Nur 0,2 Prozent des CO2-Ausstoßes hat der Weiterbetrieb der verbliebenen drei Kernkraftwerke in diesem Jahr eingespart.Die Atomkraftwerke haben die Preise – auch aufgrund der bevorzugten Bedingungen für die Betreiber – um 0,8 Prozent gedrückt. Für die Versorgungssicherheit waren die drei Kraftwerke nicht notwendig, sondern haben vor allem den Stromexport angetrieben und die Netze für die Erneuerbaren verstopft.
Das sind die zentralen Ergebnisse einer Untersuchung von Enervis Energy Advisors im Auftrag von Green Planet Energy und Greenpeace. Die Analysten haben sich genau angeschaut, was passiert wäre, wenn die drei Kernkraftwerke nicht weiterbetrieben wurden im Vergleich zur Realität, in der die drei Atommeiler im Jahr 2022 weniger Strom erzeugt haben, um genügend Brennstoff für den sogenannten Streckbetrieb im Jahr 2023 zu haben. Dazu kam noch, dass zwei der drei Atomkraftwerke Anfang 2023 kurzzeitig in Revision waren. „Die restlichen Parameter wie unter anderem dem Stromverbrauch haben wir nicht verändert, so dass die Ergebnisse ausschließlich auf die Stromerzeugung durch Kernkraft zurückgeführt werden kann“, erklärt Tim Höfer, Analyst bei Enervis, bei der Vorstellung der Studienergebnisse.
0,3 Prozent Erdgas eingespart
Diese sind eindeutig. Denn die Stromproduktion der Kohle- und Gaskraftwerke ist durch die Kernkraft um 1,2 Terawattstunden zurückgegangen. Das bedeutet einer Reduktion von zwei Prozent der Stromerzeugung mit Gas und 0,7 Prozent der Stromerzeugung mit Kohle. Der Erdgasverbrauch ist im Vergleich zur geplanten Stilllegung der Atomkraftwerke Ende 2022 um 2,2 Terawattstunden gesunken. Das bedeutet: Die Kernkraftwerke haben 0,3 Prozent des im Jahr 2022 insgesamt verbrauchten Erdgases eingespart. Gleichzeitig ist aber der Stromexport zwischen November 2022 und April 2023 um 3,8 Terawattstunden gestiegen. Das ist ein Anstieg um 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ein Zukauf von teurem Strom aus dem Ausland, wie es immer wieder kolportiert wird, ist auch ohne Kernkraft nicht realistisch.
Strompreis sinkt und 0,2 Cent pro Kilowattstunde
Auch die Strompreise wurden von den Atomkraftwerken kaum beeinflusst. Ende des Jahres 2022 sind die Großhandelspreise sogar um 0,02 Cent pro Kilowattstunde gestiegen. Im Jahr 2023 haben die Atomkraftwerke die Großhandelspreise in der Merit Order um 0,21 Cent pro Kilowattstunde reduziert – bei einem durchschnittlichen Börsenstrompreis von 11,6 Cent pro Kilowattstunde. Im vergangenen Jahr lag der durchschnittliche Börsenstrompreis sogar bei 23,5 Cent pro Kilowattstunde.
Nur die variablen Kosten betrachtet
Dies liegt vor allem an den hohen Gaspreisen, die den Preis in der Merit Order an der Strombörse nach oben getrieben haben und weniger daran, dass die Atomkraft preiswert wäre. Denn das ist sie nicht. „Die Preise am Strommarkt beruhen ausschließlich auf den variablen Kostenanteilen der Stromerzeugung. Die fixen Kosten sind hier nicht berücksichtigt“, erklärt Tim Höfer von Enervis. Auf dieser Basis sind die günstigsten Erzeuger die erneuerbaren Energie gefolgt von der Atomkraft, den Kohle- und danach von den Gaskraftwerken. „In den Strompreisen steckt aber nicht volle Wahrheit der Kosten der Kernkraft“, ergänzt Carolin Dähling, Leiterin Energiepolitik bei Green Planet Energy.
