Ein neues Impulspapier von Agora Energiewende zeigt, die die Netze entlastet werden. Zu den Sofortmaßnahmen zählt die Temperaturüberwachung von Höchstspannungsleitungen, wodurch sich deren Transportkapazität an windreichen Tagen erhöhen lässt. Die Übertragungskapazität von Freileitungen wird durch die maximale Betriebstemperatur des Leiterseils begrenzt. Statt der Annahme eines Normklimas wird beim Freileitungs-Monitoring die Betriebstemperatur entweder direkt gemessen, oder die Kühlwirkung des Wetters wird entlang der Trasse anhand realer Klimadaten modelliert.Dieses Freileitungsmonitoring wurde vor Jahren schon erfolgreich getestet, dann aber nur sperrlich umgesetzt. Ab 2006 führte Eon Netz in Schleswig-Holstein auf der 110-kV-Leitung Niebüll–Flensburg einen FLM-Feldversuch durch Dadurch konnte die Übertragungskapazität dieser Freileitung abhängig vom Wetter zeitweise um bis zu 50 Prozent gesteigert werden. Darauf folgten weitere Feldversuche in Norddeutschland mit 110-, 220- und 380-kV-Leitungen. Die Klimadaten wurden entlang der Trasse erhoben oder von meteorologischen Dienstanbietern bezogen. Darauf wurde mittels eines Modells in Echtzeit die aus Widerstands-Wärmeeintrag und klimatischer Kühlung resultierende Leitertemperatur errechnet. Diese Daten wurden der Netzleitstelle zur Verfügung gestellt, wo die Übertragung entsprechend erhöht werden kann. Mit Stand 2011 hatte TenneT unter Einsatz von 55 Mio. Euro Investitionen mehr als 900 km Höchstspannungsleitungen und 20 Umspannwerke von Hamburg bis Gießen auf wettergeführtes FLM umgerüstet.
Zu den weiteren Maßnahmen, die Agora anführt, zählt der Austausch der herkömmlichen Leiterseile an den Hochspannungsmasten durch Hochtemperaturleiterseile, die bei großer Strombelastung weniger durchhängen und deshalb nicht in die Nähe von Hindernissen wie zum Beispiel Bäumen geraten können. Auch der Einsatz von speziellen Transformatoren – sogenannten Querreglern – mit denen sich Stromflüsse innerhalb des Stromnetzes von stark beanspruchten auf weniger belastete Netzabschnitte umleiten lassen, gehört zu dem Maßnahmenkatalog. Üblicherweise lassen sich diese Maßnahmen innerhalb von zwei bis vier Jahren realisieren. „Der Übertragungsnetzausbau ist ein wesentlicher Baustein der Energiewende, den wir brauchen. Aber die Stromautobahnen werden erst nach 2025 vollständig realisiert sein. Bis dahin werden wir stetig steigende Abregelungen von Windstrom und Netzengpässe erleben, wenn wir nicht kurzfristig gegensteuern. Wir brauchen deshalb ein Sofortprogramm zur Optimierung der Bestandsnetze“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.
Obwohl die Maßnahmen bereits vielfach in der Praxis erprobt wurden, mangelt es noch an der breiten Umsetzung. Deswegen sollten Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber nach Empfehlung von Agora Energiewende Roadmaps zur flächendeckenden Einführung der Technologien vereinbaren, jeweils mit klaren Zeitzielen. Agora Energiewende regt zudem an, die Stromnetzregulierung und die Genehmigungsverfahren so zu überarbeiten, dass solche Sofortmaßnahmen schnell und unkompliziert angewendet werden können.
„Die kurzfristigen Optimierungsmaßnahmen helfen dabei, die vorhandenen Potenziale der Stromnetze zu heben. Da die Ersparnisse im Bereich von einigen hundert Millionen Euro jährlich liegen können, sollte die nächste Bundesregierung hier schnell tätig werden“, empfiehlt Graichen. „Auch mit Blick auf die Bestrebungen der Europäischen Kommission, den Zuschnitt der Gebotszonen im Strommarkt stärker von Netzengpässen abhängig zu machen, wäre die Regierung gut beraten, die Sofortmaßnahmen schnell anzugehen. Denn letztlich lassen sich damit auch die innerdeutschen Netzengpässe reduzieren. Andernfalls droht eine Teilung des deutschen Strommarkts in zwei Preiszonen.“
In dem Impulspapier „Optimierung der Stromnetze“ werden die kurzfristig möglichen Maßnahmen eingehend beschrieben, inklusive der nötigen regulatorischen Änderungen. Wie sich diese qualitativen Aussagen konkret auf den Betrieb der Stromnetze auswirken können, müsste im Zuge von Modellierungen und weiteren Untersuchungen geklärt werden. In diesem Zuge könnte auch die Höhe der möglichen Kostenreduktionen im Netzbetrieb beziffert werden. „Wir möchten mit diesem Papier den Anstoß geben, diese Fragen weiter zu untersuchen“, sagt Graichen.
Das Papier steht kostenlos unter www.agora-energiewende.de zum Download zur Verfügung. (Nicole Weinhold)