Erst Kaskasi, dann wohl Arcadis Ost hauchdünn vor Baltic Eagle und Gode Wind 3, schließlich Borkum Riffgrund 3 und He Dreiht. Von 2022 bis 2025 nimmt der Offshore-Windparkzubau vor den deutschen Küsten mit Betriebsstarts sechs neuer Projekte ganz allmählich wieder Fahrt auf. Kommt Deutschland bei Offshore-Windkraft so auf volle Tourenzahl zurück? Und bleibt es ein für Investoren guter Markt?
Auf jeden Fall beginnt nach einer mehr als einjährigen Pause eine neue Phase des deutschen Offshore-Windkraftausbaus, wenngleich sie erst langsam in Takt kommt: Die jährlich in Betrieb gehenden Erzeugungskapazitäten erreichen anfangs ein Niveau knapp oberhalb des Einbruchsjahres 2020. Dieses hatte die Bundesregierung mit einer unvorbereiteten Systemänderung verursacht. Es waren nur noch Rest-Kapazitäten von gut 200 Megawatt (MW) aus der abgeschafften gesetzlich gesicherten Vergütung oberhalb der Kilowattstunden-Handelspreise ans Netz gekommen. Nun, 2022 und 2023, stehen Erzeugungskapazitäten von 325 (Kaskasi) und knapp 250 MW (Arcadis Ost) vor dem Netzanschluss. 2024 werden rund 700 MW folgen (Baltic Eagle und Gode Wind 3), was noch nicht ganz an das mittlere Niveau von knapp einem Gigawatt (GW) der vier Jahre vor dem Markteinbruch heranreicht. 2025 wird mit Inbetriebnahmen von 1,8 GW (Borkum Riffgrund 3 und He Dreiht) das zweitbeste Jahr nach 2015. Alle neuen Projekte entstammen zwei Ausschreibungen im sogenannten Übergangssystem, die 2017 und 2018 stattfanden. Zuschläge bekamen Bauvorhaben, deren Projektierer die geringste Vergütung pro Kilowattstunde (kWh) verlangten.
Im September endet zudem die erste Ausschreibung einer nun folgenden Serie jährlicher Tender. Sie gewährleistet nach aktuellen Berechnungen das vertraute deutsche Fast-GW-Installationstempo für 2026 bis 2028, verdreifacht den Zubau 2029, um 2030 mittels eines 4-GW-Schlussspurts noch das Ausbauziel von 20 GW zu schaffen. Das im Dezember reformierte Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) schreibt dieses nun vor.
Deutschland: maßgeblich wieder 2025?
Doch anders als bei den 27 schon betriebenen Windparks mit 7,8 GW wird Deutschland vorerst in keinem wirtschaftlich und technisch bedeutsamen Faktor eine Führungsrolle einnehmen. Lange Zeit gehörten die deutschen Windparks im Meer zu den leistungsstärksten. Lange Zeit errichteten die Projektierer hierzulande die Anlagen mit den größten Nennleistungen. Lange bauten sie am weitesten draußen vor den Küsten in den stabilsten Windlagen. Bis 2025 werden sie hierbei keine neuen internationalen Maßstäbe setzen. Auch der deutsche Größenrekord von 2019 des EnBW-Windkraftwerks Hohe See von 497 MW hält – vorerst: 2024 kann sich Iberdrola mit dem Ostsee-Netzanschluss der 475 MW von Baltic Eagle erstmals heranpirschen. Erst 2025 planen die Energiekonzerne EnBW und Ørsted, He Dreiht und Borkum Riffgrund 3 mit jeweils 900 MW mehr Kapazität ans Netz zu nehmen.
In Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, den USA und vielleicht sogar Polen sehen die Meereswindparkplaner bis dahin größere Dimensionen vor: Dänemark nimmt derzeit 605-MW-Windpark Kriegers Flak in der Ostsee in Betrieb. In Frankreich könnten von sechs geplanten Offshore-Windparks bis 2024 vier die 500-MW-Marke kratzen, wozu jeweils nur noch die halbe Leistung einer weiteren Windenergieanlage fehlt. In Großbritannien gehen GW-Windparks seit 2020 – damals mit 1,2 GW Hornsea One – in Betrieb. Die Niederlande erleben die Inbetriebnahme von Projekten mit 700 und mehr MW seit 2020 und rechnen für 2023 mit dem weltersten 1,5-GW-Windpark. In den USA könnten die ersten Offshore-Windfarmen spätestens 2024 bis zu 800 MW stark sein – ganz zu schweigen von asiatischen Märkten.
Und während wohl bis 2023 Hollandse Kust Zuid in den Niederlanden aus 11-MW-Anlagen von Siemens Gamesa mit 200 Meter Rotordurchmesser und Großbritanniens Dogger Bank A aus 13-MW-Anlagen von GE mit 220-Meter-Rotor entstehen, beginnt die neue deutsche Installationsära mit geringeren Maßen. Erst 2025 gewinnt EnBW bei He Dreiht die deutsche Pionierposition bei Anlagendimensionen zurück. EnBW bestellte nun die Rekordanlage V236-15 MW (siehe Info Seite 60).
