Zunehmende fluktuierende Einspeisung aus Windkraft- und PV-Anlagen in das deutsche Stromnetz, dessen Ausbau nur langsam voranschreitet, führt derzeit verstärkt zu Engpasssituationen. Vor allem durch Einschränkungen im Übertragungsnetz kann zum Beispiel ein Überangebot von Windstrom im Norden oft nicht in die süddeutschen Nachfragezentren transportiert werden, da vorhandene Nord-Süd-Leitungskapazitäten bereits ausgelastet sind. Netzengpässe werden aktuell durch regulatorische Eingriffe in die Erzeugungsleistung von konventionellen Kraftwerken behoben: das sogenannte Redispatch. Alternativ auch von Erneuerbare-Energie- und Kraftwärmekopplungsanlagen; das ist dann das sogenannte Einspeisemanagement. Im Jahr 2020 führten Redispatch und Einspeisemanagement zu Kosten von insgesamt rund 982 Millionen Euro.
Ab Oktober 2021 werden diese zwei Maßnahmen durch den sogenannten Redispatch 2.0 zusammengeführt. Zur Teilnahme am Redispatch 2.0 sind dann Erzeugungsanlagen und Speicher ab 100 Kilowatt (kw) verpflichtet. Bei der Entschädigung dieser regulatorischen Maßnahmen gilt für betroffene Anlagen das Kostendeckungsprinzip. Anlagen können somit keine zusätzlichen Einnahmen durch die Beteiligung an der Engpassbeseitigung erzielen, wodurch keine Anreize für eine kostenoptimale Betriebsanpassung gegeben sind. Dieser fehlende Anreiz kann dazu führen, dass Effizienzsteigerungs- und Innovationspotenzial nicht mobilisiert wird. An dieser Stelle setzt der Smart-Market-Ansatz an.
Neuer Forschungsansatz
Im Forschungsprojekt SmartBio, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert wird, befassen sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) Tanja Mast und Benedikt Hümmer, unter der Leitung von Uwe Holzhammer, mit einer möglichen marktbasierten Ergänzung des aktuellen Netzengpassregimes, den sogenannten Smart Markets. Smart Markets sind im Ausgestaltungsansatz der THI lokal und temporär begrenzte Märkte für das Netzengpassmanagement. In diesen Märkten könnten sowohl Erzeuger als auch Lasten ihre Flexibilität zur Behebung eines Netzengpasses anbieten. Die Teilnahme an dem von der THI erarbeiteten Smart-Market-Ansatz ist nicht durch Mindestleistungsanforderungen eingeschränkt. Damit könnten im Vergleich zum Redispatch 2.0 nicht nur flexible Lasten, sondern auch kleinere Erzeuger und Speicher mit unter 100 kW zusätzlich ins Engpassmanagement integriert werden.
Die teilnehmenden elektrischen Flexibilitätsoptionen geben Gebote für eine netzdienliche Anpassung ihrer ursprünglich geplanten Betriebsweise ab. Die Gebote spiegeln die Zusatzkosten wider, die der Anlage durch die techno-ökonomisch optimierte Leistungsanpassung entstehen. Wie auch im Day-Ahead-Strommarkt ist die letzte bezuschlagte Flexibilität preissetzend. Über die Preisbildung nach dem Markträumungs-Prinzip besteht für Flexibilitätsoptionen die Möglichkeit, Zusatzerlöse am Smart Market zu generieren. Durch die Einbindung bisher ungenutzter Flexibilitätspotenziale, durch den beim marktbasierten Netzengpassmanagement vorherrschenden Konkurrenzdruck und durch die über zusätzliche Erlöspotentiale mobilisierte Innovation, wird eine Kostenreduktion gegenüber dem kostenbasierten Regime erwartet.
Der Redispatch 2.0 bleibt auch in dem vorgeschlagenen Smart-Market-Ansatz als Rückfalloption erhalten, um eine hohe Versorgungssicherheit – bei insgesamt geringeren Gesamtkosten – zu gewährleisten. Die Rückfalloption wird dann gezogen, wenn der Smart Market den Netzengpass nicht vollständig auflösen kann. In diesem Fall wird dann das verbleibende Engpassvolumen über den regulatorischen Redispatch 2.0 kostenbasiert bewirtschaftet.
Chancen für Biogasanlagen
Im Forschungsprojekt „SmartBio“ steht die Rolle der Biogasanlagen in möglichen Smart Markets im Fokus. Für Biogasanlagen könnte ein solches marktorientiertes Engpassmanagement die Möglichkeit bieten, zusätzliche Einnahmen zu generieren. Diese Einnahmen können dazu dienen, die nötige Förderintensität von Biogasanlagen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Zukunft etwas abzusenken. Flexible Anlagen können die Stromeinspeisung zu Engpasszeiten mit überschaubarem Zusatzaufwand in Zeiten mit geringerer Netzbelastung verschieben. Hierdurch stellen sie ein bereits vorhandenes Flexibilitätspotenzial zur marktbasierten Engpassbeseitigung dar.
Im aktuellen Biogasanlagenbestand weist ein immer stärker wachsender Teil der Anlagen die technische Voraussetzung auf, den Strom bedarfsorientiert zu produzieren und die Stromerzeugung in erster Linie nach dem überregionalen Strommarkt auszurichten. Das Potenzial dieser flexiblen, stromgeführten Biogasanlagen, Zusatzerlöse am Smart Market zu generieren und gleichzeitig regionale Netzengpässe zu entschärfen, wird im Forschungsprojekt entsprechend untersucht.
Beitrag zur Engpassbehebung
Die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass stromgeführte Biogasanlagen grundsätzlich einen Beitrag im marktbasierten Netzengpassmanagement zur Engpassbehebung leisten können. Dieser Beitrag ist dabei stark vom Flexibilisierungsgrad der Anlage und der regionalen Engpasscharakteristik abhängig. Zur Behebung PV-getriebener Netzengpässe in Süddeutschland können zum Beispiel sehr flexible Anlagen durch die Reduktion der Stromeinspeisung nur beschränkt beitragen. In vielen Fällen führt bereits eine starke Ausrichtung nach dem Day-Ahead-Strompreis zu einer Betriebsweise, welche auch für die regionale PV-getriebene Netzproblematik dienlich ist. Die Stromeinspeisung dieser Anlagen ruht also bereits oft zu PV-getriebenen Netzengpasszeiten, wodurch eine durch den Smart Market angereizte weitere Reduktion der Einspeisung zur Engpassbehebung nicht mehr erfolgen kann. Tritt allerdings ein regionaler Engpass zu Stromproduktionszeiten flexibler Biogasanlagen auf, sind diese Biogasanlagen aufgrund ihrer Fähigkeit, niedrige Gebote am Smart Market abzugeben, den konkurrierenden Marktteilnehmern wie Wärmepumpen oder Elektroautos nach aktuellen Untersuchungen in vielen Fällen überlegen.
Ob diese für Biogasanlagen günstige Wettbewerbssituation auch in Situationen auftritt, die ein Hochfahren von Erzeugungsleistung anreizen, soll im weiteren Verlauf des Projektes geklärt werden. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn in Süddeutschland den Nord-Süd-Engpässen im Übertragungsnetz entgegengewirkt werden kann.