Warum eigentlich nicht mal vom Nachbarn lernen? Das hatte sich Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel gesagt, als er das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz 2016 in seinem Land etablierte. Die Dänen hatten es 2008 vorgemacht: An jedem Onshore-Windpark können sich dort die Anwohner mit bis zu 20 Prozent beteiligen. Seit Jahren wird allerdings an Land in Dänemark kaum ein neues Windrad aufgebaut – und das, obwohl viele längst im Repowering-Alter sind. Es bedarf einer neuen gesetzlichen Regelung, sagt auch Kristian Borch von der Technischen Universität Denmark, DTU. Er hat sich viel mit Akzeptanzfragen beschäftigt. „Das Gesetz funktionierte eine Zeit lang, aber jetzt suchen wir nach neuen Wegen. Offshore kommt es noch zur Anwendung, an Land kaum noch.“
Kohleausstieg
Gleichwohl kann der skandinavische Nachbar in Sachen Energiewende – oder wie der Däne sagt: den grønne omstilling – Vorbild für Deutschland sein. Zum Beispiel beim Kohleausstieg. Der ist nämlich für 2030 geplant. Lange herrschte Unsicherheit darüber, ob die aktuelle dänische Regierungskoalition bestehend aus Venstre, Liberal Alliance und Konservativen – also eine liberal-konservative Koalition – am Kohleausstieg der vorherigen Koalition aus Sozialdemokraten und Linksliberalen bis zum Jahr 2030 festhalten oder das Tempo drosseln will. Jetzt aber hat Energie- und Klimaminister Lars Christian Lilleholt das Ausstiegsjahr bestätigt. Zudem gehört Dänemark zu den inzwischen 20 Staaten, die einer Koalition für den Kohleausstieg angehören, die während der Klimakonferenz Cop 23 in Bonn im November 2017 gegründet wurde. Dänemark hat aber ohnehin nur noch drei Kohlekraftwerke, deren Betreiber die Schließung bereits für 2023, 2028 und 2030 eingeplant haben.
Dennoch hat das Thema die Dänen in jüngerer Zeit beschäftigt. Möglicherweise hat sich sogar der eine oder andere vom Staat zu sehr bevormundet gefühlt – spätestens mit einer Nachricht, die am 1. April als Pressemitteilung des dänischen Klima- und Energieministeriums zu lesen war und etwa folgende Aussage enthielt: „Die Regierung will Grillkohle verbieten – die Steaks müssen klimafreundlich sein.“ Gewissermaßen eine ganzheitliche Umsetzung des Kohleausstiegs. Das Ganze stellte sich als Aprilscherz heraus.
Für Stephanie Ropenus ein Beispiel für den typischen dänischen Humor. Sie hat die Dänen recht gut in der Zeit kennengelernt, als sie dort als Wissenschaftlerin am Risø National Laboratory, heute Teil der Technical University of Denmark/DTU, in Roskilde tätig war. In ihrer Promotion hat sie das dänische Energiesystem eingehend studiert. Und auch heute, als Projektleiterin für die Themen Netze, Digitalisierung und nordische Energiekooperation des Think Tanks Agora Energiewende, behält sie die Energiewende der Dänen im Auge.
Eine der Fragen, die sich beim Blick auf das Nachbarland immer stellen, lautet: Wie schaffen es die Dänen, bei einem so hohen Windstromanteil im Netz trotzdem keinen Blackout zu erleben? Die Wiege der Windkraft, Heimatland des Windturbinenherstellers Vestas, hatte 2017 einen Windstromanteil von 43,6 Prozent am Bruttostromverbrauch, bis 2020 sollen es gar 50 Prozent werden. Der Regenerativstromanteil liegt bereits bei 54 Prozent. Und nicht nur das: 2050 sollen es 100 Prozent sein – bis dahin sollen Strom-, Wärme- und Verkehrssektor dekarbonisiert sein. Ropenus erklärt, Dänemark habe viel Glück mit seiner geografischen Lage als Teil des nordeuropäischen Netzverbunds. „Interkonnektoren mit einer Leistung von rund 6,4 Gigawatt verbinden Dänemark mit seinen nordischen Nachbarländern und Deutschland – das ist mehr als die Spitzenlast des Landes, die etwa bei 6 Gigawatt liegt.“ Durch die Wasserkraft in Norwegen und Schweden ließen sich Schwankungen des eigenen Regenerativstromangebots sehr gut ausgleichen, so die Agora-Projektleiterin. In Zeiten eines besonders hohen Windaufkommens exportiert Dänemark entsprechend Windstrom in die Nachbarstaaten.
