Da wartet noch ein bisschen Arbeit auf die Offshore-Branche: Am 31. Dezember 2022 betrug die installierte Leistung der in Betrieb befindlichen Offshore-Windenergieprojekte 8,1 Gigawatt (GW). Bis zum Jahr 2030 soll die Leistung auf insgesamt mindestens 30 GW, bis zum Jahr 2035 auf mindestens 40 GW und bis zum Jahr 2045 auf 70 GW gesteigert werden. Diese Ausbauziele für die Offshore-Windenergie wurden in der Novelle zur Änderung des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) im Sommer 2022 gesetzlich verankert und die Europäische Kommission gab im Dezember 2022 die beihilferechtliche Genehmigung, sodass die Änderungen wie geplant zum 1. Januar 2023 in Kraft treten konnten. Das Auf und Nieder der vergangenen Jahre gibt keinen Anhaltspunkt, ob die Ziele zu schaffen sind. Es zeugt lediglich von einer verfehlten Energiepolitik der Vorgängerregierungen: 2021 wurde fast gar nichts an Offshore-Kapazität vor unseren Küsten ins Wasser gestellt. 2015 kam man aber auch schonmal auf über 2.000 Megawatt (MW). 342 MW waren es 2022. „Wir müssen gemeinsam mit der Politik umgehend eine realistische Grundlage für die Umsetzung der Ausbauziele im Bereich Windenergie auf See für Strom und grünen Wasserstoff schaffen“, mahnen da schonmal die Branchenorganisationen BWE, BWO, Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE, VDMA Power Systems, WAB e.V. und WindEnergy Network e.V. an. Für das Erreichen der Ausbauziele bis 2030 müssten in Deutschland in weniger als acht Jahren 22 Gigawatt (GW) auf See installiert werden, heißt es von den Verbänden. „In Europa sollen in diesem Zeitraum zusammen rund 150 GW Windenergieleistung zugebaut werden. Die Branche erwartet daher einen erheblichen Anstieg ab 2025 und vor allem gegen Ende des Ausbauzieles 2030, was eine industrielle Machbarkeit voraussetzt.“ Für den Aufbau stabiler Lieferketten und einen zukunftsorientierten Ausbau von Fertigungskapazitäten brauche es einen stetigen und gleichmäßigen Zubau-Pfad.
Und übrigens: nachdem Deutschland lange die Nummer 2 hinter Großbritannien bei den jährlichen Installationen auf dem Meer war, sind inzwischen viele an dem vermeintlichen Klimavorreiter vorbeigezogen: China, Nr. 1, sowieso. Aber auch die kleinen Niederlande haben Deutschland beim jährlichen Zubau 2022 überholt. 2021 natürlich auf, schließlich hatte Deutschland im vorvergangenen Jahr gar nicht aufgestellt. Der chinesische Offshore-Windsektor wächst weiter mit einer Gesamtkapazität 2022 von 3.195 MW, die derzeit im Bau ist. Taiwan liegt mit einer Jahreskapazität 2022 von 2.505 MW im Bau an zweiter Stelle, dicht gefolgt von den Niederlanden mit 2.259 MW. Großbritannien und Frankreich folgen an vierter und fünfter Stelle mit 1.590 MW bzw. 1.473 MW im Bau.
Die im Jahr 2022 in Betrieb genommenen Anlagen sind mit je 9 MW die bisher leistungsstärksten Offshore-Windenergieanlagen in Deutschland. Der Trend wird sich fortsetzen: Die durchschnittliche Anlagenleistung wächst auf über 11 MW im Jahr 2025, die Rotoren gehen von 167 auf 201 m auseinander. Die Nabenhöhe steigt von 108 auf 130 m. Vestas hat gerade die Installation des Prototyps der V236-15,0-MW-Windturbine im nationalen Testzentrum für große Windturbinen Østerild in Westjütland, Dänemark, abgeschlossen. Der Prototyp hat erfolgreich seine ersten Kilowattstunden (kWh) Strom produziert und wird nun einem umfangreichen Test- und Prüfprogramm unterzogen, bevor die vollständige Typenzertifizierung und die Serienproduktion beginnen. Und GE Renewable Energy und Siemens Gamesa haben bereits Prototypen ihrer Offshore-Giganten mit einer Leistung von jeweils 14 MW errichtet. Kein Wunder: Die Stromproduktion auf hoher See muss immer effizienter werden.