Allerdings dürften Investmentgesellschaften, Energiekonzerne und Projektierungsfirmen weltweit sehr genau verfolgen, was in Deutschland passiert. Die Branche muss hierzulande nämlich vorführen, wie die ersten deutschen Ausschreibungsprojekte ohne die frühere gesetzliche Absicherung wirtschaftlich sein werden – auch wenn sie kleiner und dennoch meistens küstenfern sind. Zumal die sechs Projekte sehr unterschiedliche Vergütungssätze erbrachten: Für ihre 900-MW-Windparks setzten die Energiekonzerne EnBW und Ørsted auf Null-Cent-Gebote. Deren Gewinne müssen alleine aus dem Stromhandel oder langfristigen Stromlieferverträgen mit Energiekunden kommen. Dafür befinden sich wenige Kilometer von Borkum Riffgrund 3 zwei weitere, unmittelbar benachbarte Ørsted-Windfelder mit zusammen mehr als 700 MW Nennleistung. So lassen sich Wartungs-Einsätze für alle drei Windparks zusammen planen und Schiffsanfahrtskosten sparen. Außerdem haben die Dänen durch zwei Stromabnahmeverträge schon 250 MW des 900-MW-Feldes mit dem Online-Handelsriesen Amazon sowie 100 MW mit dem Kunststoffehersteller Covestro abgesichert. Zusätzlich gewannen sie mit den Zuschlägen für die zwei Teilwindparks von Gode Wind 3 eine für heutige Ausschreibungen hohe Vergütung von unterm Strich fast 8 Cent pro kWh. Mag dies schon wie eine Mitversicherung für die Null-Cent-Gebote wirken, liegt auch Gode Wind 3 in einem Cluster mit zwei weiteren ähnlich großen Ørsted-Meereswindparks.
EnBW sichert den Null-Cent-Zuschlag durch die Nachbarschaft zum 500 MW starken EnBW-Windfeld Hohe See ab. Die logistisch herausfordernden 90 bis 100 Kilometer Küstenentfernung gehen also auch hier einher mit sehr hoher Effizienz bei den Wartungen. Ørsted und EnBW wollen ihre finalen Investitionsentscheidungen noch Ende dieses Jahres und 2023 treffen.
RWE: Mehr Vergütung durch Pilotzuschlag
Kaskasi wiederum hat einen Zuschlag oberhalb des gemittelten Vergütungspreises der Ausschreibung von 2018 von 4,66 Cent pro kWh erhalten, wie RWE bestätigt. Wobei 6 der 38 Anlagen 10 Cent pro kWh einbringen, weil RWE sie als Pilotanlagen für neue Technologien gemäß einer WindSeeG-Regelung einstufen ließ. Das erhöht die Gesamtvergütung von Kaskasi um 0,8 Cent pro kWh. Kaskasi bildet künftig zusammen mit den RWE-Nachbarwindparks Amrumbank West und Nordsee Ost ein 632-MW-Cluster, das für eine Service-Wartungsstation auf der nahe gelegenen Hochseeinsel Helgoland gut erreichbar ist. Die Pilotanlagen-Förderung zieht RWE für eine kragenförmige Ummantelung des Monopiles am Seeboden, die noch mehr Standfestigkeit garantieren soll, sowie für eine Seetiere schonende Methode zum Einsenken der rohrförmigen Fundamente in den Seeboden. Dies geschieht mittels leiserer Vibrationen anstelle von Rammschlägen.
Die Vergütung von Arcadis Ost verriet Investor Parkwind bisher nicht. Die Belgier kauften 2018 das Ostsee-Projekt ein und ließen es auf eine stärkere Turbinensorte umgenehmigen. Anstelle vorher geplanter 6-MW-Anlagen bestellte Parkwind im Juni 9,5-MW-Anlagen. Größere Nennleistungen pro Anlage gelten in der Offshore-Windkraft als Vorteil für den Service. Denn dieser muss dadurch weniger Anlagen mit aufwendigen Bootstouren anfahren. Ohnehin begrenzt die Küstennähe der deutschen Ostseeprojekte die Betriebskosten.
Auch Baltic Eagle hat mit einem 6,46-Cent-Gebot eine eher hohe Absicherung erreicht. Nicht zuletzt gewann Investor und Projektierungsunternehmen Iberdrola damit den zweiten Baustein zur Bildung seines Windpark-Clusters in der Ostsee. Der benachbarte Iberdrola-Windpark Wikinger mit 350 MW war 2018 ans Netz gelangt.
