Matthieu Monnier zeigte seine Freude darüber, dass in Frankreich gut zehneinhalb Jahre nach Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten nationalen Ausschreibungen für den Bau von Offshore-Windparks der erste davon in Betrieb gehen dürfte. Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Programms der Windforce vom 20. bis 22. Juni in Bremerhaven, bestätigte der stellvertretende Geschäftsführer des französischen Windenergieverbandes FEE den Fahrplan: Noch Ende 2022 soll das Windkraftfeld Saint-Nazaire gemäß Planungen der Politik sowie der Vorgaben auf der Baustelle im Atlantik in Betrieb gehen. Mit 480 Megawatt (MW) Gesamt-Nennleistung ist der Windpark der erste von sechs ungefähr gleich leistungsstarken Projekten, die bis 2024 grob umschrieben vor der Küste der bretonischen Halbinsel mit der Einspeisung beginnen. Weil die Ausschreibung so lange zurück liegt und die Genehmigungsverfahren so langwierig waren, nutzen die Investoren von Saint-Nazaire ungewöhnlicherweise im Vergleich zu aktuellen Windparkprojektierungen noch 80 Turbinen mit nur sechs MW Nennleistung. International üblich für Neueröffnungen von Offshore-Windparks sind aktuell Acht- bis Zehn-MW-Turbinen.
Frankreich wird damit zum siebten europäischen Land, das in kommerziellen Windparks in größerem Umfang mehrerer Hundert bis mehrerer Tausend MW Windstrom auf dem Meer erzeugt – nach Schweden, Dänemark, Großbritannien, Niederlande, Belgien und Deutschland. Weitere Länder wie Norwegen, Portugal, Spanien und Italien sind bisher nur Standorte für Prototyp-Anlagen beziehungsweise im Falle Italiens eines 30-MW-Kleinstwindparks ohne eine einen schon absehbaren festen Fahrplan zum Bau einzelner Windparks.
Als Besonderheit des französischen Weges und damit auch als Lehre für die Besucher der 18. Windforce verwies Monnier aber auf die industriepolitische Bedeutung des Starts der französischen Offshore-Windturbinen-Installationen. Weil die Vorgabe der französischen Regierung für die Ausschreibungen ein hoher Fertigungsanteil der industriellen Komponenten durch Produktionswerke in Frankreich war, haben sich inzwischen ein Drittel der europäischen Offshore-Komponentenwerke in Frankreich angesiedelt, wie es Monnier formuliert. Die Turbinen für den ersten großen kommerziellen Meereswindpark des Landes stammen aus der Fertigung von GE in der Hafenstadt Saint-Nazaire. Dort fertigt GE die Sechs-MW-Anlagen vom Typ Haliade mit 160 Meter Rotordurchmesser. 2015 hatte US-Konzern GE dazu das französische Kraftwerkstechnikunternehmen Alstom gekauft, das den Prototyp der Haliade-Anlage entwickelt hatte.
5.000 Arbeiter beschäftige die Industrie im Bereich der Offshore-Windkraft nun, sagte Monnier. Mehr als 22.000 Arbeitende sollen es bis 2035 werden, so sehe es die Verabredung der französischen Regierung mit der nationalen Windenergie-Branche von zu Beginn dieses Jahres vor. Der von beiden Seiten unterzeichnete „Offshore-Windsektor-Deal“ sieht die Inbetriebnahme von 18 Gigawatt (GW) Offshore-Windkraft bis 2035 und von 40 GW bis 2050 vor. „Beide Länder“, Deutschland und Frankreich, könnten nun „konkurrenzfähige und sich ergänzende Wertschöpfungsketten aufbauen“, sagte Monnier. Zu diesem Synergieeffekt trügen Deutschland mit der größeren Erfahrung und des Technologievorsprungs bei Komponenten modernerer Windenergieanlagen bei und Frankreich speziell mit der Fertigung und Entwicklung besonderer Offshore-Windkraft-Technologien wie schwimmende Windenergieanlagen. Hierfür hat das Nachbarland anders als Deutschland bereits eine Ausschreibung gestartet. Aus dieser Situation ergebe sich eine besondere Chance für die Konferenz, betonte Monnier: „Die Windforce-Conference ist die perfekte Gelegenheit, dies zu betonen und zu beweisen“.
