Senvion-Anlagen stehen speziell im Bereich des Blattlagers unter Beobachtung, damit Risse im frühen Stadium entdeckt werden.
Optische Fasern garantieren in der Messtechnik hohe Präzision. Deutsche Windtechnik überwacht damit Blattlager von Senvion.
Nicole Weinhold
Vierter Stock des neuen Hauptsitzes von Deutsche Windtechnik in Bremen. Blick auf die Weser. Rechter Hand die zu einem Hotel umgebauten Silos von Kellogg’s. Martin Lassen ist Sales Manager Complementary Products & Services. Er hat in dem nagelneuen Besprechungsraum einiges aufgebaut. Sein Kollege Silvio Matysik, Teamlead Research & Development (Mechanical Components), ist aus Erkelenz per Videoübertragung zugeschaltet. Seit 26 Jahren sei er in der Windkraft, erst Nordex, dann Umweltkontor, schließlich PSM-Windservice. Seit deren Integration in die Deutsche Windtechnik 2020 arbeitet der Spezialist für Blattlager-Thematiken in der Abteilung für Forschung und Entwicklung. Dort habe er BBG+ von der Idee bis zur Marktreife in den vergangenen Jahren technisch begleitet. BBG ist die Abkürzung für Blade Bearing Guard. Das Messsystem BBG+ verdient aus zwei Gründen einen genauen Blick: Erstens soll es dafür sorgen, dass ein Designfehler aus längst vergangener Zeit für möglichst wenig Ärger sorgt. Schäden sollen schon im Ansatz erkannt und eliminiert werden, um hohe Stillstands- und Reparaturkosten zu vermeiden. Zweitens ist BBG+ interessant, weil die Hauptkomponente aus einer polyoptischen Faser, einem Lichtwellenleiter, besteht. Martin Lassen hält ein dünnes Stück schwarzen Kabels hoch. An den Enden kommen durchsichtige Fasern zum Vorschein. „Im Unterschied zur Glasfaser lässt sich diese Polymerfaser problemlos biegen. Das macht sie sehr robust“, erklärt er. „In einem modernen Auto sind mittlerweile viele Lichtelemente mit diesen Fasern ausgestattet, um Licht durchzuleiten. In der Windkraft ist die Technik neu. Tatsächlich gibt es nur zwei Anwendungen: unsere, das Detektieren von Rissen, und zum anderen, dass man die Verformung von großen Lagern optisch sichtbar machen möchte.“
Lassen und Matysik wollen über das Detektieren von ganz bestimmten Rissen reden, nämlich von solchen an den Blattlagern von Senvion-Anlagen. „Wir müssen uns nur die Senvion-Flotte angucken. Aufgrund von Korrosion können die Blattlager anfangen zu reißen und irgendwann brechen. Hier ist es wichtig, möglichst frühzeitig zuverlässige Messsysteme zu installieren, um im schlimmsten Fall eine Havarie des Blattes zu vermeiden“, sagt Matysik. Er fügt an: „Am Anfang hat man gedacht, das seien Einzelfälle, die Blattlagerschäden. Aber ab 2020 war für uns klar, wir haben allein in Deutschland über 670 von den Maschinen der Typen MM82/92,100, 3.XM sowie 5M und 6M im Feld, die potenziell gefährdet sein könnten.“
Rostende Bohrlöcher
Was ist das Problem? Der Turbinenbauer Senvion, ehemals Repower, meldete 2019 Insolvenz an. Siemens Gamesa übernahm im Laufe des Jahres 2020 die Sparte europäisches Onshore-Servicegeschäft. „Wir teilen uns den Service der Senvion-Anlagen mit Siemens Gamesa“, erklärt Matysik. „Jedenfalls haben wir ältere und auch die neueren Maschinen. Es ist nicht nur die MM-Klasse, sondern vorwiegend die 3XM-Klasse. Seit Neuestem haben wir auch die Fünf-, Sechs-Megawatt-Klasse. Alle haben den gleichen Bausatz.“ Senvion habe damals entschieden, die Nabenkörper klein zu lassen, obwohl man aufgrund längerer Rotorblätter größere Durchmesser bräuchte. „Die haben einfach gesagt, wir lassen die Nabe kleiner, aber die Rotorblätter werden größer, wir drehen das Ganze und schrauben jetzt den Innenring an den Nabenkörper und den Außenring an das Rotorblatt. Was die aber nicht bedacht haben, ist, dass eine Rotorblattwurzel relativ weich ist. Die verformt sich recht stark“, erklärt der Entwickler aus Erkelenz. „Und wenn jetzt noch hinzukommt, dass die Bohrlöcher nicht ausreichend mit Korro- sionsschutz versehen wurden oder die Korrosionsbeschichtung beschädigt wurde, dann haben wir die Risikomerkmale, die dazu führen können, dass diese Bohrlöcher anfangen zu rosten. Und die kleinste Rostlage reicht wiederum aus, dass die Blattlager anfangen zu reißen.“