Die Stiftung Offshore Windenergie erkennt ein Muster im Bieterverhalten, das für die Rentabilität der bis 2025 entstehenden Windparks spricht. Mit Verweis auf die Clusterbildungen sagt Stiftungs-Geschäftsführerin Karina Würtz: „Wenn eine kleine Fläche ausgeschrieben wird, für die kein Bieter solche Synergien nutzen kann, dann werden für diese Fläche die Gebote und somit der Zuschlagswert eben höher sein, damit Wirtschaftlichkeit für den Betreiber entsteht. Es ist letztlich eine politische Entscheidung, ob solche Flächen ausgeschrieben und die im Zuge dessen anfallenden höheren Kosten von der Allgemeinheit getragen werden sollen.“
Strategisches Bieten zur Clusterbildung
RWE muss nun als erster belegen, dass der höhere Zuschlagswert ausreicht: Der Energiekonzern beginnt in diesem Jahr mit ersten Installationsarbeiten, wie er bestätigt. Die Windturbinen will RWE ab Sommer 2022 installieren. Noch spannender wird es für RWE aber wohl weiter westlich. Denn die Ausschreibungen durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) sehen im 2021 begonnenen sogenannten Zentralen Modell die Vergabe einzelner Entwicklungsflächen vor, für die Projektierer dann Gebote abgeben – und keinen Wettbewerb mehr mit Projekten auf verschiedenen Flächen.
Bis 2023 plant die BNetzA zuerst Tender für überwiegend kleinere Flächen, um rings um bestehende Windparks nachzuverdichten. So bietet der 2021-Tender im Entwicklungsgebiet N-3 zwei Bauflächen rings um die Windparks Nordsee One von RWE sowie Gode Wind 1-3 von Ørsted an. N-3.7 füllt die letzte Lücke inmitten der Gode-Wind-Felder. N-3.8 schließt am nordwestlichen Rand des Gode-Wind-Clusters an. Während Ørsteds Interesse an N-3.7 auf der Hand liegt, könnte RWE N3.8 im Wettbewerb mit Ørsted für sich gewinnen wollen. Dies würde eine strategisch gute Ausgangslage für 2023 sichern: Dann stehen die Flächen N-3.5 und N-3.6 im Bieterwettbewerb. Sie liegen zwischen N-3.8 und dem an der Südwestecke der Gode-Wind-Felder anschließenden Nordsee One. RWE könnte insgesamt ein quadratisches Areal für rund 1,67 GW gewinnen.
Auch für die anderen Projektierer winken Cluster-Chancen: Für 2022 steht mit N-7.2 das vorerst einzig große Areal mit 930 MW im Ausschreibungsfahrplan. Es schließt unmittelbar südlich an EnBW´s 900-MW-Windpark He Dreiht an, mit dem es ein 1,8-GW-Cluster bilden könnte. EnBW bestätigt auf Nachfrage großes Interesse an Projekt- und Cluster-Größen: „Die Größe der Projekte hat einen entscheidenden Einfluss auf die Umsetzbarkeit.“ Die Abwägung, ob eine Auktionsteilnahme „angestrebt wird“, geschehe bei EnBW aufgrund vieler Parameter wie auch der von „Synergien mit benachbarten Projekten“. In der Ostsee könnte derweil Iberdrola mit einem Zuschlag für die dritte Fläche der Ausschreibungsrunde 2021, 0-1.3, ein 300-MW-Projekt nördlich an 350-MW-Windpark Wikinger anschließen. Zusammen mit Baltic Eagle könnten die Spanier so ein GW-Cluster aufbauen wollen.
Doch könnten RWE und beispielsweise Iberdrola auch auf sogenannte Eintrittsrechte setzen. Wo sie bereits vor 2018 Projektrechte besaßen, dürfen sie im Falle eines Zuschlags an Wettbewerber ein Vorrecht wahrnehmen und ihr Projekt mit der bezuschlagten Vergütungshöhe verwirklichen.
Der Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore analysiert hierzu, dass Skalen- oder Synergieeffekte die Projektierer zu geringeren Geboten veranlassen könnten. Doch mit zunehmendem Volumen der Tender ab 2024 und mit dem Wegfall der Eintrittsrechte werde das sehr große Interesse am deutschen Offshore-Markt weiterwachsen.
Anlagenmaß
Kaskasi, 2022, 325 MW, Nordsee, Siemens-Gamesas SG 9.0-167 mit 9 Megawatt (MW)
Arcadis-Ost, 2023, 247 MW, Ostsee, V174-9,5 MW (Vestas),
Baltic-Eagle, 2024, 475 MW, Ostsee, V174-9,5 MW.
Gode-Wind-3, 2024, 272 MW, Nordsee, SG 11.0-220 – ein Jahr nach Netzanschluss dieses Typs im niederländischen Hollandse Kust Zuid
Borkum-Riffgrund-3, 2025, 900 MW, Nordsee, SG 11.0-200
He-Dreiht, 2025, 900 MW, Nordsee, V236-15 MW