Fridays for Future sagen, dass die Ziele der neuen Regierung nicht ausreichen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Entsprechend sei die neue Regierung in Sachen Klimaschutz eigentlich nicht besser als die alte. Wie sehen Sie das, auch als Mitglied der Scientists for Future? Alles schlecht?
Volker Quaschning: An der Besetzung der Stellen im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ist zu erkennen, dass die neue Regierung sehr bemüht ist, zentrale Positionen durch Menschen mit Sachverstand und Interesse am Klimaschutz zu besetzen. Dieses Interesse konnte ich bei der alten Regierung nicht unbedingt erkennen. Es ist schon mal hilfreich, dass jetzt Menschen am Werk sind, die das Thema verstehen. Denn: Gerade wenn die Regierung jetzt bei der Energiewende richtig Tempo aufnimmt, kann sie auch viel falsch machen. Ob der Mut dann auch da ist, später noch einmal eine Schippe draufzulegen, damit wir das Pariser Klimaschutzabkommen auch einhalten können, das bleibt abzuwarten. Aber dafür ist ja Fridays for Future da - um weiter Druck zu machen.
Mit dem bisher Angekündigten werden die Ziele also nicht erreicht?
Volker Quaschning: Es ist definitiv noch nicht genug. Aber es gibt aber zwei Sichtweisen. Robert Habeck will beispielsweise die Solarleistung innerhalb von acht Jahren mehr als verdreifachen. Das ist schon eine echte Herausforderung. Das sind keine Pille-Palle-Maßnahmen. Mich hat nur geärgert, wie er den Koalitionsvertrag kommuniziert hat: Wenn wir das erreichen, sind wir auf dem 1,5-Grad-Pfad und beim Klimaschutz ist alles in Ordnung. Das stimmt aber nicht. Dafür reichen die vorgestellten Maßnahmen immer noch nicht aus. Deswegen muss man auf der einen Seite die Regierung unterstützen, damit es ihr gelingt, die durchaus ambitionierten Maßnahmen durchzusetzen. Um beim Ausbau der Windenergie die Ziele zu erreichen, kann die Regierung alle denkbare Unterstützung gebrauchen. Es hilft nichts, wenn wir uns noch größere Ziele setzen, aber auf der Hälfte der Strecke steckenbleiben. Auch ist es gut zu sehen, dass diese Regierung den erkennbaren Wunsch hat, ihre Klimaschutzziele zu erreichen. Peter Altmaier war das dagegen offenbar ziemlich egal. Auf der anderen Seite dürfen wir von der Regierung auch eine ehrliche Kommunikation bei der Verkündung von Klimaschutz-Pfaden erwarten.
Was heißt das?
Volker Quaschning: Es gibt vom Weltklimarat eine Menge an CO2, die weltweit für den 1,5-Grad-Pfad noch ausgestoßen werden darf. Dieses Budget lässt sich auf alle Menschen gleichmäßig verteilen und so erhält man auch die Menge an CO2, die Deutschland noch ausstoßen darf. So lässt sich genau bestimmen, ob Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad ist oder nicht. Die Regierung Merkel war auf einem Drei- bis Vier-Grad-Pfad. Das heißt, wenn alle Menschen sich wie das bisherige Deutschland verhalten würden, würden wir Ende des Jahrhunderts bei drei oder vier Grad globaler Erwärmung landen. Herr Habeck ist mit seinen Plänen, wenn er sie denn auch realisiert bekommt, etwa auf einen Zwei-Grad-Pfad eingeschwenkt.
War ihm das klar?
Volker Quaschning: Das CO2-Budget steht in einem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Als Klimaschutzminister sollte er das kennen. Und trotzdem wird vom 1,5-Grad-Pfad geredet. Jetzt könnte man fragen: Sind zwei Grad so viel schlimmer als 1,5 Grad, was das Klima betrifft? Die Antwort ist ein klares Ja. Zwischen 1,5 und zwei Grad ist nochmal ein deutlicher Unterschied, was die Klimafolgeschäden anbetrifft. Drei oder vier Grad wären die absolute Katastrophe, aber auch zwei Grad sind erheblich problematischer in den Auswirkungen als 1,5 Grad. Deswegen empfiehlt die Klimaforschung dringend, eine Erwärmung von 1,5 Grad nicht zu überschreiten, was Herr Habeck versprochen hat, aber mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht einhalten kann. Er hätte einfach sagen können: Die alte Bundesregierung hat es in den Sand gesetzt, 1,5 Grad schaffen wir einfach nicht mehr. Wir machen erstmal ein Konzept für zwei Grad und versuchen dann, nochmal nachzubessern. Das wäre für mich die ehrliche Kommunikation gewesen.
Stichwort Kommunikation: Der normale Bürger hätte die Unterschiede in den Ankündigungen wahrscheinlich ohnehin nicht bemerkt – Ausbauziele für 1,5 oder zwei Grad.
Volker Quaschning: Ja, das ist eine Insiderdiskussion. Und Deutschland wäre mit einem Zwei-Grad-Pfad noch vergleichsweite positiv unterwegs. Andere Länder stehen viel schlechter da. International sind wir immer noch auf einem Drei-Grad-Pfad. Jetzt schauen alle auf Deutschland als Vorreiter, ob wir das schaffen. Genau darum müssen wir ambitionierter werden.
Ist Deutschland denn überhaupt noch Vorreiter?
Volker Quaschning: Es wird immer kommuniziert, Deutschland sei beim Klimaschutz schon ein großes Vorbild. Dabei hätte die vorherige Bundesregierung für ihre Klimaschutzambitionen bestenfalls ein „Ungenügend“ verdient. Herr Habeck wird vielleicht mit einem „befriedrigend“ bis „ausreichend“ ins Ziel kommen, da immer noch nicht abzusehen ist, ob Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht wird. Um eine gute Note zu erzielen, bräuchte es jetzt ganz andere Maßnahmen. Dann würden wir jetzt die Verbrennermotoren möglichst bald verbieten und neue Öl- und Gasheizungen ab nächstem Jahr nicht mehr zulassen. Wir sind aber immer noch in dem Modus von „Lasst uns Klimaschutz machen, so dass es niemand wirklich merkt.“ Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Wir brauchen einschneidenden Veränderungen und das schnell.
Thema „Unangenehme Wahrheiten“ – da sieht man jetzt schon am Beispiel Corona, dass auch die neue Regierung vor entschlossenen Maßnahmen zurückschreckt.
Volker Quaschning: Das ist aber genau das, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Wir wissen, dass die Klimakrise massivste Freiheitseinschränkungen in einigen Jahrzehnten verursachen wird. Das Gericht hat angemahnt, dass wir heute in etwa vergleichbare Freiheitseinschränkungen auf uns nehmen müssen, damit wir den jüngeren Generationen keine erheblich größeren Freiheitsbeschränkungen aufbürden. Wenn wir jetzt jedoch nicht einmal bereit sind, ein Tempolimit umzusetzen, weil wir unsere Geschwindigkeit nicht von 150 auf 130 reduzieren wollen, ist die Botschaft offenbar noch nicht angekommen. Im Vergleich zu dem, was beispielsweise kürzlich im Ahrtal an Freiheitseinschränkungen passiert ist, sehe ich noch nicht, dass die Prioritäten richtig gesetzt sind.