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Kein Geld für revolutionäre Technologien?

Nicole Weinhold

Seltsam, ein Windradbaum? 2016 überraschte der dänische Hersteller Vestas die Windwelt mit einem seltsamen Prototyp: Vier Turbinenköpfe hingen da an einem Turm. Der fast vergessene Multirotor des Niederländers Henk Lagerweij war damit wieder in aller Munde. Die Idee: die vierfache Leistung zum Preis von nur einem Fundament und Anschluss. Bis heute hat Vestas keinen weiteren Windbaum dieser Art errichtet. Doch die Schlussfolgerung, der technologische Ansatz sei gescheitert, wäre verfrüht. Denn die physikalischen Skalierungsgesetze sprechen dafür, dass man viele kleine Rotoren statt eines großen einsetzt. Das sogenannte Square Cube Law besagt, dass wenn wir eine Anlage vergrößern, der Ertrag quadratisch mit dem Durchmesser steigt. Aber das Materialvolumen und damit auch die Kosten steigen kubisch. Wenn wir Anlagen immer größer bauen, laufen uns die Kosten im Verhältnis zum Mehrertrag aus dem Ufer. Nur durch kontinuierliche Designverbesserungen ließ sich diese Regel bisher aushebeln. Einige Wissenschaftler und Unternehmen haben das Multirotordesign also weiterverfolgt.

Was ist heute der Stand der Dinge? „Das erste vom Bundesforschungsministerium finanziell unterstützte Multirotor-Forschungsprojekt der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) mit Siemens Gamesa startete 2016/17 und lief Ende 2021 aus. Wir befinden uns jetzt in der zweiten Phase, die wir gemeinsam mit EnBW umsetzen“, sagt Abdullah Khisraw. Er und sein Kollege Sven Störtenbecker sind wissenschaftliche Mitarbeiter des CC4E der Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW Hamburg. In der aktuellen Forschung geht es noch bis Mitte 2025 um Fragen der Betriebs- und Wartungsphase von Multirotoren: Wie wartungsintensiv ist das Design, wie gut lässt es sich pflegen und reparieren?

225 Meter Höhe und 180 Meter Breite könnte die Tragstruktur eines Multirotors mit acht Turbinen in drei Reihen und 20 Megawatt Leistung haben.

Projekt X-Multirotor DFM

Das Projekt X-Multirotor DFM (Design for Maintenance), wie die zweite Forschungsphase am Multirotor offiziell heißt, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und verfolgt die präzise Abschätzung und Reduzierung von Betriebskosten für verschiedene Multirotor-Modelle, die auf dem Meer betrieben werden können. Ziel der Projektgruppe ist es, durch die Entwicklung innovativer Wartungsstrategien und Designs ein Anlagenkonzept zu schaffen, das die Stromgestehungskosten (LCOE) auf ein Minimum senkt. Die Bau- und Betriebskosten einer Anlage werden für die LCOE-Ermittlung ins Verhältnis zur erzeugten Strommenge gesetzt, welche die Anlage über ihre Lebensdauer erzeugt.

In einem angedachten Folgeprojekt würden die Wissenschaftler gerne ein Multirotor-Labormodell in einem Windkanal untersuchen, um die Interaktionen zwischen Rotor-Rotor und Rotor-Trag­struk­tur zu vermessen. „Gemessen werden soll an einer Version mit sieben Rotoren. Wenn alles gut läuft, soll diese ab 2025 gebaut werden“, sagt Sven Störtenbecker. Parallel soll das Modell auch in einer Computersimulation auf Rotorlasten, Struktur und Nachlaufeffekte untersucht sowie mit den Mess­ergeb­nissen abgeglichen werden. Das Ziel wären Ingenieursmodelle für die Berücksichtigung der Interaktionen, die in gängigen Lastsimulationstools nicht abgebildet werden.

Ein für die Wissenschaftler in dem Zusammenhang interessantes Ergebnis hat die Untersuchung des Vestas-Multirotors beim Thema Abschattung hervorgebracht: Die Rotoren können dichter zusammenstehen als herkömmliche Windkraftanlagen.

Es gebe zudem auch die Idee, auf einen Turm ganz zu verzichten und nur noch einen auf einer Plattform befestigten Tragrahmen mit Reihen und Spalten zu nutzen, sagt Khisraw. Auch für Betrieb und Wartung erscheint das interessant, zumal man feste Aufzüge und Kräne nutzen könnte.

Eine Tragstruktur für einen Multirotor mit 20 Megawatt (MW) Gesamtleistung, bestehend aus acht Turbinen in drei Reihen, hätte beispielsweise eine Breite von 180 und eine Höhe von 225 Metern. Zudem sollte die Konstruktion schwimmen, um auch für die zahlreichen Standorte in größeren Meerestiefen geeignet zu sein. Was das Thema Floating Offshore anbelangt, verweist der Wissenschaftler auf die Öl- und Gasindustrie, die auf Erfahrungen mit schweren Floating-Strukturen blicken kann.

