2017-04-13-15-27-48Freier Energiefluss im Strommarkt: Wer hier wie ein vom Produzenten zum Empfänger rasendes Elektron anmutet, wissen wir nicht. Der Strommarkt aber bietet künftig auf jeden Fall mehr Möglichkeiten für Wind- wie Solarbranche, analysieren die Fachautoren dieses Experten-Gastbeitrags. Kaique Rocha - pixnio (Free Cultural Works)
Ein massiver Wettbewerbsdruck in den letzten Ausschreibungsrunden hat zu einem drastischen Verfall des Vergütungsniveaus für neue Windenergieprojekte geführt. Auch die Auktionsergebnisse für PV-Freiflächenanlagen kannten bisher nur eine Richtung: nach unten. Aufgrund von großen Angebotsüberhängen und weiteren Kostensenkungen ist absehbar kaum mit einer nachhaltigen Entspannung der Situation zu rechnen.
Darüber sollte auch die erste Auktionsrunde im neuen Jahr 2018 nicht hinwegtäuschen. Diese hatte aufgrund einer Korrektur an den Ausschreibungsregeln wieder zu einer gewissen Erhöhung des mittleren Zuschlagswerts um rund 20 Prozent von 3,8 auf 4,7 Cent pro Kilowattstunde (kWh) geführt. Denn die Politik hat für die erste und auch die kommende zweite von vier Onshore-Windenergie-Ausschreibungen im Jahr 2018 eine der nach politischer Mehrheitsmeinung verzerrenden Vorzugsregeln für Bürgerwindparks ausgesetzt. Die Regel ließ Projekte zur Ausschreibung schon vor Erhalt einer Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz zu, wenn diese den formalen Kriterien einer Bürgerenergiegesellschaft nach Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2017 entsprachen. Zudem durften diese Bürgerwindprojekte eine Realisierungsfrist bis zum Verfall ihres Vergütungszuschlags von bis zu viereinhalb Jahren in Anspruch nehmen. Viele Kritiker monierten, damit seien 2017 fast nur noch Projekte zum Zuge gekommen, die auf fallende Preise von zukünftigen, „visionären“ Windenergieanlagen setzten beziehungsweise auf deren niedrigere Stromgestehungskosten spekulierten. Tatsächlich hatte die Erfolgsquote der Bürgerwindparks bei den Vergütungszuschlägen aller drei Ausschreibungsrunden im vergangenen Jahr einen Wert von über 90 Prozent erreicht. Dieser Effekt hat wohl die Preise noch stärker nach unten gedrückt, als erwartet.
Doch Erhebungen von Enervis Energy Advisors zeigen, dass ein hohes Angebot an gebotsreifem Projektvolumen bei Windkraft an Land auch nach der Wegnahme der Förderregel für Bürgerwindparks bestehen bleiben dürfte. Denn schon allein im Jahr 2018 wäre voraussichtlich ein Volumen deutlich oberhalb de Ausschreibungsmenge an neuen Windkraft-Projekten gerade durch traditionelle professionelle Projektierer zur Genehmigung geeignet und ließe sich so noch in eine der vier Ausschreibungsrunden des Jahres 2018 bringen. Vorausgesetzt die Ausnahmeregeln für Bürgerwindparks blieben auch im zweiten Halbjahr 2018 ausgesetzt, worauf derzeit vieles hindeutet.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, den Blick bei der Gebotspreiskalkulation auch auf Erlöse aus dem Strommarkt zu richten. Dies verbessert die Chancen, im Ausschreibungswettbewerb erfolgreich zu sein. Aber auch der nächste Schritt wird schon diskutiert – die Realisierung von Windenergieprojekten alleine auf Basis von Strommarkterlösen, neben dem Ausschreibungssystem des EEG. Wesentliche Rahmenbedingungen des Strommarktes sprechen mittel- bis langfristig für eine Erholung von Großhandelsstrompreisen und Marktwerten von erneuerbaren Energien. Der Blick auf den Strommarkt wird daher für EE-Projekte immer relevanter. Die Projektierer müssen sich also fragen, was am Strommarkt möglich ist und wie sich solche Erlöse in einem Gebot in der Ausschreibung beziehungsweise im Marktprämienmodell des EEG einfügen.
Aktuelle Trends und Entwicklungen – Vergütung runter, Marktwert rauf?
Die EEG-Vergütung für Wind Onshore lag nach der dritten Ausschreibungsrunde vom November 2017 schon um rund 50 Prozent unterhalb der gesetzlichen Vergütung für Projekte, die noch unter einer gesetzlich bestimmten Vergütungshöhe in Betrieb gehen – bezogen auf einen guten 100-Prozent-Standort. Auch nach der ersten Ausschreibungsrunde im neuen Jahr 2018 verblieb dieser Vergütungstarifverfall für Windstrom vom Land noch bei über 40 Prozent. Mit diesem schnellen Rückgang der Vergütungshöhe geht noch eine weitere Entwicklung einher, die schon bei der Konzeption des EEGs und sogar seines Vorgängers dem Stromeinspeisungsgesetz das Langfristziel war: die Annäherung von Vergütungen und Marktwerten und letztendlich das Erreichen des Schnittpunktes, also die Marktparität. Während in den Jahren vor Einführung von Ausschreibungen der anzulegende EEG-Vergütungswert bei Wind und PV meist um den Faktor zwei oder mehr oberhalb der technologiespezifischen Marktwerte lag, so liegen auf Basis der nun deutlich niedrigeren Vergütungsniveaus in einigen Monaten bereits heute die Monatsmarktwerte nahe an oder sogar über der (erwarteten) Vergütung. Abbildung 1 zeigt diese Entwicklung seit der Einführung des EEG 2014 bis zu den Ausschreibungen im Februar 2018 für PV-Freifläche und Wind an Land.
fachaufsatz ausschreibungen 2018 aAbb. 1: Historische Entwicklung von EE-Marktwerten und anzulegender Wertenervis energy advisorsErlösoptimierung im EEG-Marktprämienmodell – Mehrwert aus dem Strommarkt?
Perspektivisch sind somit Zeiträume zu erwarten, in denen der EE-Marktwert am Strommarkt die jeweilige Vergütungshöhe übersteigt – in diesem Fall liegt die monatlich berechnete Marktprämie bei null Cent/kWh, eine Förderung wird nicht mehr ausgezahlt, da der Erlösanspruch komplett durch den Strommarkt gedeckt ist. Was den Gesetzgeber und insbesondere den Stromkunden als Zahler der EEG-Umlage erfreut, sorgt in der EE-Branche allerdings für gemischte Gefühle. Denn in Zeiten eines hohen Wettbewerbsdrucks und sinkender Margen können nur die Projekte am Markt bestehen, die nicht nur ihre Kosten optimieren, sondern daneben auch zusätzliche Erlöse aus dem Strommarkt bewerten und in ihrer Gebotspreisfindung berücksichtigen. Dies bedeutet, dass Investoren, Banken und Projektentwickler zumindest anteilig Erlösrisiken aus dem Strommarkt übernehmen, was eine für die EE-Branche bisher nicht bestehende Herausforderung darstellt.
Abbildung 2 macht deutlich, dass im EEG-Marktprämienmodell auf Basis der historisch hohen anzulegenden Werte (Vergütungshöhen) und der vergleichbar niedrigen EE-Marktwerte durchweg vergleichsweise hohe Marktprämien ausbezahlt wurden. So beträgt beispielsweise die rechnerische Marktprämie für ein Projekt mit einem Vergütungsanspruch von acht Cent/kWh und einem angenommenen Marktwert von drei Cent/kWh ganze fünf Cent/kWh. Sinken nun aber die Vergütungshöhen stark ab, während der Marktwert der Erneuerbaren derzeit nicht weiter zurückgeht, so reduziert sich die Höhe der Marktprämie deutlich. Aufgrund der saisonalen Schwankungen der Marktwerte kann es in einzelnen Monaten auch zu einem Überschreiten der Vergütungshöhe durch den Marktwert kommen, die Marktprämie fällt dann auf null Cent/kWh, wird jedoch nicht negativ, so dass ein Zusatzerlös gegenüber der Festvergütung auf Basis des anzulegenden Wertes entsteht.
Je geringer dieser anzulegende Wert ist, desto früher und häufiger treten solche Monate mit Marktparität auf. Ein Beispiel hierfür ist der Monat Januar 2017: hier lag der Marktwert von Onshore-Windenergie bei 4,066 Cent/kWh und der von Photovoltaik sogar bei 5,697 Cent/kWh. Wären Projekte mit dem Vergütungsniveau der PV-Ausschreibungsrunde vom Februar 2018 im Januar 2017 schon in Betrieb gewesen, hätten Sie im gesamten Monat eine Marktprämie von null Cent/kWh erhalten. Gegenüber dem geringsten PV-Zuschlagspreis von 3,86 Cent/kWh hätte sich in diesem Monat gar ein Mehrerlös aus der Vermarktung im Stromgroßhandel von 1,837 Cent/kWh ergeben. Mit sinkenden Vergütungshöhen und steigenden Marktwerten nimmt die Zahl dieser Monate zukünftig zu und stellt ein interessantes Mehrerlöspotenzial innerhalb des Marktprämienmodells dar.