Für Hans Sohn, Sprecher der Industrievereinigung WAB, ist die Betonung der industriepolitischen Potenziale des Offshore-Windkraftausbaus in Frankreich ein Unterschied zu Deutschland. Die Offshore-Windkraft-Konferenz werde einen Austausch zu den Chancen eines solchen Weges moderieren. In Deutschland hatte die Reform zum Wechsel von einem System mit Projektierer-bestimmten Windparkentwicklungen und einer festen Einspeisevergütung durch die Netzbetreiber hin zu einem Ausschreibungssystem einen Fadenriss der Installationstätigkeiten bewirkt. 2020 gab es kaum mehr und 2021 gar keine Windturbinenerrichtungen im Meer vor Deutschland mehr. Die von der Branche vorab kritisierten Folgen für die Industrie haben bei den Arbeitsplätzen eine entgegengesetzte Entwicklung im Vergleich zu Frankreich verursacht. So sind gemäß der jüngst von der WAB vorgestellten Wertschöpfungs- und Beschäftigungsstudie noch 21.400 Menschen berechnet als Vollzeitäquivalente in der Offshore-Windkraft beschäftigt: Arbeitsplätze in Vollzeit, errechnet aus der innerhalb eines Jahres rein für Offshore-Windkraft aufgewendeten Arbeitszeit. „Das waren schonmal deutlich mehr“, sagte WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler. Vor einigen Jahren hatten von der WAB erhobene Zahlen noch 28.000 Vollzeitäquivalente ergeben. „Da ist schon etwas passiert mit dem Fadenriss“, sagte Heike Winkler.
Die WAB-Chefin betonte mit Blick auf die thematische Ausrichtung der Windforce insbesondere die Bedeutung der Beschäftigung auch beim raschen Ausbau der Meereswindkraft, den die Bundesregierung demnächst gesetzlich vorgibt. „In einer Zeit, in der die neue Bundesregierung die Ziele und Regeln für den Ausbau der Windenergie auf See und für ‚grünen‘ Wasserstoff neu definiert, ist der Dialog der beteiligten Akteure von großer Bedeutung. Der Ausbau auf mindestens 70 Gigawatt Offshore-Wind in Deutschland bis 2045 wird gelingen, wenn jetzt für Fachkräfte und für die Offshore-Wind-Zulieferindustrie und die maritime Industrie die richtigen Weichen gestellt werden“, sagte Heike Winkler. Tatsächlich hatte das Bundeswirtschaftsministerium bereits im April den Referentenentwurf für die Reform des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) als Teil eines sogenannten Osterpakets mit weiteren energiepolitischen Reformen vorgelegt. WAB-Vorstandsmitglied Matthias Brandt, Vorstand des Instandhaltungs- und Betriebsführungsunternehmens Deutsche Windtechnik, verwies auf die Chance eines deutlichen Beschäftigungsausbaus der Offshore-Windkraftbranche. Die nun eingeleitete Entwicklung könne „mindestens 20.000 weitere Arbeitsplätze bis 2030“ schaffen.
Obwohl schwimmende Windkraft hierzulande aufgrund geringerer Meerestiefen eher nicht benötigt wird, könnte die Technologie dennoch auch für deutsche Industrie- und Technologieunternehmen interessant werden. Davon geben sich die Windforce-Veranstalter bei der WAB überzeugt. „Es ist eine sehr interessante Technologie für unsere Mitgliedsunternehmen, weil wir in anderen europäischen Ländern nun vor ihrer Umsetzung stehen. In der Konferenz werden wir dazu mehr erfahren“, sagte WAB-Sprecher Sohn mit Verweis auf die abschließenden Technologie-Sitzungen am letzten Konferenztag, dem 22. Juni. Dort sind Meereswindturbinen-Fundamente und schwimmende Windkraft sowie der Wartungsservice und grüner Wasserstoff als klimafreundlich aus Offshore-Windstrom produzierbarer Treibstoff ohne Emissionen im Verkehr die Schwerpunktthemen.
Schirmherr der Konferenz wird Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sein. Er ist auch eingeladen, um die Begrüßungsrede zu halten, zumindest als vorab gefilmten oder digital live übertragenen Beitrag. Exkursionen sind am Eröffnungsmontag der Konferenz geplant. Weitere kommende Offshore-Windkraft-Märkte wie Norwegen, Polen und Taiwan sowie Bedeutung und Chancen der Häfen in der Offshore-Windkraftwirtschaft, die Digitalisierung, Finanzierung, Versicherung, Recht, Netze und Logistik, Rückbau und Recycling sind Themen am Dienstag und Mittwoch. Am Eröffnungsabend allerdings schauen die Teilnehmer nach den Exkursionen, nach den Eröffnungsansprachen und nach einer politischen Podiumsdiskussion auf 20 Jahre WAB zurück. Sechs Pioniere der WAB lassen die Zuhörer an ihren Erfahrungen teilhaben.
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