Katharina Wolf
Dass Wasserstoff einer der zentralen Bausteine einer klimaneutralen Gesellschaft sein wird, ist inzwischen unumstritten. Doch Europa wird sich kaum selbst versorgen können. „Wir werden in Europa keine Vollversorgung erreichen, auch wenn wir noch Potenziale aus der Offshore-Windenergie nutzen“, sagt Jochen Bard, Bereichsleiter Energieverfahrenstechnik bei Fraunhofer IEE. Andere Länder werden also liefern müssen.
Doch wie groß ist das Potenzial für Wasserstoff und darauf basierende grüne Kraftstoffe außerhalb Europas? Welche Länder kommen für einen ersten Markthochlauf in Frage, wenn auch Faktoren wie Nachhaltigkeit, Transportkosten und Investitionssicherheit einbezogen werden? Detaillierte Antworten auf diese Fragen liefert der Power-to-X-Atlas, den das Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE jetzt vorgelegt hat. Ab dem 1. Juni wird er online zur Verfügung stehen.
„Unser Atlas zeigt, dass in vielen Regionen der Welt langfristig große Mengen an PtX-Energieträgern regenerativ produziert und exportiert werden können – wobei es von Standort zu Standort durchaus erhebliche Unterschiede gibt“, sagt Norman Gerhardt, Leiter Energiewirtschaft und Systemanalyse beim Fraunhofer IEE. Er schränkt jedoch ein: „Trotz des großen Potenzials können grüner Wasserstoff und grüne synthetische Brenn- und Kraftstoffe immer nur Ergänzung sein. Die Steigerung der Energieeffizienz und der direkte Einsatz erneuerbaren Stroms muss stets Priorität haben.“
Genug Wasserstoff für die Klimaziele
Die Forscher kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich außerhalb Europas langfristig insgesamt etwa 109.000 Terawattstunden (TWh) flüssigen grünen Wasserstoff oder 87.000 TWh synthetische Kraft- und Brennstoffe (PtL) herstellen ließen. Dieses Gesamtpotenzial könne jedoch nur zum Teil erschlossen werden – unter anderem, weil keine ausreichende Investitionssicherheit gegeben sei oder weil es an nötiger Infrastruktur fehle.
Trotzdem liegt das umsetzbare Potenzial aber immer noch bei 69.100 TWh Wasserstoff beziehungsweise 57.000 TWh PtL. Nach Worten von Gerhardt werden allerdings schon 20 Prozent davon 2050 für die globale Luftfahrt (mind. 6.700 TWh PtL) und für den weltweiten Schiffsverkehr (4.500 ThW PtL) benötigt.
Stromnutzung und Effizienz müssen Vorrang haben
Rechnet man die zur Verfügung stehenden Mengen nach dem heutigen Anteil an der Weltbevölkerung auf Deutschland herunter, stehen 770 TWh Wasserstoff beziehungsweise 640 TWh PtL zur Verfügung. „Das genügt, um den verbleibenden Brenn- und Kraftstoffbedarf zu decken – vorausgesetzt, Energieeffizienz und direkte Stromnutzung haben jederzeit absoluten Vorrang“, sagt Gerhardt.
Bei der Analyse der Flächenpotenziale haben die Wissenschaftler nach Worten von Maximilian Pfennig auf frei verfügbare Wetter- und Geodaten zurückgegriffen, um die Flächen an Küsten-oder Binnengewässern zu identifizieren. Dabei spielten Nachhaltigkeitsaspekte eine große Rolle - ausgeschlossen wurden landwirtschaftliche Flächen, Wälder und Gegenden mit Wasserstress. „Der PtX-Atlas berücksichtigt nur Regionen, in denen eine nachhaltige Produktion der Energieträger möglich ist“, so Pfennig.
Zudem flossen Parameter wie die Peripherie-, Speicher- und Transportkosten mit ein, ebenso Varianten bei der Systemauslegung. Ein weiterer Faktor waren die sozioökonomischen Bedingungen der einzelnen Regionen.
Günstige Erzeugung mit Windenergie
Dabei kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Standorte mit guten Bedingungen für die Windenergie und wenn möglich auch in Verbindung mit Photovoltaik die niedrigsten Erzeugungskosten aufweisen. An Standorten mit geringeren Windenergie-Ressourcen sind die Photovoltaik-basierten PtX-Erzeugungskosten dagegen höher. Gerade bei Wasserstoff sind aber je nach Standort die Kosten für den Transport nach Deutschland ein entscheidender Faktor und überkompensieren teilweise die Standortunterschiede.
Das größte Potenzial auch mit Blick auf den Export von PtX-Energieträgern in die Europäische Union bieten die USA und Australien, wobei hier die Nachfrage im Land selbst und aus den Nachbarstaaten groß sein dürfte. Grüner Wasserstoff könnte aus Nordafrika, vor allem Ägypten und Marokko, kommen.
Wer mehr über den PtX-Atlas erfahren will, kann sich in zwei Online-Veranstaltungen informieren: am 1. Juni um 11.30 in einer Expert-Web-Session für Politik, Verbände und Wirtschaft oder am 2. Juni 10 Uhr in einer Hands-On-Session für Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit.