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Exklusiv-Interview vorab: Schaeffler entwickelt Meerwasserentsalzung für Offshore-Wasserstoff

Gemeinsam mit Wageningen Food & Biobased Research (WFBR, einem Teil der Universität Wageningen) hat das seit Sommer 2021 zu Schaeffler gehörende niederländische Start-up Hydron Energy B.V. eine Machbarkeitsstudie umgesetzt: Im Rahmen des Projekts SEA2H2 wies das Konsortium nach, dass sich klimaneutraler Wasserstoff aus Meerwasser gewinnen lässt. Eine Testanlage ist bereits in Betrieb. Bernd Hetterscheidt, Leiter Strategisches Geschäftsfeld Wasserstoff bei Schaeffler, spricht exklusiv mit ERNEUERBARE ENERGIEN über die Herausforderungen.

Wo lagen die größten Herausforderungen bei der Entwicklung?

Bernd Hetterscheidt: Überraschenderweise erwies sich die Suche nach einem geeigneten Standort für die Erprobung der Pilotanlage als recht schwierig. Ein echter Knackpunkt war es, einen geeigneten Standort zu finden, der zum einen Zugang zu einem Meerwassereinlass hatte, zum anderen die erforderliche elektrische Infrastruktur ermöglichte und zudem auch aus rechtlicher Sicht die Voraussetzungen für den Betrieb einer Pilotanlage bot. Nach langer Suche fanden wir schließlich einen sehr geeigneten Standort: den Hafen auf der niederländischen Insel Texel, der vom NIOZ, dem royalen niederländischen Institut für Meeresforschung, betrieben wird.

Wie lange hat die Entwicklung gedauert?

Bernd Hetterscheidt: Der Startschuss für das Projekt fiel Ende 2019. Der Proof-of-Concept wurde etwa 20 Monate nach dem Startschuss erreicht. Alles in allem ist dies eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, da die Arbeiten nicht nur die technische Entwicklung, sondern auch die Demonstration in der Praxis umfassten.

Wie lange läuft die Anlage auf Texel und wie gut läuft sie, welche Leistung hat sie?

Bernd Hetterscheidt: Die Pilotanlage ist seit mehreren Wochen in Betrieb, und ihre Leistung hat alle Erwartungen übertroffen: Sie läuft fast wie von Zauberhand. Wir haben bewiesen, dass die Herstellung von Wasserstoff aus Meerwasser auf kosteneffiziente Weise machbar ist. Die Integration einer fortschrittlichen Entsalzungstechnologie und der Elektrolyse von Wasser bietet einen vielversprechenden Ausblick auf das Konzept der Gewinnung von Wasserstoff in Offshore-Windparks. Die Erzeugung von grünem Wasserstoff wird gemeinhin als "Königsdisziplin" für ein emissionsfreies Energieversorgungssystem angesehen.

Werden bereits ausgereifte Technologien bei Meerwasserentsalzung und Elektrolyseur eingesetzt und nur ergänzt um besagte Filter zur Erhöhung der Reinheit des Wassers?

Bernd Hetterscheidt: Unsere Elektrolysetechnologie ist ziemlich ausgereift, aber um sie in großem Maßstab einzuführen, gibt es Herausforderungen im Hinblick auf ein schnelles Scale-up. Das Gleiche gilt für die Membrandestillationstechnologie. Hydron ist jetzt Teil des Industriekonzerns Schaeffler, was eine schnelle Industrialisierung der Technologie ermöglichen wird.

Setzen Sie auf PEM-Elektrolyseure?

Bernd Hetterscheidt: In der Tat: Das Herzstück der Anlage ist ein fortschrittlicher Polymer-Elektrolyt-Membran-Wasser-Elektrolyseur (PEMWE). Unsere Technologie zeichnet sich durch hohe Leistung aus und ermöglicht eine kosteneffiziente Produktion von Wasserstoff. Sie kann dynamisch betrieben werden, was ein wichtiges Merkmal bei der Versorgung mit intermittierenden erneuerbaren Energiequellen ist. Außerdem bietet PEMWE eine hohe Leistungsdichte, ist robust, zuverlässig und effizient. Darüber hinaus kann der Wasserstoff bereits unter hohem Druck erzeugt werden, so dass keine zusätzlichen Kompressoren benötigt werden, was sich positiv auf die Betriebskosten auswirkt.  Eine perfekte Lösung für eine Offshore-Anwendung, bei der der Platz begrenzt, die Umgebung rau und der Zugang für Service und Wartung schwierig ist.

Handelt es sich bei der Meerwasserentsalzung um eine Technik, wo das Meerwasser mit Druck durch eine semipermeable Membran gepresst wird?