Abdullah Khisraw erklärt beim Gespräch auf der Windmesse in Hamburg: „Wir sehen durchaus, dass das Multirotor-Design einen interessanten Ansatz liefert. Aber derzeit ist die Windindustrie sehr angespannt.“ Mit anderen Worten: Hersteller haben wenig Kapazitäten, um neue Designs zu fördern, geschweige denn umzusetzen. Hierzulande.

In China haben Innovatoren offenbar bessere Karten. Der Twin-Rotor von Mingyang mit dem von Aerodyn-Gründer Sönke Siegfriedsen entwickelten Design hat sogar schon einen Taifun überstanden. Mingyang Smart Energy hatte die Ocean X genannte Technologie in Form des Anlagentyps My SE8.3-180 Mitte 2024 in Betrieb genommen, die größte schwimmende Doppelrotor-Windturbine der Welt mit einer Leistung von 16,6 MW. Dieser Meilenstein in der Technologie der erneuerbaren Energien wurde durch eine live gestreamte Installation markiert.

2023 hatte Mingyang eine Reihe von Innovationen für sich verbuchen können. Darunter ein im Oktober neu vorgestelltes Offshore-Windturbinenmodell mit einer Nennleistung von 22 MW. Die Errichtung der Anlage soll zwischen 2024 und 2025 beginnen. Wenige Monate später stellte das chinesische Unternehmen die nach Leistung und Rotordurchmesser größte Offshore-Windturbine der Welt vor, die My SE18.X-20 MW. Zu den weiteren Neuigkeiten von Mingyang gehört, dass das Unternehmen mit dem deutschen Vermögensverwalter für saubere Energien Luxcara einen Vertrag als bevorzugter Lieferant von Windturbinen für das Offshore-Windprojekt Waterkant in der deutschen Nordsee unterzeichnet hat. Sowohl die kommende Generation von 20-MW-Anlagen als auch die für 2028 angekündigten 18-MW-Anlagen für Luxcara werden aber keine Twintechnologie sein.

Der Twin-Rotor My SE8.3-180 von Mingyang im Hafen vor dem Rausziehen

Foto: Mingyang Smart Energy

Der Twin-Rotor My SE8.3-180 von Mingyang im Hafen vor dem Rausziehen

Twintechnologie von Enerocean

Die schwimmende Windtechnologie W2Power der spanischen Firma Enerocean ist ebenfalls eine Twintechnologie und wird seit 2019 im Plocan-Testfeld vor der Küste der Kanarischen Inseln getestet. Sie bringt eine Nennleistung von immerhin 12 MW auf einem schwimmenden Fundament unter Verwendung zweier handelsüblicher Offshore-Windturbinen auf den Markt. W2Power war die erste spanische schwimmende Windplattform in spanischen Gewässern und auch die erste schwimmende Multiturbinenlösung, die weltweit auf offener See getestet wurde und den sogenannten Technology-Readiness-Level 6 (TRL 6) erreicht hat. Als TRL 8 wird ein „qualifiziertes System mit Nachweis der Funktionstüchtigkeit im Einsatzbereich“ bezeichnet.

Tatsächlich arbeitet eine ganze Reihe von Firmen an Multirotoren. Das norwegische Start-up Wind Catching Systems hat im Sommer 2024 einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur kommerziellen Demonstration seiner sogenannten Windcatcher-Technologie geschafft.

16,6 MEGAWATT ­Leistung hat der Twin-Rotor, den Mingyang im Meer installiert hat.

Zuletzt erhielt das 40-MW-Windcatcher-Design eine grundsätzliche Genehmigung vom Zertifizierer DNV. Ziel einer solchen „Approval in Principle“ (AIP) ist es, die technische Bewertung eines Entwurfs durch einen Dritten vornehmen zu lassen, um festzustellen, ob es konzeptionelle Stolpersteine oder Aspekte der Einhaltung von Vorschriften gibt, die verbessert werden müssen. Eine erfolgreiche AIP zeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass das Design die geltenden Kriterien für eine künftige DNV-Klassifizierung erfüllt. Im Vorfeld wurde eine physikalische Modellversuchskampagne in einem Wellenkanal in Måløy, Norwegen, durchgeführt.

