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Analyse Windenergieerlass NRW

Windenergieerlass aus Düsseldorf - Ein Widerspruch

Bereits im September letzten Jahres sprach Minister Pinkwart von einer „Neuausrichtung der Windenergiepolitik, welcher weitere Schritte folgen werden.“ Wie diese Aussagen zu interpretieren sind, verdeutlicht schon die geänderte Präambel mit dem Hinweis auf zunehmende Vorbehalte in der Bevölkerung. Auch der erste Entwurf zum Landesentwicklungsplan stößt ins selbe Horn, in dem er sehr viel restriktivere Abstandsvorgaben zu allgemeinen und reinen Wohngebieten vorsieht. Im Ergebnis stellt der neue Erlass eine klare Abkehr von der durch die Vorgängerregierung initiierten Förderung der Windenergie mit den im noch gültigen Landesentwicklungsplan festgesetzten Ausbauzielen. Das Ziel wird deutlich: Verschärfung der Regelung für die Windenergie und Eindämmung des weiteren Ausbaus.

Weniger eindeutig ist jedoch die Antwort darauf, welche Auswirkungen durch den geänderten Erlass nun tatsächlich zu erwarten sind.

Der Windenergieerlass soll laut Minister Pinkwart dazu beitragen, „die kommunale Planungshoheit zu stärken und einen angemessenen Anwohner-, Landschafts- und Naturschutz sicherzustellen.“ Die Regierung will sich nun verstärkt dafür einsetzen, dass ein 1.500 Meter Abstand zu reinen Wohngebieten eingeführt wird. Grundsätzlich sollen Windenergieerlasse Planungssicherheit und Transparenz schaffen, Konflikte mit dem Naturschutz minimieren sowie Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Leider ist damit nach aktueller Einschätzung in vielen Punkten nicht zu rechnen.

Vereinzelte Vorwegnahme der zukünftigen Anpassung zum LEP?

Das Kapitel „Kommunale Wertschöpfung, Bürgerwindparks und Öffentlichkeitsbeteiligung“ wurde im Vergleich zu vorherigen Version komplett gestrichen. Auch fehlt die Regelfallvermutung im Kapitel Landschaftsschutzgebiete, die der Windenergienutzung bei der Abwägung ein überwiegendes öffentliches Interesse zuspricht. Stattdessen wird der auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkte Eingriff in der Wald betont. Hier entsteht schnell der Eindruck, dass die Aussagen die bereits angedachten Änderungen zum Landesentwicklungsplan berücksichtigen sollen.

Auch Positives

Als positiv zu bezeichnen sind die klarstellenden Aussagen zum Umgang mit Erdbebenstationen und die Klassifizierung derer Funktionsfähigkeit als öffentlicher Belang. Nicht jede Beeinträchtigung führt zu einem Entgegenstehen und somit Ausschluss der Windenergie. Hervorzuheben ist auch die Klarstellung, dass bei der Ermittlung von Untersuchungsbereichen zum Artenschutz die Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarte nicht zu Grunde zu legen sind. Hinsichtlich der konkreten Anforderungen und Pflichten bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen wird explizit auf die einschlägigen Länder- Leitfäden und Handlungsempfehlungen zum Artenschutz verwiesen.

Abstand zu Siedlungsbereichen

Den in der Öffentlichkeit intensiv diskutierten Abständen zu Siedlungsbereichen wird in Form einer Bespielrechnung begegnet. Diese sieht für eine angenommene theoretische Fallgestaltung auf Basis von fünf nicht näher erläuterten und typisierten Windenergieanlagen der Drei-Megawatt-Klasse einen Abstand von 1.500 Meter zu einem reinen Wohngebiet vor. Diese Regelung ist weder als Empfehlung noch als Vorgabe formuliert. Jedoch soll hier wohl bewusst ein anderer Eindruck vermitteln werden. Rechtlich gesehen ist die Sachlage klar:

Substanziell Raum schaffen und Privilegierung

Eine verbindliche Abstandsvorgabe, welche nicht gewährleistet, dass ausreichend substanziell Raum geschaffen wird, widerspricht der Außenbereichsprivilegierung des Baugesetzbuches. Kommunen können als harte Tabukriterien (Ausschlussbereiche) nur diese festlegen, welche aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eine Errichtung von Windenergieanlagen nicht zulassen. Harte Tabuzonen sind der Abwägungsentscheidung somit entzogen, da die Nicht-Eignung dieser Flächen für die Windenergienutzung eindeutig feststeht.