Bernd Hetterscheidt: Die herkömmliche Entsalzungstechnologie ist in der Regel die übliche Methode zur Gewinnung von Süßwasser aus Meerwasser und wird als Umkehrosmose (UO) bezeichnet. Das Meerwasser wird durch eine halbdurchlässige Membran gepresst, die im Wesentlichen gelöste Ionen und andere Verunreinigungen zurückhält. Die im Rahmen des SEA2H2-Projekts angewandte Technologie basiert auf dem bekannten Verfahren der Destillation, wenn auch in einer fortschrittlichen Variante: der Membrandestillation. Bei dieser vielversprechenden Entsalzungs-/Reinigungstechnologie wird Wärme zur "Reinigung" des Meerwassers in einem ausgeklügelten Modul auf Membranbasis eingesetzt.

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Wie funktioniert der Filter, der zur maßgeblichen Erhöhung der Reinheit führt? 

Bernd Hetterscheidt: Wie bereits erwähnt, ist die Membrandestillation ein sehr effizientes Verfahren zur Entsalzung von Meerwasser: Es wird Wärme verwendet, um Süßwasser zu erzeugen. Die hierfür benötigte Wärme wird von einem Elektrolyseur "umsonst" geliefert, da die elektrochemische Umwandlung von Wasser in Wasserstoff (und Sauerstoff) nicht zu 100 % effizient ist und die überschüssige Wärme ohnehin an die Umwelt abgegeben werden muss. Außerdem erfordert der Elektrolyseprozess sehr reines Wasser als Ausgangsmaterial. Die übliche Bezeichnung für die Reinheit von Wasser basiert auf der elektrischen Leitfähigkeit mit der Einheit S/cm. Sehr reines Wasser enthält praktisch keine Ionen (daher der Name deionisiertes Wasser), weshalb die Leitfähigkeit sehr niedrig ist (<<1 µS/cm). Meerwasser hingegen enthält große Mengen an gelösten Salzen: etwa 35 g/L. Dementsprechend beträgt die Leitfähigkeit von Meerwasser bis zu 60 mS/cm! Die Entsalzung und Reinigung von Meerwasser ist mit Kosten verbunden.  Die Integration von Elektrolyse und Membrandestillation schlägt also quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Prozess der Membrandestillation nutzt die Abwärme des Elektrolyseurs, der wiederum das erzeugte deionisierte Wasser als Ausgangsmaterial verwendet.

Was für ein Energieaufwand ist nötig?

Bernd Hetterscheidt: Das Elektrolyse-Verfahren wird mit elektrischer Energie betrieben, während das Membrandestillationsverfahren die (Ab-)Wärme aus dem Elektrolyseprozess nutzt. Im Gegensatz zur Umkehrosmose werden keine Hochdruckpumpen benötigt, um das Wasser durch halbdurchlässige Membranen zu "drücken". Der Prozess der Membrandestillation beruht auf der Physik der Verdampfung, angetrieben durch die vom Elektrolyseur abgegebene Wärme und der anschließenden Kondensation, unterstützt durch kaltes Meerwasser. Die erforderliche elektrische Leistung für das Pumpen des Wassers durch das System ist sehr gering, da es mit niedrigem Druck arbeitet.

Wie geht es mit der Skalierung weiter, Zeitrahmen?

Bernd Hetterscheidt: Da das Thema der grünen Offshore-Wasserstoffproduktion immer mehr an Fahrt gewinnt, ist davon auszugehen, dass die Lieferkette für die erforderliche Ausrüstung schnell anlaufen wird. Die Ambitionen sind hoch, Regierungen und Industrie stimmen sich ab: Bis 2030 werden diese Technologien die Gigawatt-Größe überschreiten. Wir bei Schaeffler beschäftigen uns intensiv mit der Industrialisierung von fortschrittlichen Elektrolyseuren und der damit verbundenen Wasserstofftechnologie. Wir sind davon überzeugt, dass die von uns im Rahmen des SEA2H2-Projekts entwickelte Technologie schon in wenigen Jahren in großem Maßstab eingesetzt werden wird und so zur Verwirklichung einer nachhaltigen und kohlenstofffreien Energiezukunft beiträgt! Die ersten Produktionslinien für PEMWE-Stacks und zugehörige Komponenten werden derzeit in Betrieb genommen, und die nächste Generation der leistungsstarken PEMWE-Stack-Technologie befindet sich bereits in der Entwicklung. Unterstützt wird dies durch geförderte Projekte, wie das deutsche H2Giga-Projekt, bei dem Schaeffler ein Teilprojekt mit neun Partnern leitet, mit dem Ziel, die nächste Generation der Stack-Technologie zu entwickeln. Wir suchen aktiv nach zusätzlichen Möglichkeiten, zum Beispiel im Rahmen der europäischen IPCEI-Wellen, und entwickeln gleichzeitig weitere Vorzeigeprojekte wie die SEAS2H2-Pilotinstallation, auch bekannt als der "Blue Container".

Bernd Hetterscheidt, Leiter des Geschäftsfeldes Wasserstoff bei Schaeffler

SCHAEFFLER

Bernd Hetterscheidt, Leiter des Geschäftsfeldes Wasserstoff bei Schaeffler