Die solare Energiewende in Städten geht nur schleppend voran. Ein Grund ist die komplizierte Umsetzung von Solarprojekten auf kleineren Mehrfamilienhäusern. Die bisherigen Mieterstrommöglichkeiten waren vor allem für große Gebäude mit vielen Wohneinheiten attraktiv und wirtschaftlich umsetzbar. „Gebäude mit zehn Wohneinheiten sind in der Regel für ein Mieterstromprojekt zu klein. Wir müssen bei solchen Anfragen immer wieder absagen, weil wir dort ein Mieterstromprojekt nicht wirtschaftlich umsetzen können“, sagt Sarah Debor, Leiterin des Geschäftsfelds Urbanes Wohnen beim Ökoenergieanbieter Naturstrom.
Sie weiß auch, woran es liegt: „Je weniger potenzielle Kunden eine Immobilie bietet, desto stärker fallen die Overhead-Kosten ins Gewicht und machen die Vorteile des preiswerten Solarstroms wieder zunichte.“ Diese allgemeinen Kosten verteilen sich bei großen Gebäuden auf viele Nutzer und werden dadurch pro Wohneinheit geringer.
Abrechnung vereinfacht
Doch durch das Inkrafttreten des Solarpakets I im April 2024 könnte sich dies nun ändern. Denn jetzt ist die sogenannte gemeinschaftliche Gebäudeversorgung möglich. Dadurch können beispielsweise die Bewohner eines Gebäudes oder auch ein Dienstleister die Solaranlage auf dem Dach betreiben, den Solarstrom vor Ort nutzen oder verkaufen und das mit verringerten Anforderungen an die Abrechnung. Dies ist grundsätzlich für kleinere Immobilien eine Möglichkeit, die Photovoltaik auf dem Dach einfacher umzusetzen. Denn die Overhead-Kosten sinken.
44,1 Gigawatt Solarstromleistung würden auf Dächern der Wohngebäude in Deutschland mit einer Größe von mehr als 500 Quadratmetern Platz finden. Bezieht man alle Wohngebäude ein, steigt das Potenzial auf 310,2 Gigawatt.
So ist beispielsweise die Rechnungslegung im Vergleich zum Mieterstrom viel einfacher. „Die Anlagenbetreiber können auf einige Informationen und Transparenzpflichten, die üblicherweise für Rechnungen verlangt werden, verzichten. Dazu gehört beispielsweise die Angabe zur Herkunft des Stroms. Auch weitere Informationen, die sonst auf einer Rechnung stehen müssen wie beispielsweise die Zählernummern und andere Angaben können teilweise weggelassen werden“, weiß Jennifer Englhardt, Beraterin für erneuerbare Energien bei Ampeers Energy.
Mieterstrom derzeit wirtschaftlicher
Doch noch wichtiger ist, dass bei der gemeinschaftlichen Gebäudeanlage der Betreiber nicht mehr für die Reststromlieferung verantwortlich ist, wie das beim Mieterstrom der Fall ist. „Dadurch fällt das Risiko der Reststrombeschaffung weg“, sagt Jennifer Englhardt. „Denn wenn die Kosten für den Reststrom höher sind, als man für den Mieterstromtarif eingeplant hat, um den Mietern einen günstigen Gesamtpreis zu bieten, sinken die Margen für den Betreiber. Dieses Risiko muss der Betreiber natürlich abfedern können.“
Für die Wohnungswirtschaft ist der Mieterstrom dennoch wirtschaftlicher als die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung, da in der Regel für die Solarstromlieferung kein Grundpreis verlangt wird und dieser somit auf der Erlösseite wegfällt. Zudem gibt es für den Mieterstrom eine Förderung, die eingepreist werden kann.
Bei der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung liefert der Anlagenbetreiber nur den Solarstrom an die Mieter oder Wohnungseigentümer im Gebäude. Jeder der Belieferten kann sich seinen Stromversorger für die Reststromlieferung selbst aussuchen. Auch das senkt die Hürden für Mieter und Wohnungseigentümer, den Sonnenstrom vom Dach zu nutzen.
Der Anlagenbetreiber muss mit allen interessierten Bewohnern einen entsprechenden Liefervertrag abschließen. Dieser muss einige zentrale Angaben enthalten, wie den Beginn der Belieferung und natürlich den vereinbarten Preis.
Strom aufteilen
Neben dem Arbeitspreis kann der Betreiber noch einen Grundpreis verlangen. Auch dies muss im Liefervertrag festgehalten werden. „Es gibt keine Restriktionen, wie viel der Anlagenbetreiber als Grundpreis verlangen darf, wie in der Mieterstromversorgung, wo dieser auf 90 Prozent des Preises der Grundversorgung gedeckelt ist“, sagt Jennifer Englhardt. „Doch das wird sich einspielen. Denn wenn dieser Grundpreis zu hoch ist, wird wahrscheinlich niemand den Strom im Gebäude kaufen.“
Die Herkunft jeder Kilowattstunde, ob sie von der Photovoltaikanlage oder aus dem Netz kommt, muss durch die Messung festgestellt werden.
Im Liefervertrag muss auch unbedingt geregelt werden, wie der erzeugte Solarstrom auf die verschiedenen Nutzer im Gebäude aufgeteilt wird. Für den Aufteilungs- und auch späteren Abrechnungsschlüssel gibt es zwei Möglichkeiten: statisch oder dynamisch. Bei der statischen Aufteilung wird jeder Wohneinheit ein fester Anteil des viertelstündlich produzierten Solarstroms zugeteilt, der im Gebäude direkt verbraucht wird.
