Die deutschen Emissionszahlen für 2023 haben drastisch vor Augen geführt, dass die Mobilitätswende bisher vollkommen verschlafen wurde. Nun hat der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) die CO2-Entwicklung im Verkehrssektor unter die Lupe genommen. Drei Szenarien zeigen mögliche Entwicklungspfade bis zur angestrebten Klimaneutralität 2045 auf, ein Trendszenario, das entsprechend den fehlenden aktuellen Bemühungen die Ziele umfassend um 38 Millionen Tonnen CO2 verfehlt. Ein ambitioniertes Szenario, das immer noch weit von einer nötigen CO2-Reduktion um 43 Prozent gegenüber 2022 entfernt ist. Und ein regionales Szenario, das „nur“ 15 Millionen Tonnen CO2 zu viel berechnet hat.
Bevor BEE-Präsidentin bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie an ihren Kollegen Björn Pieprzyk das Wort übergab, wies sie darauf hin, dass letztere Menge in etwa das ist, was gerade durch Erneuerbare, vor allem Biosprit, im Verkehr eingespart wird. Angesichts der 2022 in diesem Sektor ausgestoßenen 148 Millionen Tonnen ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Um das erklärte Ziel von 15 Millionen E-Fahrzeugen bis 2030 zu erreichen, müssen sich die jährlichen Zulassungszahlen vervierfachen, bis 2030 sogar versechsfachen“, so der BEE-Analyst.
Beim Thema Sonderverkehr verwies er auf die Land- und Forstwirtschaft. Die zwei Millionen Fahrzeuge im Sonderverkehr verbrauchten rund drei Milliarden Liter Sprit und machten damit 4,5 Prozent des Verkehrs aus. 61 Prozent dieses Kraftstoffs sei der Land- und Forstwirtschaft geschuldet. Auch hier müssten die entsprechenden Fahrzeuge an den Start gehen.
Dass es bei der Verkehrswende in anderen Ländern besser laufe, sehe man an Frankreich, wo im Januar 2024 37 Prozent mehr E-Autos zugelassen wurden als im Januar 2023, so Simone Peter. Hierzulande sei man nicht so schnell. Stattdessen brauche man hier zusätzliche Maßnahmen. Biokraftstoff sei vor allem im Schwerlastverkehr wichtig. Dafür müsse die Beimischungsquote erhöht werden und die CO2-Minderungsquote müsse weiter abgesenkt werden.
Was die Rolle des ÖPNV anbelangt, so Pieprzyk, sei wie im BEE-Szenario dargestellt eine Verdopplung der Aktivitäten auf der Straße erforderlich und auf der Schiene gar eine Verdreifachung bis 2045.
Die BEE-Mobilitätsszenarien 2045 kommen zu folgenden Kernergebnissen:
» Deutschland wird seine Elektromobilitätsziele bis 2030 wahrscheinlich verfehlen, wenn sich die jetzige Verlangsamung des Markthochlaufs von elektrischen Fahrzeugen fortsetzt.
» Um das E-Mobilitätsziel der Bundesregierung von 15 Mio. vollelektrischen Pkw (Battery Electric Vehicle: BEV) bis 2030 zu erreichen, müsste sich der Neufahrzeugverkauf von 525.000 BEV im Jahr 2023 in den nächsten drei Jahren vervierfachen und bis 2030 versechsfachen. Der Anteil von BEV am gesamten Pkw-Absatz müsste dementsprechend von 18 Prozent auf schließlich fast 100 Prozent pro Jahr bis 2030 steigen.
» Die Zulassungen von E-Lkw müssen in der gleichen Größenordnung zunehmen
» Im TREND-Szenario der BEE-Analyse mit 10 Mio. vollelektrischen PKW im Jahr 2030 verbleibt eine Deckungslücke von 38 Mio. t CO2 eq, die geschlossen werden muss, um die Minderungsziele des KSG umzusetzen .
» Selbst beim Erreichen der Ziele für die Elektromobilität und sehr ambitionierten Effizienz- und Verkehrsverlagerungsannahmen betragen die Mehremissionen im Jahr 2030 24 Mio. t CO2 eq im Szenario AMBIT.
» Deswegen werden in einem dritten Szenario REGIO weitere Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt, indem Verkehr durch eine Regionalisierung der Mobilität vermieden wird. Trotzdem werden auch in diesem Szenario die Klimaschutzziele um 15 Mio. t CO2 eq im Jahr 2030 verfehlt
Für das Schließen der Deckungslücke sind weitere Maßnahmen wie die Steigerung der Biokraftstoffnutzung, ein schnellerer Hochlauf der Elektromobilität und Verkehrsverlagerungen oder -minderung und der Einsatz von E-Fuels (mit Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen, die mit Erneuerbaren Energien erzeugt wurden) notwendig. Alle Optionen müssen genutzt werden. Ein signifikanter Beitrag von E-Fuels ist aber auf Grund der zu erwartenden sehr geringen Mengen bis 2030 nicht zu erwarten.
» Eine etwa 25-prozentige Steigerung der nachhaltigen Biokraftstoffmenge gegenüber dem Höchstwert der letzten Jahre ist möglich. Der Großteil dieses Anstiegs wird durch Biokraftstoffe aus biogenen Reststoffen der Agrar- und Forstwirtschaft, Industrie und Haushalte gedeckt. Mit den zusätzlichen Biokraftstoffen können rund vier Mio. t CO2 der Deckungslücke gefüllt werden.
» Die danach verbleibende Lücke kann über weitere Maßnahmen gefüllt werden. Dazu zählen unter anderem E-Fuels, weitere Verkehrsverlagerung und -minderung und Tempolimit.
» Durch den Ausbau der Elektromobilität ist ein deutlicher Anstieg des Stromverbrauchs zu erwarten. Es muss sichergestellt werden, dass der zusätzliche Strombedarf aus Erneuerbaren Energien gedeckt wird, damit keine zusätzlichen Emissionen im Stromsektor (Energiewirtschaftssektor nach KSG) entstehen. Deswegen muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien im Stromsektor entsprechend zunehmen.
» Ein Vergleich von aktuellen Studien zu den Kosten von E-Fuels zeigt, dass selbst die Studie mit den niedrigsten Annahmen zu den Herstellungskosten von E-Fuels 2030, bei der Annahme eines nicht zu erwartenden Strompreises von nur 1ct/kWh, noch leicht über und erst 2050 deutlich unter dem fossilen Großhandelspreis liegen. Im Falle der Studie mit den höchsten Preiserwartungen an die Herstellungskosten von E-Fuels betragen diese sowohl 2030 als auch 2050 ein Vielfaches der heutigen Kraftstoffpreise. Die Nutzung von E-Fuels sollte auf die Verkehrsbereiche begrenzt werden, in denen eine direkte Elektrifizierung sowie die Nutzung von Wasserstoff und Biokraftstoffe nicht möglich sind. (nw)