisch zu fragen, wer an den Kosten schuld ist. Aber man muss die Rahmenbedingungen ändern – unabhängig davon, wer auch immer schuld ist. Denn das Problem landet auf der Rechnung der Stromkunden, der Rechnung der Industrie und der Privaten. Ich mag Peter Altmaiers Ansatz, wir müssen etwas ändern und das machen wir mit Bedacht. Was ich nicht mag, sind Zwischentöne à la „wir müssen das EEG abschaffen“.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Aber ist ein EEG 2.0 ohne zugleich hohe Ausbauziele nicht auch für das Industrieinteresse am Export zu kurz gesprungen? Würden nicht noch mehr Länder in Europa als jetzt schon den Zubau eindämmen wollen – dann angetrieben vom Vorbild Deutschland zu Lasten des Exports von Windenergieanlagen?
Herdan: Man muss die Verhältnismäßigkeit sehen. Fünf Prozent des Weltmarktes ist der deutsche Markt. Damit hängt an diesem nicht das Wohl und Wehe der Branche, auch wenn der Heimatmarkt für den einen wichtiger ist als für den anderen. Dass es der Windbranche in den nächsten zwei Jahren weiterhin verhältnismäßig schlechter geht, hat mit etwas ganz anderem zu tun: Mit dem hohen preissenkenden Schelfgasangebot in den USA und dem komplett eingebrochenen US-Windmarkt. Der wäre beim aktuellen Gaspreis auch eingebrochen mit einer Verlängerung der Steuerabschreibungsmöglichkeiten durch das so genannte PTC. In unserer Branche müssen wir uns schon noch umgucken, was anderswo in der Welt passiert. Und beim Gas gibt es nun einmal massiv fallende Preise eines konventionellen Energieträgers im Wettbewerb mit den erneuerbaren Energien ….
Albers: Ja aber nicht beim Endverbraucher.
Herdan: Nur weil dieses billige Gas hier in Europa noch nicht angekommen ist, Herr Albers. Die ganzen LNG-Terminals die da noch gebaut werden, bedeuten, dass wir noch irgendeine Angleichung in Europa bekommen werden.
Die Wettbewerbsfähigeit beschleunigen
ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie nicken, Herr Albers. Also sagen auch Sie, man muss die Windbranche preistechnisch noch auf eine beschleunigte Bahn bringen … mit einer schnelleren Absenkung der Vergütung?
Albers: Ich nicke nicht, bei der Feststellung, der deutsche Markt ist nicht so wichtig. Weil der BWE natürlich im Kern eine deutsche Branchen-, aber auch eine deutsche Energiepolitik mitgestalten will. Und deswegen glaube ich, ist der deutsche Energiemarkt das Zentrum unserer Arbeit.
Herdan: … das habe ich aber auch gesagt …
Albers: … und wir wollen in Deutschland demonstrieren, was in anderen Ländern möglich wird. Ich spreche anders als Torsten Herdan vom VDMA tatsächlich auch gerne mal vom EEG als Mittelstandsgesetz, kann aber auch dem VDMA hier zustimmen: Insofern, dass das EEG nicht ausschließt, dass alle wirtschaftlichen Gruppen oberhalb des Mittelstands auch teilnehmen. Aber ohne EEG haben wir einen Ausschluss des Mittelstandes.
Herdan: Das stimmt.
Albers: Das heißt, wir brauchen die Fähigkeit, mit dem EEG Projektfinanzierung zu gewährleisten. Ich habe auf der Windenergiemesse in Husum schon die bange Frage gehört: Können wir über 2013 hinaus noch Finanzzusagen geben? Die Debatte der vergangenen Tage ist bei den Banken angekommen. Ich weiß nicht, wie sehr es der Politik bewusst ist, wie schnell die Eigenkapitalansprüche in einem Projekt durch die Banken um 10 bis 20 oder 30 Prozent angezogen werden, wenn Unklarheit in der Debatte herrscht. Bei der Weiterentwicklung des EEG könnte ich mich dem Begriff EEG 2.0 anschließen. Nur bleiben muss als Eckpunkt die Vorrangregelung. Sie ist auch bei einem Anteil von 25 Prozent weiterhin eine wichtige Grundlage. Denn wir wollen dem Energiebereich klar machen: Wir wollen immer wenn es geht erneuerbare Energien und dann erst CO2 emittierende Energieerzeuger. Ohne den Vorrang käme es zur Unklarheit, weil zumindest die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber alten Kraftwerken von neuen Windkraftanlagen hier und da doch nicht gegeben wäre. Dazu gehört Projektfinanzierbarkeit, wie gesagt. Wir brauchen weiterhin die Impulsfähigkeit des Mittelstands. Ich wäre mir nicht sicher ob die Energiewende ein geeignetes Tempo haben würde, wenn nur noch alte Energiemonopolunternehmen die Aufgabe hätten, diesen Umbau vorzunehmen. Denn diese stehen schon im Wettbewerb mit alten fossilen Kraftwerken im eigenen Hause, die Wirtschaftlichkeit immer dann erzeugen, wenn der Anteil an erneuerbaren Energien geringer bleibt.
