Den Streitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine im Januar 2009 haben der Europäischen Union die Abhängigkeit von russischem Gas ganz deutlich vor Augen geführt. Durch ein Abdrehen des Gashahnes kam es in den kalten Januar-Tagen zu einem Ausfall von rund sieben Milliarden Normkubikmetern Erdgas. Diese Menge von sieben Milliarden Kubikmetern muss nun in Relation zu dem Gesamtbedarf der Europäischen Union gesehen werden: Der jährliche Erdgasbedarf der 27 EU-Staaten liegt derzeit bei etwa 500 Milliarden Kubikmetern. Deutschland brauchte zuletzt rund 90 Milliarden Normkubikmeter pro Jahr. Um diese drastische Abhängigkeit von russischem Erdgas (Methan) zu mildern, will die Bundesregierung die Erzeugung von Biomethan vorwärtsbringen. Als Zielmarke für die Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz sind sechs Milliarden Normkubikmeter für 2020 anvisiert. Um das 2020-Ziel zu erreichen, ist nach Berechnung des Landwirtschaftsministeriums der Bau von rund 120 Einspeiseanlagen pro Jahr nötig. Zum jetzigen Zeitpunkt speisen 35 Einzelanlagen gerade einmal 163 Millionen Normkubikmeter ein. Das sind 2,7 Prozent des angestrebten Ziels. Wie kann nun die Einspeisung in Deutschland substanziell erhöht werden?
Gehemmtes Multitalent
Zwar gilt Biogas als Multitalent unter den Energieträgern, weil das energiereiche Methan-Molekül leicht transportiert und sowohl für den Strom-, Wärme- und Verkehrssektor genutzt werden kann. Mehrere Rahmenbedingungen verhindern aber, dass Biogas sein Talent richtig entfalten kann. „Der beste Weg ist die effiziente Nutzung über Kraft-Wärme-Kopplung“, sagt Bodo Drescher, Geschäftsführer bei MT Energie. Dabei wird in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) Strom produziert und die Wärme gleich mit genutzt; rund 40 Prozent des Energiegehalts des Moleküls geht ins Stromnetz, der Rest wird beispielsweise für die Heizung von Häuser verwandt.
In der Realität kommt eine sinnvolle Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) seltener vor. Biogasanlagen sind meist in ländlichen Regionen gebaut: Sie produzieren lediglich Strom und haben häufig keine adäquate Wärmesenke mit mindestens 50 Prozent Absatzmöglichkeit. Liegt eine Wärmenutzung vor in Form einer Beheizung von Häusern, so kommt es meist zu einer 25- bis 30-prozentigen Jahresauslastung, erläutert Drescher. Wärme wird schließlich nur im Winter gebraucht. Eine bessere Jahresauslastung wiesen Anlagen auf, die Wärme an industrielle Prozesse abspeisen. Wegen der fehlenden Wärmesenke bei vielen Anlagen böte sich nun die Aufreinigung des Biogases und eine Einspeisung ins Erdgasnetz an: Dann kann das Gas an geeigneter Stelle zu einem höheren Wirkungsgrad genutzt werden: beispielsweise in einem anderen BHKW mit guter Wärmenutzung.
Etablierte Technik
Die derzeit am Markt etablierten Aufbereitungstechnologien werden bereits seit mehreren Jahrzehnten bei der Erdgaswäsche verwendet. In den vergangenen Jahren ist eine Anpassung der Technologie an die kleineren Skalen bei der Biogasaufreinigung und auf die Komponenten des Biogases erfolgt. Die erprobten Aufbereitungsverfahren können grob nach Adsorption, Absorption und Permeation unterschieden werden.
Beim Adsorptions-Prinzip haften die Kohlendioxid-Moleküle als auch andere Verunreinigungen unter erhöhten Druckverhältnissen an den Molekularsieben auf Kohlebasis an. Das unterschiedliche Lösungsverhalten von Molekülen machen sich die Absorptions-Verfahren zunutze: So löst sich das Kohlendioxid gut in Wasser aber noch viel besser in organischem Lösungsmittel als der Methan-Gasstrom. Bei dem dritten Verfahrenstyp, der Permeation, erfolgt die Trennung durch die unterschiedliche Molekülgröße. Da beispielsweise Kohlendioxid, Wasser oder Schwefelwasserstoff kleinere Moleküle sind, permeieren sie weitaus schneller durch eine Membran als das viel größere Methan-Molekül.
