Seit 2018 werden in Deutschland viel zu wenig Windräder gebaut, um die Energiewendeziele zu erreichen. Bei der Suche nach geeigneten Standorten treten häufig Konflikte auf, etwa zwischen Klima- und Artenschutz. Wo sollten Windräder in Deutschland installiert und wie kann der Ausbau vorangebracht werden? Eine aktuell erschienene Studie verdeutlicht, dass sich selbst Expertinnen und Experten bei der optimalen Vorgehensweise nicht einig sind.
Um die Klimaschutzziele zu erreichen, soll laut Bundesregierung der aus erneuerbaren Energien erzeugte Strom bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent am Stromverbrauch haben (Klimaschutzprogramm 2019). Nun hat Wirtschaftsminister Altmaier seine Schätzungen zum deutschen Stromverbrauch – kurz vor Ende der Legislaturperiode – deutlich nach oben korrigiert. So müsse von 645 bis 665 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2030 ausgegangen werden, bis zuletzt lag die Regierungsprognose bei 580 TWh (Prognos-Institut 2021).
Als tragende Säule der erneuerbaren Stromerzeugung ist die Windenergie dabei besonders bedeutend. Laut einer aktuellen Studie von Prognos, Öko-Institut und Wuppertal-Institut (2021) müssten jährlich Windenergieanlagen mit einer Leistung von mindestens fünf Gigawatt zugebaut werden. Aktuell ist der Windenergieausbau an Land jedoch massiv eingebrochen. Bundesweit wurden im Jahr 2020 nur 420 neue Onshore-Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 1.431 Megawatt in Betrieb genommen (German WindGuard 2021). Das ist deutlich zu wenig, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung für das Jahr 2030 zu erreichen. Damit verbleiben nunmehr neun Jahre, um den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen. Doch wo sollten Windräder in Deutschland installiert und wie kann der Ausbau vorangebracht werden?
Expertinnen und Experten diskutieren über geeignete Standorte für Windräder
Die Forschungsgruppe MultiplEE rund um Energieökonom Paul Lehmann zeigt in ihrer jüngst erschienenen Studie, welche Kriterien bei der Auswahl von geeigneten Standorten für die Windenergie eine Rolle spielen können. Dafür hat das Forschungsteam ein Planspiel mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen durchgeführt. In Arbeitsgruppen entschieden sie darüber, wie Windenergieanlagen auf die Bundesländer verteilt werden sollten. Dabei mussten sie einerseits sicherstellen, dass insgesamt 200 Terawattstunden (TWh) Strom durch Windenergie an Land pro Jahr erzeugt werden. Dies entsprach etwa der Stromerzeugung aus Windenergieanlagen, die in Deutschland im Jahr 2035 notwendig ist, um die klima- und energiepolitischen Ziele zu erreichen (Prognos/Öko-Institut/Wuppertal-Institut 2021). Zudem sollten die Expertinnen und Experten folgende Kriterien berücksichtigen:
· Das Leistungspotenzial beschreibt die mögliche Menge an Windrädern, die in einem Bundesland maximal gebaut werden könnten, wenn bestehende geografische und rechtliche Restriktionen berücksichtigt werden.
· Der Windertrag zeigt an, wie stark der Wind weht und wie viel Windstrom entsprechend an einem Standort im Mittel erzeugt werden kann.
· Lastnähe verweist darauf, wie weit der Strom transportiert werden muss, bis er bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommt.
· Interregionale Verteilungsgerechtigkeit gibt einen Hinweis darauf, ob und wie die Anlagen gerecht auf die Bundeslänger verteilt werden könnten.
· Schließlich sollten auch Auswirkungen auf den Natur- und Landschaftsschutz – etwa das Vorkommen windkraftsensibler Greifvögel – miteinbezogen werden.
