Die EU-Kommission ist eine Art Regierungsbehörde der Europäischen Union (EU) und für Marktregulierungen zuständig. Sie hat am Dienstag erlaubt, dass GE für 12,35 Milliarden Euro Alstom kauft. Schon im Winter hatte die Regierung in Paris dem Deal zugestimmt, unter der Bedingung, dass der Staat einen strategischen Einfluss im Alstom-Stromsektor behalten darf. Die französische Politik will sich somit offenbar den Einfluss auf die Atomkrafttechnologie sichern, weil die nationale Elektrizitätsversorgung wesentlich auf Atomstrom beruht. Außerdem gehörte zu der Vereinbarung des US-Konzerns mit der französischen Regierung, dass Alstom die Transportsparte mit der Produktion der französischen TGV-Schnellzüge erhalten bleiben soll und von GE die Bahnsignalproduktion bekommt. Als Auflage für ihre Zustimmung wies die EU-Kommission GE nun noch an, Teile des Hochleistungs-Gasturbinengeschäfts an das italienische Unternehmen Ansaldo zu verkaufen.
Die Begründung der EU-Behörde, warum sie so den wirtschaftlichen und technologischen Wettbewerb in Europa weiter gewährleistet sieht, lässt sich nachvollziehen: Der Markt der Hochleistungsgasturbinen sei schon jetzt kaum noch durch ausreichend Konkurrenz abgesichert – bei schon vor der Übernahme Alstoms nur vier relevanten Herstellern in Europa. Der Weltmarktführer im Gasturbinenbau, GE, hätte ohne die Auflage sich die Gasturbinensparte des immerhin drittgrößten Herstellers der Welt in Gänze einverleibt und damit den Abstand zu den verbliebenen zwei Konkurrenten maßlos überhöht. Damit aber hätte sich jede Konkurrenz weitgehend erledigt – mit der möglichen Folge überhöhter Preise für Gaskraftwerke und erlahmender technologischer Weiterentwicklung. Jedoch würden neue Gaskraftwerke für die laufende europäische Energiewende dringend benötigt, weil nur diese den Ausgleichsstrom für die an- und abschwellende Versorgung aus Wind- und Solarstromanlagen in der notwendigen Flexibilität und Größenordnung erzeugen können. Im Erneuerbare-Energien-Bereich würden GE und Alstom sich hingegen nur ergänzen – ein schädlicher Einfluss auf die Konkurrenzsituation sowie Preise und Technologien drohe hier nicht.
Nutzen für Offshore-Windkraft, ungewisse Zukunft für die Onshore-Marke
Diese Argumentation lässt sich nachvollziehen. Die Windenergie jedenfalls kann die Fusion verkraften – und hat vielleicht davon mehr Vor- als Nachteile. Zwar verliert die Windenergie an Land einen eigenständigen traditionellen Hersteller in Gestalt der Alstom-Onshore-Tochter, die aus der früher von Alstom gekauften Firma Ecotecnia in Spanien hervorging. Dass GE sich in den südwesteuropäischen und überseeischen Ecotecnia-Märkten mit den Alstom-Onshore-Anlagen selbst Konkurrenz zumuten wird – für die im eigenen Portfolio zentralen Anlagenklassen der Knapp-Zwei-Megawatt- und der Drei-Megawatt-Dimension – darf bezweifelt werden. Die Ergebnisse der Onshore-Sparte Alstoms war allerdings ohnehin für den Konzern wohl nicht ausreichend. So stufte der dänische Marktanalyst Make Consulting Alstom bislang nicht unter die Top 15 mit einem Weltmarktanteil von mindestens 2,2 Prozent beziehungsweise 1,1 Gigawatt jährlich installierter Leistung. Der wichtigste Konkurrent Gamesa, der als Ersatz für den toten spanischen Markt auf ähnliche Onshore-Märkte wie Alstom setzt, schien in Südamerika ohnehin uneinholbar. Allerdings hat Alstom mit der Anlage Eco-122 mit drei Megawatt (MW) eine sehr moderne Schwachwind-Turbine mit großem Rotor von 122 Metern Durchmesser im Angebot, die der neuen GE-Anlage GE-2.5MW-120 aufgrund ganz ähnlicher Maße Konkurrenz machen würde.
