Der deutsche Energie- und Wärmemix steht vor einer Zäsur. Regulatorische Vorgaben – wie auch neue geopolitische Wirklichkeiten – erfordern es von Stadtwerken und anderen Energieversorgern, das eigene Geschäftsmodell kritisch unter die Lupe zu nehmen. Ein Blick auf die Fakten zeigt, wie dramatisch die anstehende Transformation in den kommenden Dekaden sein wird. Die Anzahl installierter Gasheizungen in Gebäuden reduziert sich bis 2040 um 65 Prozent und wird bereits vor 2050 nahezu vollständig durch Wärmepumpen und Fernwärme substituiert sein. Die Fernwärmeproduktion wird bis 2045 vollständig dekarbonisiert – der Anteil von Erdgas in der Fernwärmeerzeugung sinkt dazu jährlich um 7 Prozent ab 2025. Die operativen Umsatzerlöse durch Netzentgelte bei Gas sinken bis 2030 mit rund 3 Prozent jährlich und im Anschluss rapide mit 14 Prozent jährlich bis 2050.
Damit erodiert zunehmend das klassische Geschäftsmodell von Stadtwerken, welches sich auf den Verkauf fossiler Energieträger wie auch den Betrieb der Gasnetze stützte. Der Abschied vom Gasnetz ist dabei eine Herausforderung, die bis dato oft weniger im Fokus steht: Bereits bis 2030 werden die operativen Erlöse um 30 Prozent sinken, während im gleichen Zeitraum die Betriebs- und Instandhaltungskosten um 2,5 Prozent im Jahr steigen werden. Ein Spagat, der zur Folge hat, dass Kosten auf immer weniger Verbraucher umgelegt werden müssen. Eine Reduktion der Anschlüsse um 60 Prozent resultiert in einer Verdreifachung der Netzentgelte pro Kilowattstunde Gas.
Für die Netzbetreiber ist somit klar, dass ein langsamer Abschied – auch von den Netzen – erforderlich sein wird. Ideen, die etwa eine Nutzung zu Gunsten von Wasserstoff forcieren, scheinen in der Fläche nicht realistisch. Insofern gilt es derzeit nur, an einer langfristigen Strategie für die Zukunft der Gasnetze zu arbeiten, um einen ökonomisch abgepufferten Abschied sicher zu stellen. Die Bundesnetzagentur ermöglicht etwa bereits verkürzte Abschreibungszeiträume, geht aber auch nicht davon aus, dass nach 2045 noch in Gasnetze investiert wird.
Neue Geschäftsmodelle und Wettbewerber
Die Energiewende birgt trotz aller Widrigkeiten auch erhebliche Wachstumspotenziale für Energieunternehmen. Hier rücken stetig innovative Energielösungen und die Erzeugung von erneuerbarem Strom ins Blickfeld der Strategen. Energielösungen für B2C- und B2B-Kunden spielen eine zentrale Rolle. Privat- und Unternehmenskunden stehen vor der Herausforderung, ihre Energiekosten zu senken, CO2-Emmissionen zu reduzieren sowie die eigene Energieautarkie zu erhöhen. Die erneuerbare Energieerzeugung ist ein stark wachsender Markt. Im Fokus von Stadtwerken stehen hierbei häufig PV-Freiflächen oder Aufdachanlagen zur Erzeugung und Vermarktung von grünem Strom. Grund dafür sind die verfügbaren Flächen und die schnelleren Realisierungszeiten im Vergleich zu Windprojekten.
Die neu entstehenden Ökosysteme ermöglichen es den Stadtwerken und anderen Energieunternehmen mit ihren gefestigten Kundenbeziehungen, ihrer hohen regionalen Bekanntheit und tiefem energiewirtschaftlichem Knowhow, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Der Pfad vom Produktanbieter zum Lösungsanbieter ist bereits vielzitiert. Stadtwerke sollten versuchen, eine essentielle Rolle in der Wertschöpfung ihrer Kunden zu spielen. Dabei wird man abrücken vom Verkauf fossiler Brennträger oder von Strom, vielmehr wird man künftig umfassende Lösungspakete bereitstellen. Ein gangbarer Weg hierbei ist etwa der Bereich „Wärme-as-a-Service“. Geschäftskunden können so beispielsweise sämtliche Fragen und Herausforderungen rund um die Wärmeversorgung gänzlich an einen Dienstleister auslagern, um wertvolle Ressourcen zu sparen. Anbieter in diesem Bereich werden so zu noch wichtigeren Partnern und sind deutlich schwieriger substituierbar.
Wie kann der Wandel gelingen?
Die Verheißungen des Lösungsgeschäfts sind klar ersichtlich. Doch wenn Stadtwerke tatsächlich an den Chancen der Transformation partizipieren wollen, müssen sie sich grundlegend anpassen und umstellen. Mehr denn je ist es erforderlich, den Kunden mit seinen Ansprüchen und Problemen in den Mittelpunkt zu stellen. Wem es gelingt, Lösungen aus einer Hand anzubieten, schafft als Energieversorger neue partnerschaftliche Mehrwerte. Dazu ist es unerlässlich, alsbald einen klaren Fokus auf ein Lösungsportfolio umzusetzen. Dies erfordert eine Neuausrichtung hinsichtlich der Kategorien Produkt, IOT und Technologie, nicht zuletzt müssen neue Kenntnisse und Fähigkeiten im Unternehmen aufgebaut werden.
Darüber hinaus muss ein Augenmerk auf der Entwicklung integrierter und kundenorientierter Vertriebsansätze entlang aller Kanäle gelegt werden. Anders als bis dahin üblich sollte verstärkt am Aufbau von Partnerschaften zur Ergänzung der Fähigkeiten und zur Steigerung der Marktdurchdringung gearbeitet werden.
Um den Übergang tatsächlich reibungslos zu bewerkstelligen, sollten Stadtwerke darauf bedacht sein, den Aufbau des Lösungsgeschäft in einer separaten Struktur, getrennt vom bestehenden Commodities-Geschäft, zu forcieren. Getrennte Strukturen stellen sicher, dass Prioritäten richtig gesetzt sind und die Zufriedenheit der Kunden stets im Fokus behalten wird. Nicht zuletzt gilt es, die Etablierung einer lösungs- und wachstumsorientierten Unternehmenskultur durchzusetzen.