„Bis auf die Membrantechnik sind im Prinzip alle Technologien am Markt etabliert“, sagt Jörg Polzer, Produktmanager bei der Haase Energietechnik AG. Zwar besitzt jedes Verfahren seine Stärken – je nach Umgebung, ob an einem Standort viel Wärme vorhanden ist oder nicht, können unterschiedliche Vefahren zum Einsatz kommen. Nach Informationen der Deutschen Energieagentur existieren derzeit zwölf Anlagen, die nach dem Prinzip der Druckwechseladsorption arbeiten (siehe Diagramm oben). Sie liefern rund 30 Prozent (6425 Normkubikmeter pro Stunde) des gesamten in Deutschland produzierten Biomethans. Rund 38 Prozent des Biomethans (8048 Normkubikmeter pro Stunde) wird über sieben Druckwasserwäsche-Anlagen erzeugt. Auf Platz drei stehen zehn Waschanlagen mit einem chemischen Mittel; sie produzieren 24 Prozent oder 5160 Normkubikmeter pro Stunde. Eine relativ starke Entwicklung innerhalb der Branche hat zuletzt die drucklose Aminwäsche nach dem BCM-Verfahren der DGE GmbH gemacht (siehe S. 94). Die DGE GmbH arbeitet vor allem an kleineren Einspeiseanlagen. Nach gängiger Meinung vieler Experten und Wissenschaftler ist derzeit die Wirtschaftlichkeit erst ab einer Schwelle von 500 Normkubikmetern Rohbiogas pro Stunde gegeben; das entspricht einer Anlage von einem Megawatt elektrischer Leistung. Die DGE GmbH arbeitet nun an einer Einspeiseanlage mit einer Kapazität von 50 Normkubikmetern pro Stunde.
Hohe Investitionen
Eine Einspeiseanlage stellt eine Investition dar. „Eine Aufbereitungsanlage mit einer Kapazität von 1000 Normkubikmetern pro Stunde kostet je nach Hersteller zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Euro“, sagt Michael Beil, Wissenschaftler am Fraunhofer IWES in Hanau. Bei einer kleinen Anlage mit einer Kapazität von 250 Normkubikmetern schlägt die Einspeiseanlage mit 500.000 bis 800.000 Euro zu Buche. Diese Investition muss vom Investor durch Mehrerlöse wieder hereingeholt werden. Und das ist derzeit das Problem: Nicht alle Nutzungspfade sind lukrativ.
Wird das ins Erdgasnetz eingespeiste Biomethan an anderer Stelle in einem BHKW verstromt, so greift als Vergütung das EEG. Der BHKW-Betreiber hat Anspruch auf die Grundvergütung, sowie gegebenenfalls auf Nawaro-, KWK- und Technologie-Bonus. Gülle- und Luftreinhaltebonus greifen in diesem Fall nicht. Der Lieferant des Biomethans erhält über einen Biomethanliefervertrag sein Geld. In den beiden anderen Nutzungspfaden, dem Wärme- und dem Treibstoffmarkt, ist die Lukrativität weniger gegeben. Biogas steht nämlich in Konkurrenz zum günstigen Erdgas, das momentan deutlich billiger ist. Als erster deutscher Energieversorger bietet die Naturstrom AG seit Dezember vergangenen Jahres 100 Prozent Biogas im Wärmemarkt an. Jedoch zu einem hohen Preis: Die Kilowattstunde kostet 12,95 Cent. Damit ist es etwa doppelt so teuer wie Erdgas. Naturstrom bietet auch noch Biogasmix an: Erdgas mit zehn Prozent Biogas schlägt mit 6,25 Cent, mit 20 Prozent Biogas mit sieben Cent pro Kilowattstunde zu Buche.