Herdan: Das verneine ich auch nicht. Ich sehe es nur aus einer etwas anderen Perspektive. Der Vorrang führt dazu, dass bestimmte Kraftwerke, die man braucht um Windenergie weiter ausbauen zu können, nicht gebaut werden können. Also muss man sich überlegen, wie man diesen Vorrang so verändern kann, dass genau diese Kraftwerke gebaut werden. Im Gegenteil werden diese aber im Moment verhindert, weil sich solch ein Gaskraftwerk im Moment schlecht projektfinanzieren lässt: Eine Kreditgeber wird sicher kritisch schauen, wenn der Antragsteller ihm sagt, er wisse nicht genau, wie viel Produktionsstunden das Kraftwerk im Jahr haben wird.
Länder in Konkurrenz um den Wind?
ERNEUERBARE ENERGIEN: Herr Albers, müssen Sie nicht eigentlich auch noch andere als die Bundesregierung kritisieren: Ihr Heimatbundesland Schleswig-Holstein hat in Person von Ministerpräsident Torsten Albig den Verteilungskampf eröffnet: Schleswig-Holstein wolle 2020 die dreifache Menge Windenergie des eigenen Stromverbrauchs erzeugen dürfen und dafür könne Baden-Württemberg auf Teile der neuen ehrgeizigen Ausbauziele der grün-roten Landesregierung verzichten.
Albers: Es wäre gut gewesen, wenn Herr Altmaier inzwischen klar gestellt hätte, dass seine umstrittene Aussage falsch verstanden worden ist: „Wir haben 60 Prozent zu viel Windenergie in den Länderzielen“ …
ERNEUERBARE ENERGIEN: … bezogen auf die Mindestziele im Energiekonzept der Bundesregierung…
Albers: Aber zu einem angeblichen Länderproporz: Weder der Süden sollte zu Lasten des Nordens Energiepolitik betreiben wollen noch umgekehrt. Andererseits kann ich nicht ignorieren, dass die Zielsetzung der Landesregierung in Schleswig-Holstein deutlich vor der Energiewende getroffen worden war. Man hat Flächen abgerufen und in die Rechtsumsetzung gegeben. Dass Herr Albig nicht beliebig daraus zurücktreten kann und will, dafür habe ich Verständnis. Und da wir noch 75 Prozent des Marktes der konventionellen Energien durch Erneuerbare zu ersetzen haben, muss ich auch heute nicht die Debatte führen, ob irgendeines der Länder vorzeitig aufhören soll, seine Strategie zu verfolgen. Und übrigens hat Herr Altmaier dem Ministerpräsident Albig nur gesagt, reden sie mit Herrn Kretschmann und Herrn Seehofer, ob die damit einverstanden sind. Ich habe jetzt einen Artikel gelesen, in dem eine Aussage von Herrn Albig hieß, wir haben uns mit Baden-Württemberg abgestimmt und haben Einverständnis. Das hat Herr Albig selbst nach Gesprächsführung mit Herrn Untersteller veröffentlicht. Sowieso: Die Zielführung des Chefs der Deutschen Energieagentur in Berlin, Stefan Kohler, die Erneuerbaren in jedem Bundesland nur in einer Größe ausbauen, die dem eigenen Bedarf entspricht, die würde Offshore ad absurdum führen. Denn da draußen brauchen die Fische keinen Strom. Nach dieser Logik müssten auch BMW und Mercedes anteilig ihre Autos dann auch in Schleswig-Holstein produzieren.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Die Gretchenfrage aber lautet dann immer noch: Darf es einen gewissen Überfluss an regenerativer Stromerzeugung irgendwann einmal geben?
Herdan: Nein, keinen Überfluss. In und um Husum wird eben mehr Strom produziert als im Altmühltal.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Her Altmaier wollte einen Verfahrensweg für die angestrebte ruhige EEG-Debatte schon im Oktober präsentieren. Doch ist Deutschland überhaupt bereit für eine überlegte Energiewende ohne die ideologische Debatte?
Herdan: Ohne eine ideologische Debatte wird es nie gehen. Aber es gibt keine andere Möglichkeit als jetzt einen Verfahrensvorschlag festzulegen, in welchem eine ganz klare Kante enthalten ist: Dass die EEG-Strommarktdesignnovelle nicht in aller Hektik im Wahlkampf sondern erst nach der nächsten Bundestagswahl 2013 festgelegt wird.
Albers: Wer die Debatte verweigert, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Ich bin froh darüber, wenn wir sie mit Fachleuten angehen können und wenn wir uns ein wenig Zeit nehmen dafür. Diese Voraussetzungen sind von Herrn Altmaier angedeutet worden. Alles andere würde zum Schaden für die Bundesrepublik selbst führen.
Das Doppelinterview führte Tilman Weber auf der Messe Husum Windenergy im September. Es ist am 1. November bereits im Magazin ERNEUERBARE ENERGIEN in gekürzter Form erschienen. Wir dokumentieren es an dieser Stelle in voller Länge.