Ausschreibungen 2018 bAbb. 2: Auktionsanlagen im Marktprämienmodellenervis energy advisors
Für alle Entwickler, Betreiber, Investoren und Finanziers von Wind- und PV-Projekten stellt sich nun die Frage, ob und falls ja in welcher Höhe und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Zusatzerlöse in Zukunft erzielbar sind. Geht man dabei davon aus, dass das Niveau der Erneuerbaren-Marktwerte sich aufgrund der fundamentalen Strommarktentwicklung erhöht, so ist auch die durchgehende Vorteilhaftigkeit von Markterlösen gegenüber der in der Auktion bezuschlagten Vergütungshöhe in allen Monaten des Jahres vorstellbar.
Die logische Konsequenz dieser Entwicklung wiederum wäre das häufig diskutierte und im Offshore-Bereich bereits Realität gewordene „Null-Cent-Gebot“ oder die Realisierung von Erneuerbaren-Projekten an der Auktion vorbei direkt am Strommarkt. Denn entgegen der Offshore-Auktion ist ein Zuschlag im Bereich PV und Wind an Land keine notwendige Voraussetzung für einen Netzanschluss.
Einflussfaktoren für die zukünftige Entwicklung von Strompreisen und Marktwerten
Um eine fundierte Einschätzung über die zukünftige Entwicklung von Strompreisen und vor allem Erneuerbaren-Marktwerten sowie deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu bekommen, werden modellgestützte Strompreisprognosen unabdingbar. Diese müssen vor allem auch die Langfristperspektive der Projektbewertung für 20, 25 oder noch mehr Jahre abdecken.
Schon heute werden an den Terminmärkten Stromlieferprodukte mit bis zu sechs Jahren Vorlaufzeit gehandelt. Die Notierungen für das Baseprodukt liegen mit Stand Februar 2018 zwischen etwa 35 Euro pro Megawattstunde (MWh) für das Kalenderjahr 2019 und rund 38 Euro pro MWh für das Kalenderjahr 2023. Auch wenn die Vermarktungserlöse von erneuerbaren Energien meist unter diesen Terminmarktnotierungen liegen werden („Kannibalisierungseffekt“), bieten diese Terminmarktpreise eine gute Abschätzung für die Richtung der zukünftigen Strommarkterlöse. Die historische Entwicklung von Großhandelsstrompreisen und Windmarktwerten zeigt Abbildung 3 links, einen Ausblick auf den Terminmarkt oder darüber hinaus die rechte Seite der Darstellung.
Ausschreibungen 2018 cAbb. 3: Strompreis- und Marktwertentwicklung historisch und Prognoseenervis energy advisors
Um einen noch weiteren Vorausschauzeitraum abzudecken und damit auch die Erlöse von Erneuerbaren-Projekten über die gesamte Betriebsdauer zu ermöglichen, sind systematische modellbasierte Strommarktanalysen notwendig. Dafür müssen Einschätzungen getroffen werden, wie sich die relevantesten Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Großhandelsstrompreisen und Erneuerbaren-Marktwerten in Zukunft entwickeln. Diese sind vor allem:
- Preisentwicklung von Brennstoffen (Kohle, Erdgas, Öl): mittelfristig existieren Terminmarktnotierungen, langfristig müssen Annahmen getroffen werden- Möglicher Preisanstieg von CO2-Emissionszertifikaten durch politische Implementierung eines Mindestpreises auf nationaler oder europäischer Ebene und langfristige Preise des EU-Emissionshandels- Konventionelle Kraftwerkskapazitäten: Kernenergieausstieg bis 2022, möglicher Ausstieg aus der Kohleverstromung, Stilllegung/Zubau von Gaskraftwerken - Weiterer Ausbaupfad der Erneuerbaren Energien: politisch getriebener Ausbau im In- und Ausland durch Ausschreibungen beziehungsweise nationale Fördersysteme, Analyse eines möglichen marktgetriebenen Erneuerbaren-Ausbaus
Je nach Einschätzung zu obigen Parametern spannt sich für den Vorausschauzeitraum ein Korridor der möglichen Strompreisentwicklung auf. Vor allem aktuelle politische Entwicklungen können dabei einen weitreichenden Einfluss haben und für Strompreise sorgen, die den oberen Rand des Korridors in Abbildung 3 erreichen oder gar noch überschreiten. Darunter fällt unter anderem der im letzten Jahr vom französischen Präsidenten Macron vorgeschlagene Mindestpreis für CO2-Emissionszertifikate von 30 Euro pro Tonne CO2. Allein dieser könnte nach Beispielrechnungen von Enervis den Großhandelsstrompreis um etwa 15 Euro/MWh ansteigen lassen und die Erneuerbaren-Marktwerte ebenfalls entsprechend anheben. Aber auch der beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie sowie der schon seit längerem diskutierte schrittweise Rückgang der Braun- und Steinkohleverstromung würde die konventionellen Kraftwerkskapazitäten in Deutschland deutlich reduzieren und Strompreise sowie Marktwerte ansteigen lassen.