Eigenverbrauch maximieren
Die Verteilung kann sich an der Haushaltsgröße orientieren oder sich gleichmäßig auf alle Einheiten erstrecken. Dieser Anteil des in der jeweiligen Viertelstunde insgesamt verbrauchten Solarstroms wird dann vom gemessenen Gesamtverbrauch der Wohneinheit abgezogen – gleichgültig, ob diese Strommenge tatsächlich in diesem Haushalt verbraucht wurde – und vom Lieferanten des Reststroms nicht in Rechnung gestellt. Verbraucht ein Haushalt in der jeweiligen Viertelstunde mehr Strom, wird trotzdem nur der Anteil angerechnet, der vorher vereinbart war.
Bei der dynamischen Aufteilung werden alle innerhalb des Viertelstundenintervalls mit der Solaranlage erzeugten Strommengen entsprechend dem tatsächlichen Verbrauch zugeteilt und abgerechnet. Dadurch bekommen Haushalte mit einem höheren Stromverbrauch zum Zeitpunkt der Produktion mit der Solaranlage auf dem Dach auch mehr Strommengen zugewiesen.
Dadurch wird der gesamte Eigenverbrauch aller teilnehmenden Haushalte maximiert. „Das kann insbesondere dann vorteilhaft sein, wenn Wärmepumpen oder Elektroautos als Stromverbraucher eingebunden sind, da der Stromverbrauch hier zu anderen Zeitpunkten erfolgt als der sonstige Haushaltsstromverbrauch“, rät der Solarenergie-Förderverein Deutschland. Strommengen, die nicht im Gebäude verbraucht werden, fließen ins Netz. Der Betreiber der Solaranlage bekommt dafür die Einspeisevergütung nach Erneuerbare-Energien-Gesetz im Tarif für Eigenverbrauchsanlagen.
100,89 Megawatt Mieterstromleistung waren Ende September 2024 auf den Dächern deutscher Mehrfamilienhäuser installiert.
Voraussetzung für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist, dass alle teilnehmenden Wohneinheiten mit einem intelligenten Messsystem und das Gebäude mit einem Smart-Meter-Gateway ausgestattet sind. So können Messstellenbetreiber und Netzbetreiber die gesamten Stromverbräuche sowie auch produzierte, eingespeiste und vor Ort verbrauchte Solarstrommengen registrieren und in die gesamte Abrechnung einbeziehen.
Jede Kilowattstunde richtig erfassen
Doch an dieser Stelle wird es komplizierter. „In der Realität ist es noch nicht möglich, die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung in der Praxis über Pilotprojekte hinaus umzusetzen, wie es vom Gesetzgeber gewünscht war“, sagt Jennifer Englhardt. Die Engstelle ist die Bilanzierung der Strommengen. „Wir sind auch mit mehreren Messstellenbetreibern und Netzbetreibern im Austausch, die für diese Bilanzierung in der Marktkommunikation einen Standard finden müssen“, erklärt die Expertin von Ampeers Energy. „Wir verfolgen die Entwicklung aufmerksam. Die Herkunft jeder Kilowattstunde, ob sie von der Photovoltaikanlage oder aus dem Netz kommt, muss durch die Messung festgestellt werden, um jeweils den richtigen Preis ansetzen zu können. Denn die Hausbewohner haben nicht zwei Zähler, einen für den Solarstrom und einen für den Netzstrom.“
Doch es ist derzeit noch schwierig, die einzelnen Strommengen voneinander zu unterscheiden und genau festzustellen, wo und wann im Gebäude Solar- oder Netzstrom verbraucht wird.
Bilanzierung noch nicht geregelt
Diese Teilung ist nicht so einfach. „Wenn wir nur den einfachsten Fall nehmen, dass jährlich abgerechnet wird, muss der Messstellenbetreiber zum Abrechnungszeitpunkt einen Wert verbrauchter Strommengen an den Netzbetreiber schicken und dieser schickt ihn an den Versorger, damit der abrechnen kann. Das heißt, der Bedarf an Daten, die der Netzbetreiber empfangen und speichern muss, wächst rasant bei einem viertelstundenscharfen Lastgang von mehreren separaten Wohneinheiten im Gebäude. Das sind nur für eine Wohneinheit 35.040 einzelne Verbrauchswerte pro Jahr. Es ist eine immense Herausforderung, diese 35.040 Verbräuche im Lastgang prozessual zu verarbeiten und abzurechnen.“
Genau diese Bilanzierung ist bisher noch nicht geregelt, selbst wenn die Messung der Strommengen mit den Smart-Meter-Gateways inzwischen möglich wird. „Die Formeln für die korrekte Berechnung der einzelnen Strommengen werden komplexer und dies muss die Software beim Netzbetreiber abdecken können“, erklärt Sarah Debor von Naturstrom. „Die Netzbetreiber arbeiten zwar schon mit Abrechnungssoftware. Doch die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist ein Sonderfall, der bisher noch nicht einprogrammiert ist. Dies müssen die Netzbetreiber erst einmal umsetzen“, sagt sie mit Blick auf die Zukunft.
Umsetzung kann noch dauern
Die Aussichten sind gut. Wenn die schwierige Bilanzierung der einzelnen Strommengen geklärt ist, werden die Projekte auch umgesetzt. „Es wird sicherlich noch eine Weile dauern, bis alle Kombinationen von gemeinschaftlichen Solaranlagen mit Speichern, Wärmepumpen und Ladesäulen für Elektroautos in die Software integriert sind“, sagt Sarah Debor. Denn die Komplexität der Kundenanlagen kann in diesen Fällen sehr groß werden und für jede wird dann eine Verrechnungsformel benötigt.