Nach der ersten Ausschreibungsrunde im zentralen Modell in 2021 für die Flächen N-3.7, N-3.8 und O-1.3 hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) im September 2022 das Ergebnis der zweiten Ausschreibungsrunde veröffentlicht. Es ging um die voruntersuchte Fläche N-7.2 in der Nordsee mit 980 MW, die zu einem Höchstwert von 6,4 ct/kWh ausgeschrieben war. Den Zuschlag erhielt ein Tochterunternehmen von RWE mit einem Zuschlagswert von 0,0 ct/kWh. Allerdings nutzte Vattenfall ein bestehendes Eintrittsrecht, sodass der Zuschlag auf Vattenfall überging. Die Novelle des WindSeeG sieht künftig ein geändertes Ausschreibungssystem vor. Für das Erreichen der erhöhten Ausbauziele soll der Ausbau beschleunigt werden, indem auch nicht-voruntersuchte Flächenausgeschrieben werden. Die zentral voruntersuchten Flächen sollen anhand verschiedener Kriterien wie Gebot für eine Zahlung und nicht-finanzielle Kriterien wie Dekarbonisierung vergeben werden. Für nicht zentral voruntersuchte Flächen wird das bisherige Gebotsverfahren um eine dynamische Regelung im Falle mehrerer 0-Cent-Gebote ergänzt. Gemäß diesen gesetzlichen Änderungen sollen im Jahr 2023 zwei Ausschreibungsrunden stattfinden: 1. Juni 2023: nicht-voruntersuchte Flächen mit einem Volumen von 7.000 MW. Und 1. August 2023: voruntersuchte Flächen mit einem Volumen von 1.800 MW.
Um die vorgesehenen Ausbauziele zu sichern, sind nach einhelliger Meinung der Verbände Anpassungen am WindSeeG erforderlich. Die im WindSeeG 2022 eingeführte Gebotskomponente erhöhe die Risiken für Investoren und belaste die Stromkunden mit zusätzlich steigenden Preisen. Denn klar sei, dass die Windparkbetreiber auf See die Gebotskomponente zurückverdienen müssten. Der Ukraine-Krieg habe schmerzhaft gezeigt, wie wichtig Akteursvielfalt ist. Zu deren Gewährleistung besteht im aktuellen Ausschreibungsdesign allerdings kein Sicherungsmechanismus. Hier sollte die maximal zu bezuschlagende Ausbaumenge pro Bieter und Jahr begrenzt werden. „Aufgrund des großen Volumens der Ausschreibungen müssen Regierung und Industrie von Anfang an Hand in Hand arbeiten, um Nachbesserungen zu vermeiden. Das betrifft auch den Erhalt der Akteursvielfalt der Projektierer“, so die Interessenvertretungen.
Ausschreibungen, die Auftragseingänge für die Zulieferindustrie ermöglichen, stehen derweil noch aus. Aufträge sind erforderlich, um das „Wiederhochfahren“ der Offshore-Windindustrie für den deutschen Markt und die notwendigen Investitionen in Produktion und Lieferkette, Infrastruktur und Logistik zu ermöglichen. Mit einem Wachstum der Offshore-Wind-Zulieferkette eröffneten sich neben einer kostengünstigen Energieversorgung und einer größeren Versorgungssicherheit Europas immense Wertschöpfungspotenziale. Zusätzlich böten sich ebenfalls langfristige und zukunftsorientierte Beschäftigungsperspektiven. Diese gelte es neben dem erforderlichen Klimaschutz zu verwirklichen, unterstreichen die Branchenorganisationen den aktuell erforderlichen politischen Handlungsbedarf.