Im Kraftstoffbereich bieten zahlreiche Gasversorger vermischte Biogas-Erdgas-Kraftstoffe an. Die Berliner Gasag hat einen Bio-20-Tarif an rund einem Dutzend Erdgastankstellen in Berlin im Angebot. Der Preis für das Kilogramm Bio-20-Kraftstoff lag jüngst bei 1,07 Euro, während reines Erdgas zum Preis von 99 Cent vermarktet wird. In Jameln und in Bottrop gibt es die ersten reinen Biomethan-Tankstellen. Neben dem Preisdefizit gibt es noch weitere Barrieren. So muss der Einspeiser das Biomethan selbst vermarkten (siehe S. 95). Zudem erweist sich die Kooperation zwischen Einspeiser und Gasnetzbetreiber als sehr konfliktreich, weil Details noch nicht in der Tiefe geklärt sind (siehe Seite 92). Ein weiteres Manko: „Es gibt keine technischen Standards“, sagt Bodo Drescher. Jeder Gasnetzbetreiber stelle andere Anforderungen an die Einspeiseanlage. Hier tue eine Vereinheitlichung dringend not.
Streit ums richtige Konzept
Um nun der Einspeisung einen neuen Schub zu geben, haben die Verbände der Branche unterschiedliche Konzepte. Der Fachverband Biogas fordert seit vergangenem Jahr ein eigenständiges Erneuerbares-Gas-Einspeisegesetz (EGE). Unterstützung erhielt der Verband im August 2009 von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Dieses Gesetz soll, entsprechend dem EEG, einen privilegierten Anschluss für Biogas ermöglichen und eine marktorientierte Vergütung beinhalten. Eine große Unterstützung findet die Idee eines Einspeisegesetzes bei den Grünen. „Wir kämpfen für solch ein Gesetz bereits seit zehn Jahren“, erläutert Grünen-Bundestagsabgeordneter Hans-Josef Fell. Mit solch einem Instrument könnte das Kartell der großen Gas-Konzerne gebrochen werden und der Markt für neue mittelständische Unternehmen geöffnet werden. Zudem könnte das EGE dem Sektor eine Dynamik verleihen wie vor zehn Jahren das EEG dem Stromsektor.
Der Biogasrat, ein im vergangenen Jahr gegründeter Verband im Biogassektor, in dem vor allem große Gasversorger integriert sind, plädiert gegen ein Einspeisegesetz und für eine Verordnung innerhalb des EEG. „Der Wärmemarkt muss für Biogas geöffnet werden“, schreibt der Verband in einem Positionspapier. Dafür bedürfe es einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes. Im Prinzip möchte der Verband eine Pflicht zu erneuerbarer Wärme in Form einer Anreicherung von Biomethan im Erdgas bei Neubauten.
Bodo Drescher von MT Energie erklärt, worin sich die Vorschläge unterscheiden: „Im Prinzip geht es um die höchsten Wirkungsgrade bei der Umsetzung.“ Der Fachverband setzt weiter auf effiziente Wege wie KWK. Wird stattdessen Biomethan im Wärmemarkt genutzt, so sinken die Wirkungsgrade bei der Umsetzung. Was nicht heißt, dass Biogas im Wärmemarkt keine Berechtigung hat: Gerade in Städten wird vor allem mit Gas geheizt. Mit Biomethan könnten dort in nennenswertem Umfang regenerative Energien integriert werden. Dies scheint deutlich einfacher zu realisieren, als etwa Holzheizungen in großem Umfang in Wohnkomplexen einzubauen. Die kurzfristige Etablierung eines liquiden Marktes ist für die Hersteller von essenzieller Bedeutung. „Wir brauchen eine Stimulierung des Biomethanmarktes“, erläutert Jörg Polzer. Derzeit stellen Hersteller nicht mehr als zehn Anlagen im Jahr her. Um zu deutlichen Senkungen der Investitionskosten zu kommen, bedarf es wesentlich höherer Stückzahlen.
Armin Leßner