350 Senvion-Anlagen hat Deutsche Windtechnik bereits mit dem Überwachungssystem ausgerüstet.
Dank des Messsystems BBG+ lassen sich Schäden nun aber im Anfangsstadium feststellen. Wie funktioniert die optische Faser nun? „Wir wollen feststellen, ob irgendwo am Blattlager ein Riss entsteht“, sagt Lassen. Dafür werde ein Lichtwellenleiter 360° am Lager rundherum eingeklebt. „Mittels Lasertechnik wird ein Licht durch den Draht mit der optischen Faser geschossen.“ Dabei werde genau die Entfernung gemessen, die das Licht zurückgelegt hat. „Wenn rundherum irgendwo ein Haarriss entsteht, verändert das nur um einen Hundertstelmillimeter die Entfernung rundherum. Dann erkennt das System, dass hier irgendwo durch eine Verformung die Strecke länger geworden ist“, erklärt er. Diese Information wird auf einer Onlineplattform von Technikern ausgewertet. Wenn ein Schaden vorzuliegen scheint, kann ein Serviceteam sich das vor Ort genau anschauen. Silvio Matysik fügt an, die optische Faser sei wie ein Dehnmessstreifen, den man zurzeit bis zu 200 Meter lang machen könne. „Die Polymerfaser hat den Vorteil, dass wir komplett das ganze Blattlager lückenlos überwachen.“
Zwei Arbeitstage Montagezeit
Ungefähr 350 Anlagen sind inzwischen damit ausgestattet. Die Montagezeit ist überschaubar. „Bei der 5XM-Anlage rechnen wir mit drei Tagen, im Schnitt sind es nur zwei Arbeitstage mit zwei Monteuren, also 16 Stunden Stillstand ungefähr“, sagt Lassen. Die Kosten für das System inklusive Einbau sind im Vergleich zu den möglichen Schäden zu vernachlässigen.
Im Unterschied zur Glasfaser lässt sich diese Polymerfaser problemlos biegen.
Silvio Matysik erinnert sich an die Anfänge der Entwicklung des Überwachungssystems: „Es kam in der Vergangenheit immer wieder zu Blattlagerschäden, Ausbrüchen in den Laufbahnen, Stillstandsmarkierungen, gebrochenen Wälzkörpern an Senvion-Anlagen. Die Betreiber wollten von unseren Serviceleuten immer wissen: ‚Wie lange kann ich das noch laufen lassen?‘ Aber ein Blattlager ist eine Blackbox: Sie können nur hinfahren, optisch und akustisch prüfen, was das Blattlager macht. Sie können eine Fettprobe nehmen, aber man kann nicht hineinschauen. Man kann das Lager auch nicht endoskopieren, weil dort überall Fett verteilt ist. Also haben wir 2015 angefangen, bei PSM ein eigenes Forschungsprojekt zu machen, um die Verformung von Blattlagern zu messen. In dem Zusammenhang bin ich auf die Firma Eolotec zugegangen und habe gesagt: ‚Wir brauchen eine Messtechnik, um Blattlager überwachen zu können.‘“ Das war der erste Schritt. So sei im Rahmen einer Zusammenarbeit mit Eolotec zunächst das Messsystem entwickelt worden und später das Überwachungssystem BBG+.
Unterm Strich ist für Deutsche Windtechnik klar: Die Kooperation mit Eolotec hat sich gelohnt. Das Problem der Risse und Brüche in den Blattlagern von Senvion-Anlagen ist durch Lichtwellenleiter-Technologie gelöst worden. Das System BBG+, das mit optischen Fasern eine ganzheitliche Überwachung von Blattlagern ermöglicht, könnte vielleicht sogar Vorbild für andere Monitoring-Bereiche in der Windkraft werden.
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