So weit alles schön und gut, aber mit einem Nachbarn hat es gerade Ärger gegeben. Die Europäische Kommission hat im März eine Untersuchung eingeleitet, die der Frage nachgeht, ob der deutsche Netzbetreiber Tennet TSO GmbH gegen EU-Antitrust-Regeln verstößt, weil er die Kapazität von Westdänemark nach Deutschland beschränkt.
Man sei mit Tennet im Gespräch, um eine Lösung zu finden, so Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerbsrecht. Nach ihrer Meinung ist es wichtig, dass alle Länder ihre Interkonnektoren geöffnet lassen, um den Stromhandel über die Landesgrenzen hinaus effizient, nachhaltig und wettbewerbsfähig zu machen. Der Stromhandel zwischen Westdänemark (Jütland) und Deutschland leidet unter dem zügigen Regenerativausbau auf beiden Seiten und fehlenden Netzkapazitäten innerhalb Deutschlands, um den Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. So standen im Jahr 2016 nur elf Prozent der Handelskapazität für den Markt zwischen Jütland und Deutschland zur Verfügung.
Die Länder haben sich im Juni 2017 darauf verständigt, dass die Interkonnektor-Kapazität ab 2020 schrittweise auf 1.100 Megawatt (MW) erhöht wird. Außerdem entsteht noch in diesem Jahr mit dem Offshore-Windpark Kriegers Flak eine Netzverbindung zwischen Schweden, Dänemark und Deutschland mit 400 MW. Und die Verbindung Cobra Cable zwischen Dänemark und den Niederlanden mit 700 MW soll im Jahr 2019 fertig sein.
Eine Stütze für das System sei aber auch, so Ropenus, dass Windstrom für die Minutenreserve genutzt werden könne: „Seit 2011 können Gebote für ein reines Regelenergieprodukt bis zu 45 Minuten vor der Einsatzstunde abgegeben werden, also sehr kurzfristig. Dabei kann auch ausschließlich negative Regelenergie geboten werden. Windkraft wird dann entsprechend abgeregelt.“ Während in vielen anderen Ländern sowohl negative als auch positive Regelenergie angeboten werden muss, kann man in Dänemark durch asymmetrische Ausschreibungen auch nur negative oder nur positive Regelenergie anbieten. Innovativ ist auch der Ansatz, dass kein Kapazitätsprodukt vorgehalten werden muss – was in anderen Märkten immer noch sehr verbreitet ist.
Vorbildlich bei der Wärmewende
Weniger bekannt als der hohe Windkraft-Anteil ist derweil die Tatsache, dass Dänemark auch bei der Wärmewende absolut vorbildlich ist. Die Wärmeversorgung basiert dort zu rund 65 Prozent auf erneuerbaren Energie. Dezentrale Kraftwärmekopplung und Fernwärme spielen dabei eine entscheidende Rolle. 16 zentrale KWK-Anlagen, die mit Kohle, Erdgas, Öl und Biomasse befeuert werden und auf 4 Gigawatt (GW) kommen, stehen inzwischen etwa 1.000 dezentralen KWK-Anlagen gegenüber, die mit Erdgas, Abfällen, Biogas und Biomasse befeuert werden – zusammen haben sie eine Leistung von 2,5 GW. Aber auch strenge gesetzliche Vorgaben entfalteten ihre Wirkung. „Seit 2013 sind in Dänemark keine Öl- und Gasheizungen mehr in neuen Gebäuden zulässig. Seit 2016 sind neue Ölheizungen auch in Bestandsgebäuden verboten, wenn ein Anschluss ans Fernwärme- oder Erdgasnetz besteht“, berichtet Stephanie Ropenus. Und auch die Sonne wird für die Wärmegewinnung im Norden genutzt. So hat sich die solare Fernwärmeversorgung im Jahr 2016 fast verdoppelt. Eine weitere Idee der Dänen: steuerlicher Anreiz für den stromnetzoptimierenden Einsatz von Elektrokesseln.
Besonders populär ist derzeit die große Wärmepumpe bei den Skandinaviern: Die Regierung hat ein Expertenteam zusammengerufen, das Betreibern von dezentralen KWK-Anlagen hilft. Der Grundbeløb – eine produktionsmengenunabhängige Förderung für dezentrale KWK – entfällt Ende dieses Jahres aufgrund von EU State Aid Regulation. Deshalb hilft diese Reisegruppe den Kraftwerksbetreibern mit der Installation großer Wärmepumpen, um KWK zur Integration der Windenergie weiter zu flexibilisieren. (Nicole Weinhold)
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