Vorgehensweise beim Ausbau der Windenergie unterschiedlich
Alle Teilnehmenden einigten sich darauf, dass in jedem Bundesland Windräder mit einer Leistung von insgesamt mindestens drei Gigawatt gebaut werden sollten. Das entspricht ca. 900 Windrädern. Dieses Ergebnis steht jedoch im Gegensatz zur derzeitigen Ausbausituation. Windenergieprojekte werden aktuell zumeist an windreichen Standorten in der nördlichen Hälfte Deutschlands realisiert. Das liegt insbesondere am Ausschreibungssystem, in dem sich vorrangig die Windkraftprojekte mit den geringsten Kosten pro Kilowattstunde durchsetzen können.
Windertrag und Lastnähe waren für viele der Befragten die wichtigsten Kriterien für die Standortwahl, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Welches davon an erster Stelle stehen sollte, war jedoch umstritten. Gleichzeitig erachteten es alle Beteiligten als wichtig, dass der Ausbau gerecht auf die deutschen Bundesländer verteilt wird. Allerdings bestand Uneinigkeit, was gerecht in diesem Zusammenhang bedeutet. Für manche Teilnehmenden bedeutete dies, die Anlagen dort zu bauen, wo viel Leistungspotenzial vorhanden ist. Andere empfanden es beispielsweise als gerecht den Ausbau schwerpunktmäßig dort voranzubringen, wo der Strom gebraucht wird. Auf eine Rangfolge der Kriterien konnten sich die Expertinnen und Experten letztlich nicht einigen.
Was bedeuten die Ergebnisse für den Ausbau der Windenergie?
Diese Uneinigkeit zeigt, dass kein optimaler Weg für den Ausbau der Windenergie vorgegeben werden kann, sondern unterschiedliche Vorgehensweisen gesellschaftlich ausgehandelt werden müssen. Hier wird einmal mehr deutlich, wie wichtig transparente und partizipative Verfahren sind. Dies kann sich laut den Autorinnen und Autoren auch auf die Akzeptanz von Windenergie auswirken.
So sollten in diesem Zusammenhang Chancen und Nutzen stärker hervorgehoben werden. Gleichermaßen sei es wichtig, Anwohnerinnen und Anwohner auch über mögliche Konflikte von Windenergie zu informieren. Räumliche Zielkonflikte können dann entstehen, wenn zum Beispiel Auswirkungen auf Menschen sowie Natur reduziert und gleichzeitig günstige Strompreise oder Gerechtigkeitsaspekte berücksichtigt werden sollen. Verschiedene Interessen können nicht alle gleichermaßen Beachtung finden.
Daher werde eine gesellschaftliche Verständigung, welche Kriterien für den Ausbau und die Verteilung der Windenergie in Deutschland am wichtigsten sind, immer bedeutender. Eine solche Verständigung ist etwa notwendig, wenn für die einzelnen Bundesländer konkrete Flächenbeiträge zum Ausbau der Windenergie festgelegt werden sollen (vgl. auch Meier et. al. 2019).(nw)
Autoren: Paul Lehmann, Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbes. Umwelt- und Energieökonomik Leiter Nachwuchsforschungsgruppe MultiplEE , Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Infrastruktur und Ressourcenmanagement
Antje Nieber, M.A., Projektmanagment, Universität Leipzig in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ, Leipzig
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Weiterlesen:
Ecological Economics: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0921800921000872
Natur und Landschaft: Expertinnen und Experten uneinig: Nach welchen Kriterien soll der Windenergieausbau in Deutschland räumlich verteilt werden?
Quellen:
Deutsche WindGuard 2020: https://www.windguard.de/jahr-2020.html
Klimaschutzprogramm 2019: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzprogramm-2030-1673578
Meier et. al. 2019: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/12/beitrag/klimapolitik-wind-wohnen-verkehr.html
Prognos-Institut 2021: https://www.prognos.com/de/meldung/stromverbrauch-ad-hoc-abschaetzung-fuer-das-bmwi
Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut (2021): https://static.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2020/2020-01_DE-RE-Boost-2030/A-EW_198_OnshoreSofort_WEB.pdf