In einem neuen Impulspapier warnt der PV Think Tank, ein loser Zusammenschluss von Expertinnen und Experten, die sich 2011 mit der Zukunft der Photovoltaik in Deutschland befassen, vor einer sich zuspitzenden Netzsituation. Der erfolgreiche Zubau der PV sei dadurch bedroht, denn er stoße auf immer gravierende Engpässe in den Stromnetzen. Dies manifestiere sich etwa im Hochschnellen der Netzanschlussbegehren, die viele der 888 Verteilnetzbetreiber aufgrund ineffizienter Strukturen überlaste. Zudem seien große Mengen der neu angeschlossenen Anlagen bereits heute unmittelbar von Abregelungen betroffen. Die Netzanbindung der vielen neuen PV-Anlagen werde so mehr und mehr zur Schlüsselfrage für den Ausbau der Photovoltaik.
Lösungen brauche es in verschiedenen Bereichen, so die Expert:innen. Folgende Fragen sollten dabei adressiert werden: Sind ausreichend Netzkapazitäten vorhanden? Werden Netze effizient gemanagt? Werden Netz-Spitzenlasten gewinnbringend abgepuffert und das Netz kostenreduzierend ausgelastet? Werden Netzanschlüsse effizient ermöglicht? Und: Sind Anreize für Investitionen und kostenreduzierende Netznutzung ausreichend und Kosten angemessen? Bislang herrsche mit Blick auf diese Fragen vielfach Lagerdenken vor und die Probleme würden zu wenig gemeinsam angepackt. „Eine Lösung der sich dramatisch zuspitzenden Lage kann es daher nur gemeinschaftlich geben. Es braucht nun dringend eine von der Politik getragene, gemeinschaftliche Reformoffensive für Photovoltaik und Netze“, heißt es im Impulspapier, welches hier als Download bereit steht.
Die Expert:innen im PV Think Tank regen an, im Rahmen der Reformoffensive die Perspektiven der Netzer und der PV-Betreiber besser zusammenzubringen. Die jeweiligen Sorgen unterscheiden sich. So seinen Netzbetreiber etwa durch Personalmangel mit vielen Änderungen überfordert. PV-Betreiber beklagen hingegen steigende Kosten und Unsicherheiten in der Projektierung. Unterm Strich drohe auch die gesellschaftliche Unterstützung für die Energiewende zu leiden, wenn sich der Knoten weiter zuziehe.
Insgesamt werden im Impulspapier elf Bereiche vorgeschlagen, in denen Lösungen erarbeitet werden müssen. Diese reichen von einer besseren Zusammenarbeit der Akteure über offensive Ansätze bei Digitalisierung, Standardisierung, Transparenz und Entbürokratisierung. Entscheidend sei aber auch eine bessere Netzauslastung, der zielgerichtete Netzausbau und die Einbindung von dezentralen Flexibilitäten. Tiefgreifende Strukturreformen brauche es zudem bei der Anreizregulierung, der Aufwertung von Einspeisenetzen und in Form einer Zusammenlegung der bislang auf 888 Verteilnetzbetreiber fragmentierten Aufgaben.
„Der PV-Zubau braucht Netze“, heißt es in dem Impulspapier. Weil die Engpässe immer offenbarer werden, rücke das Thema 2024 mit Wucht auf die politische Agenda. Es brauche mehr übergreifendes Denken von Akteuren dezentraler Erzeugung und „Netzern“. Nötig sei daher eine Netz-Reformoffensive, die sowohl die Perspektive der Netzbetreiber als auch die Perspektive der PV-Betreiber berücksichtigt. Kooperation und Kollaboration könne Ineffizienzen überwinden, Lagerdenken jedoch nicht. Diese Reformoffensive müsse umfassend sein. Die in manchen Kreisen verbreitete „Die werden das schon hinbekommen“-Mentalität müsse dafür überwunden werden, heißt es weiter. „Denn das Problem ist tiefer, es braucht Veränderung. Dem exponentiellen Wachstumstrend im Bereich der Photovoltaik steht bislang ein nachlaufender, linearer oder stufenweiser Ansatz der Regulierung entgegen. Dieses Muster gilt es zu durchbrechen. Generell hilft dabei alles, was Verfahren vereinfacht und begrenzte Kapazitäten zielgerichteter einsetzt. Zu unterscheiden ist dabei nach schnellen, kurzfristigen Lösungen und großen, mittelfristigen Ansätzen, die heute schon begonnen werden müssen. Priorisierungen sind wichtig, aber es braucht dabei nicht entweder oder, sondern alles parallel. Eine Reformoffensive und ein klarer Plan für die Vitalisierung des Verteilungsnetzes, um den PV-Zubau aufnehmen zu können, müssen ab sofort weiterentwickelt und sukzessive beschlossen und umgesetzt werden. Noch in dieser Legislaturperiode braucht es dafür tiefgreifende Maßnahmen, die spätestens Mitte der 2020er greifen müssen.“
Bei den Reformthemen geht es zum Beispiel um eine „Lagerdenken-Überwindungs-Offensive“, die Not tut. „Die PV- und die Netzwelt sind derzeit viel zu wenig miteinander verzahnt. Diese traditionelle Trennung beider Akteurswelten rührt aus der Zeit des konventionellen Energiesystems, des Unbundlings und den Anfängen der Energiewende. Dies wird heute vielfältig sichtbar. Teilweise sind Dialogrunden und Konferenzen zu Netzfragen noch sehr netzbetreiberlastig und die Betreiberperspektiven wenig vertreten. Forschungskonsortien zu Netzfragen binden die Expertise und Belange der Erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend ein. Betreiberthemen und Aspekte der Finanzierung von Erneuerbaren Energien-Anlagen inklusive ihrer Netzanschlüsse stehen bei Netzfragen oft zu wenig im Blick. Zugleich haben die PV-Betreiber oftmals zu wenig Verständnis für die Herausforderungen und historisch gewachsenen Strukturen der „Netzer“. Diese Aufspaltung in „zwei Lager“ wirkt sich kontraproduktiv aus. Hier gilt es Brücken zu schlagen, die Perspektiven zusammenzubringen und Lagerdenken zu überwinden. Denn die Lösung der energiesystemischen Aufgaben sind im Kern eine gemeinsame Mission. Hier braucht es Innovation und Expertise aus allen Richtungen.“ Der Think Tank gibt insgesamt elf Themen für Offensiven an, die dringend erforderlich wären. Das Papier könnte eine gute Basis für ein Handeln auf diesem Gebiet sein. Themen wie Entbürokratisierung sind gleichwohl harte Brocken, aber umso wichtiger ist es, die Themen jetzt anzupacken. (nw)