NRW-Windenergieerlass | SCHEMA für das PLANUNGSVERFAHREN: Wie die regionalen Planungsgemeinschaften bei der Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung vorgehen müssen. - © ENERTRAG
NRW-Windenergieerlass | SCHEMA für das PLANUNGSVERFAHREN: Wie die regionalen Planungsgemeinschaften bei der Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung vorgehen müssen.

Steuerung durch Kommunen: Bindungswirkung des Erlasses

Welche Bindungswirkung der Erlass für die kommunalen Planungsträger entfaltet, beantwortet er selbst. Für die planenden Kommunen stellt sowohl der aktuell gültige als auch der zukünftige Windenergieerlass NRW lediglich eine Empfehlung und Hilfe zur Abwägung. Die Entscheidung über die anzuwendenden Abstände zu Wohngebieten verbleibt bei den gemeindlichen Planungsträgern und muss sich klar an bundesrechtlichen Vorgaben sowie der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren.

Der Erlass stellt rechtlich eine norminterpretierende und ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift dar. Als Verwaltungsvorschrift besitzt er für alle nachgeordneten Behörden verwaltungsinterne Verbindlichkeit. Die nachgeordneten Behörden, wie etwa die Unteren Naturschutz-, die Immissionsschutz- oder die Bauaufsichtsbehörden, müssen sich an den Erlass halten. Außenverbindlich sind zunächst einmal allein die gesetzlichen und gerichtlichen Regelungen bindend. An im Erlass vorgenommene Regelungen, welche von bundesrechtlichen und gerichtlichen Vorgaben abweichen, sind Planungsträger nicht gebunden. Halten sich Planungsträger dennoch an die hier formulierte Abstandsberechnung ohne eine eigene Abwägungsentscheidung vorzunehmen, so wären auf diese Weise zustande kommende Tabubereiche womöglich rechtswidrig und gerichtlich angreifbar.

Aufgrund des normkonkretisierenden Charakters entfaltet der Erlass auch keine unmittelbare Bindungswirkung für die Gerichte, was Max-Jürgen Seibert, Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster bei der Jahrespressekonferenz des OVG bestätigt. Die Landesregierung könne nur Empfehlungen aussprechen, da es sich in der Sache um Bundesrecht handelt. Sollten sich Kommunen in NRW dennoch darauf verlassen, riskieren sie gravierende Planungsfehler und letztlich die Unwirksamkeit der entsprechenden Flächennutzungsplanung insgesamt.

Trotz einer insgesamt klaren rechtlichen Einordnung kann der Erlass in Praxis eine große Steuerungswirkung entfalten. Insbesondere dann, wenn er von allen Entscheidungsträgern wie verbindlichen Vorgaben gehandhabt wird. Dies wiederum kann zu erheblichen rechtlichen Risiken in Form von Abwägungsfehlern bis hin zu Abwägungsausfällen führen. Faktische Außenwirkung entfaltet der Erlass aber auch bereits durch die Anwendung der an ihn gebundenen Behörden. Da der Erlass in NRW als ressortabgestimmter Runderlass mehrerer oberster Landesbehörden als Fachaufsicht einer Vielzahl von Vollzugsbehörden gefasst ist, entfaltet er eine umso stärkere Steuerungsfunktion.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Erlass Gesetzte und Rechtsprechung präzisieren kann. Er darf diese jedoch weder ändern, außer Kraft treten noch ignorieren. Da es der Landesregierung an der Gesetzgebungskompetenz zur Abschaffung der Privilegierung der Windenergie fehlt, ist sie darauf angewiesen, über den Bundesrat und auf politischer Ebene auf die Anpassung der Bundesgesetzgebung einzuwirken.

Es bleibt abzuwarten, ob der Erlass genauso wie der kürzlich beschlossene Entwurf zum Landesentwicklungsplan in vielen Punkten reine Symbol-Politik bleibt oder durch entsprechende erfolgreiche Bundesinitiativen in seinen kritischen und rechtsunsicheren Aussagen die notwendige Grundlage erhält. Bereits jetzt steht jedoch fest, dass schon die Entwürfe zum LEP und Erlass zu großen Verunsicherungen sowohl auf kommunaler Ebene als auch auf Seiten der Genehmigungsbehörden führen. Alleine die Ankündigungen zu den neuen Inhalten führten in vielen planenden Kommunen zu einem faktischen Stopp der eigenen Planungsverfahren und Infragestellung der Planungsabsichten. Am Ende entscheiden und agieren Menschen. Wie Sie das Papier interpretieren und sich von diesem in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen wird entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg der Windenergienutzung in NRW sein.

Autor: Paul Schweda, Kooperation Projektentwicklung / Niederlassungsleiter NRW, ENERTRAG