Kernkraftwerkbereiber geschont
Das werde auch an den Regelungen für die Strompreisbremse deutlich, sagt sie. Denn zur Finanzierung wurden die Gewinne der Kraftwerksbetreiber abgeschöpft. Die Betreiber der Kernkraftwerke wurden hier aber kräftig geschont, damit sie ihre Anlagen überhaupt in den Streckbetrieb schicken.
Mit diesen Studienergebnissen wollen Green Planet Energy und Greenpeace die gesamte Debatte um die Kernkraft in Deutschland auf eine faktenbasierte Grundlage stellen, sagt Carolin Dähling. „Im Nachhinein betrachtet wer die Laufzeitverlängerung schlechter Deal. Denn es gab nur wenige Einsparungen aber erhöhte Kosten und erhöhte Risiken“, fasst Dähling zusammen.
Unflexible Kernkraft behindert Energiewende
Deshalb sei es ein notwendiger und richtiger Schritt, die Kernkraftwerke jetzt abzuschalten und die Kräfte für den Aufbau eines Systems zu verwenden, die auf 100 Prozent erneuerbaren Energien beruht. „Die Atomkraftwerke sind ein Klotz im Energiesystem. Sie produzieren Strom den Strom sehr statisch. Auf der anderen Seite haben wir aber immer mehr erneuerbare Energien, die sehr fluktuierend erzeugen. Deshalb müssen wir auf die Flexibilität im Energiesystem reagieren können“, erklärt Dähling. „Auch dafür brauchen wir gesicherte Kapazitäten. Diese müssen aber auf flexibel reagieren können und das können die Kernkraftwerke nicht.“
CO2-Einsparungen völlig überschätzt
Zudem senken sie den CO2-Ausstoß nur marginal. Denn der reine Streckbetrieb der Kernkraftwerke in den ersten drei Monaten dieses Jahres hat tatsächlich die CO2-Emissionen um 1,5 Millionen Tonnen gesenkt. Nicht eingerechnet ist hier die Herstellung der Brennstäbe sowie die Förderung, der Transport und die Aufbereitung des radioaktiven Materials. Zum Vergleich: Der gesamte CO2-Ausstoß in der Bundesrepublik lag nach aktuellen Angaben des Umweltbundesamtes 2022 bei 666,5 Milliarden Tonnen.
Tempolimit wäre effektiver
Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 120 Kilometer pro Stunde würde den CO2-Ausstoß um 6,7 Millionen Tonnen reduzieren – ebenfalls nach Angaben des Umweltbundesamtes. Damit hätte diese einfache Maßnahme einen größeren Effekt auf die Senkung der Emissionen als der Weiterbetrieb von Kernkraftwerken. „Eine Diskussion darüber, wie wir die Absenkungen der Emissionen stärker voranbringen, wäre wichtiger gewesen, als die ewige Debatte um die Kernkraft, die für einen geringen Effekt gesorgt hat“, sagt Heinz Smital, Kernkraftexperte bei Greenpeace.
Kernkraft in Reserve ist unwirtschaftlich
Auch die Überführung in eine irgendwie geartete Reserve, die derzeit ins Spiel gebracht wird, ist keine Option. „Denn eine Wiederinbetriebnahme ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Zudem ist die Atomkraft teuer und wird noch teurer, wenn der Betrieb auf die Erzeugung von wenigen Megawattstunden reduziert wird“, beschreibt Heinz Smital die Realität.
Brennelemente und Sicherheitskontrolle fehlen
Zudem würden dann die aufgeschobenen Sicherheitskontrollen fällig, die die Betreiber einen dreistelligen Millionenbetrag kosten würde. „Außerdem sind die Voraussetzungen für einen irgendwie gearteten Weiterbetrieb ohnehin nicht da. Denn die Brennelemente werden individuell für jeden Reaktor hergestellt“, erklärt Smital. Da aber davon ausgegangen wurde, dass die Reaktoren Ende 2022 endgültig vom Netz gehen, gibt es die gesamte Logistik zur Produktion von Brennelementen für die deutschen Meiler überhaupt nicht mehr. „Aus diesen Gründen würden die Kernkraftwerke bis Ende 2024 ohnehin nicht mehr zur Verfügung stehen“, betont der Atomexperte. (su)