Daneben gibt es bereits Änderungen in der Marktstabilitätsreserve für Emissionszertifikate, die die Menge an Zertifikaten, die „geparkt“ werden, verdoppelt und eine Löschung dieses Überschusses ab 2023 vorsieht. Auch diese Verknappung des Angebots an Zertifikaten sollte einen preissteigernden Effekt haben und somit zumindest mittelfristig einen Anstieg des Großhandelsstrompreises bewirken.
Energiewende-Rallye-Stromspeicher-Gerhard-MesterDen Erneuerbaren winken auch auf dem Strommarkt inzwischen viele WettbewerbsmöglichkeitenGerhard Meester - Wikipedia (CC BY-SA 4.0)Auswirkungen auf die Gebotspreisfindung von EE-Projekten
Sofern ein potenzieller Bieter bei den Wind- oder PV-Auktionen zu der Einschätzung gelangt, dass die Erlöse aus dem Strommarkt für das eigene Projekt einen Mehrwert gegenüber dem reinen Gebotspreis liefern, so lässt sich dieser Mehrwert auch direkt in den Gebotspreis „einpreisen“. Beispielrechnungen von Enervis haben ergeben, dass so signifikante Gebotspreissenkungen teils heute schon möglich wären. Diesen Berechnungen unterliegt ein Strompreisszenario, das mittelfristig von moderat steigenden Strompreisen und auch Marktwerten ausgeht. Vor allem die Tatsache, dass bereits in den kommenden Jahren der monatliche Referenzmarktwert in einzelnen Monaten Zusatzerlöse gegenüber den (erwarteten) Vergütungsniveaus aus den Ausschreibungen ermöglichen dürfte, treibt dieses Ergebnis.
Auf der anderen Seite sorgt der Gebotspreis in Monaten mit niedrigen Marktwerten dafür, dass eine untere Auffanglinie – der anzulegende Wert aus dem Zuschlag – ein Mindestmaß an Erlösen und damit Erlössicherheit garantiert.
Bei weiter sinkenden Gebotspreisen spielt es dann sogar theoretisch überhaupt keine Rolle mehr, ob nun dieser noch positiv ist oder gleich null Cent/kWh beträgt – solange er unterhalb der erwarteten Strommarkterlöse liegt.
Fazit: Steigender Einfluss des Strommarktes auf die Erneuerbaren und längerfristig Trendwende im Vergütungssystem
Die künftigen Entwicklungen am Strommarkt einerseits sowie der rasche Verfall der Vergütungen von Wind- und PV-Anlagen in den Auktionen andererseits, bringen Erneuerbaren-Projekte der Marktparität näher. Alle Akteure, die auch weiterhin auf diesem sehr wettbewerblichen Markt bestehen wollen, können daher Erneuerbaren-Projekte nicht mehr losgelöst vom Strommarkt planen, entwickeln und bewerten. Denn nur wer zukünftige Strommarkterlöse analysiert und quantifiziert, kann diese auch entsprechend systematisch und risikogewichtet in seiner Gebotsstrategie berücksichtigen. Dies dürfte zunehmend zur Voraussetzung werden, um erfolgreich an den Auktionen teilzunehmen.
Für Marktakteure, die heute bereits noch einen Schritt weiterdenken und Erneuerbare-Energien-Projekte gänzlich ohne Marktprämie realisieren wollen, gilt dies natürlich ebenfalls. Diese Schritte sind mit neuen Herausforderungen und komplexeren Bewertungsanforderungen gegenüber dem bisher in Deutschland umgesetzten Modell einer Festvergütung über 20 Jahre verbunden. Bestehende Bewertungsinstrumente und Erfahrungen aus anderen Märkten und Branchen (zum Beispiel mit langfristigen Stromabnahmeverträgen/ PPA) zeigen aber, dass diese Herausforderungen lösbar sind und neue Chancen bieten.
Daniel Peschel und Nicolai Herrmann, enervis energy advisors
Dies ist die bereits aktualisierte Langversion eines in ERNEUERBARE ENERGIEN im Februar erschienenen Fachaufsatzes. Die Autoren bezogen nach einer Überarbeitung nun die bekannt gegebenen Ergebnisse der ersten Ausschreibungsrunde für Windenergieprojekte an Land im Jahr 2018 mit ein.