40 Megawatt soll die Anlage von Wind Catching Systems vor der norwegischen Küste haben.

Wind Catching Systems hat inzwischen über seine Tochtergesellschaft Wind Catching Demo AS den Prozess zur Erteilung einer Lizenz für ein Demonstrationsprojekt vor der Küste von Øygarden, Norwegen, eingeleitet. Die geplante 40-MW-Anlage würde die erste von vier geplanten Anlagen des Projekts sein.

Eine weitere Multirotor-Technologie kommt aus Schottland. Myriad Wind Energy Systems hat im April 2024 in Schottland eine Demonstrationsanlage installiert, und die produziert seitdem fleißig Strom. Es handelt sich um eine Demonstrationsanlage im Maßstab 1 : 20 und ist der erste Schritt zur Erprobung der Myriad-Turbine in der Praxis. Der Demonstrator ist ein Zwei-Kilowatt-System mit vier Rotorköpfen, das eine verkleinerte Version des ersten Produkts ist, der 1-MW-Myriad-Turbine mit vier Rotoren.

Myriad konzentrierte sich auf die Entwicklung der modularen Stützstruktur einer 1-MW-Turbine, die entscheidend ist, um die Vorteile der Myriad-­Turbine zu maximieren. Darüber hinaus wurde ein eingebautes Wartungssystem entwickelt, um sicherzustellen, dass die Turbinen auf effiziente Weise gewartet werden können. Mithilfe von Computersimulationen wurden Schlüsselbereiche des Entwurfs ermittelt, die einer weiteren Verfeinerung bedurften. Das iterative Design wurde fortgesetzt, um das Design der Myriad-Turbine zu verbessern. Im Rahmen dieses Projekts wurde auch ein Qualifizierungsplan auf der Grundlage von Industriestandards erstellt, der zeigt, dass die Myriad-Turbine sich glaubhaft auf dem Weg zur Zertifizierung befindet.

Einmal im Jahr treffen sich Multirotor-Interessierte aus den Bereichen Industrie, Forschung und Zertifizierung aus aller Welt, 2025 findet das Treffen wieder in Hamburg statt. Störtenbecker sagt, denkbar sei auch, sich mit mehreren Partnern für die Fortentwicklung des Designs zusammenzuschließen. Zunächst gehe es aber immer noch darum, die Technologie besser zu verstehen. Dafür reiche ein kleineres Modell. Später wolle man dann mit einem größeren Modell aufs Wasser.

Dabei könne man anfangs auf bestehende Turbinen setzen, so wie es Vestas mit dem Multirotor-Demonstrator, vier V29-Turbinen mit je 225 Kilowatt, getan hat. Perspektivisch würde man aber mit heutigem Know-how eine Turbine im Bereich von rund 1 MW neu entwickeln. Die Gesamtleistung des Multirotors könne man dann je Bedarf über die Anzahl der Turbinen variieren, sagt Störtenbecker.

Twinrotor der spanischen Firma Enerocean mit zwölf Megawatt Leistung

Foto: enerocean

Twinrotor der spanischen Firma Enerocean mit zwölf Megawatt Leistung

Forschung und Industrie rücken zusammen

Stephan Barth, Geschäftsführer bei Forwind – Center for Wind Energy Research in Oldenburg, sagt, derzeit beherrsche der Wettbewerb alles. „Wir haben eine starke Konkurrenz aus China und mit dem Inflation Reduction Act auch aus den USA. Deshalb sind in Europa Forschung und Industrie stark zusammengerückt.“ Die European Technology & Innovation Platform on Wind Energy, die „ETIP Wind.eu“, habe eine strategische Agenda für kurz- bis mittelfristige Forschungs- und Innovationsthemen erarbeitet. „Dahinter steht ein Finanzierungsbedarf von 1,8 Milliarden Euro von 2025 bis einschließlich 2027 für die Forschung“, sagt Barth. Für 2028 bis 2050 soll folgend die Roadmap des EERA Joint Programme Wind der European Energy Research Alliance aus Brüssel wirken. Erstmals sind so die Roadmaps von Industrie und Wissenschaft vollständig aufeinander abgestimmt worden.

Dies beinhaltet laut Stephan Barth auch, dass disruptive Technologien als solche Innovationen verstanden werden, die zusätzlich zu einer bereits bestehenden, etablierten Technologie den Markt erweitern könnten. Das wären zum Beispiel schwimmende Fundamente, die dort zum Einsatz kommen, wo fest verankerte Fundamente in der Meereswindkraft technisch oder ökonomisch nicht sinnvoll wären.

Barth betont auch, dass China sehr viele Turbinen installiert und daher bei neuen Technologien schnell über Erfahrungswerte verfügt. Gleichzeitig habe die Volksrepublik eine hohe Risikobereitschaft. Um dem etwas entgegenzusetzen, sei es wichtig, dass Wissenschaft und Industrie in Europa noch stärker zusammenrücken.

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