Offshore hingegen hielt sich GE bekanntermaßen bis zuletzt zurück – auch noch nach dem Kauf des norwegisch-schwedischen Herstellers Scanwind vor wenigen Jahren und der Weiterentwicklung dessen getriebeloser Offshore-Turbinen zu 4,1-MW-Modellen. Jetzt hat GE die Alstom-Eigenentwicklung Haliade dazu gewonnen, ebenfalls getriebelos, mit zeitgemäßen sechs MW Leistung und 150 Meter Rotordurchmesser. Das in finanzielle Schwierigkeiten geratene Alstom kann mit GE die Pilotanlage nun mit verbesserter Kapitalausstattung in das erste unmittelbar bevorstehende Offshore-Projekt eines 30-MW-Windparks in den USA in See stechen lassen. Außerdem kann GE helfen, die jüngste Belastung aufgrund einer mehrmonatigen Behebung eines Generatorfertigungsproblems für die Haliade nachträglich auszugleichen. Schließlich kann der US-Konzern die beginnende und unter Druck stehende Serienfertigung für gleich fünf an Land gezogene Offshore-Projekte mit neuer Kraft mit anschieben. Die Haliade gilt in der Branche als technologisch interessant und lässt eine zweite, alternativ designte getriebelose Antriebstechnologie mit der Technik von Konkurrent Siemens in den Wettkampf treten. Zudem wird das große Forschungsnetzwerk von GE die Fortentwicklung dieser Technologie noch besser vorantreiben lassen.
EU-Kommission trifft ein Werturteil
Allerdings zeigt die Entscheidung auch die verhältnismäßig geringe Wertigkeit, die europäische Politik den Erneuerbaren zumisst. Richtig ist, dass die Wettbewerbsstruktur in der Erneuerbare-Energien-Wirtschaft gut funktioniert, aber in der Welt der fossilen Stromerzeugung nur rudimentär besteht1. Doch den einzig richtigen Weg geht hier Europa nicht: Die EU unterlässt eine beherzte Reform der Energie-Märkte, in der konventionelle Energieerzeugung durch mehr Wettbewerb geprägt wird. Im Gegenteil, wird diese unter dem Schutz weniger aber umso einflussreicherer Monopolisten mit dem daraus folgenden Druck auf die Politik am Leben gehalten. Die Energieversorgung mit dezentralen Gaskraftwerken kommt kaum in Gang, weil die EU die viel problematischere und weniger für die Energiewende geeignete und unflexible Kohle- und Atomstromerzeugung nicht stoppt. Außerdem treibt die EU selbst den Preis für die Gasversorgung hoch, weil sie keine nachhaltigen Initiativen zur Lösung der zahlreichen Interessenkonflikte mit dem ehemaligen Gas-Hauptlieferanten Russland unternimmt. Das macht Gasturbinen eben erst recht zum Schutzobjekt für die Wettbewerbshüter.
Die Firmen der erneuerbaren Energien genießen diesen Schutz nicht. Sie haben sich aus einer kleinteiligen oft mittelständischen Technologie-Entwicklung heraus zu einer Industrie mit großer Konkurrenz entwickelt. Dass diese Struktur gesund bleibt ist indes nicht ausgemacht. Denn wie bei der konventionellen Energieerzeugung denkt die EU gar nicht daran, mit Vorgaben die noch immer vielteilige Wirtschaftsstruktur der Erneuerbaren zu fördern. Als Folge werden irgendwann auch in der Windkraftindustrie die EU-Wettbewerbshüter verhindern müssen, dass Reste technologiefördernder Konkurrenz verschwinden. Echtes Interesse an grüner Stromerzeugung vorausgesetzt.
(Tilman Weber)