Es gibt wohl kaum ein Thema, das derzeit in der Energiebranche so viel Aufmerksamkeit bekommt wie Wasserstoff. Fast täglich verkünden Unternehmen eine geplante Zusammenarbeit, startet ein Forschungsprojekt oder treten Politiker mit Vertretern ferner und naher Länder vor die Kameras, um eine engere Kooperation beim wichtigen Zukunftsthema Wasserstoff vorzustellen.
Der Bedarf ist riesig: Die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung rechnet mit einem Gesamtwasserstoffbedarf von 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2030. Zehn Gigawatt Elektrolyseleistung in Deutschland sollen bis dahin grünen Wasserstoff produzieren, also unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen. Der Rest soll aus Drittländern importiert werden.
So soll das Wasserstoffnetz wachsen
Gebraucht werden zudem Speicher und Leitungen. Anders als Erzeugungsanlagen, die neu errichtet werden müssen, können sie von Gas auf Wasserstoff umgestellt werden. Rein technisch kein Problem, versichern Experten. So hatte schon im Frühjahr der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) die Ergebnisse eines Forschungsprojekts bekannt gemacht, nach denen zu Kosten von 30 Milliarden Euro die im Gasnetz verbauten Stahlrohrleitungen auf Wasserstoff umgerüstet werden könnten.
Bereits 2025 sollen die ersten Leitungen des künftigen Wasserstoffnetzes betriebsbereit sein. Bis 2032 soll dann schrittweise ein rund 9.700 Kilometer umfassendes Kernnetz aufgebaut werden, das die maßgeblichen Regionen auf Angebots- und Anwendungsseite anbindet. Mitte November hatten Wirtschaftsminister Robert Habeck und FNB Gas, die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber, einen entsprechenden Plan vorgestellt und die Kosten dafür auf rund 19,8 Milliarden Euro beziffert. Immerhin: 60 Prozent des Kernnetzes sollen aus umgestellten Leitungen bestehen.
Wir zeigen, dass die bereits vorhandenen Anlagen im Kavernenfeld Etzel für die Wasserstoffspeicherung geeignet sind.
Zudem werden Speicher gebraucht: Die Langfristszenarien der Bundesregierung rechnen mit 2 TWh Speicherbedarf im Jahr 2030 und mindestens 70 TWh 2045 – und da sind die Kraftwerke aus der jetzt vorgelegten Kraftwerksstrategie noch nicht mal inbegriffen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat daher eine Speicherstrategie angekündigt und ein erstes Grünbuch verfasst. Bis Anfang/Mitte 2024 soll die fertige Strategie vorliegen.
Genau wie Leitungen lassen sich auch vorhandene Erdgasspeicher mit einigen Umbauten auf Wasserstoff umrüsten. „Technisch ist das kein Problem“, sagt Marcel Sodmann, Leiter Öffentlichkeitsarbeit und Markscheidewesen beim Speicherbetreiber Storag Etzel im niedersächsischen Friedeburg. Vor allem Kavernenspeicher, wie es sie im Norden Deutschlands gibt, ließen sich umstellen.
Forschungsprojekt H2Cast erprobt Betriebsführung eines Speichers
Herausforderungen gibt es natürlich trotzdem, wenn es an die konkrete Umsetzung geht. Das Forschungsprojekt H2Cast Etzel, an dem Storag Etzel mit zwei Kavernen beteiligt ist, hat daher zum Ziel, einerseits die grundsätzliche Machbarkeit der großvolumigen Wasserstoffspeicherung nachzuweisen, andererseits aber auch den operativen Langzeitbetrieb der Wasserstoffspeicherung zu erproben. „Wir zeigen, dass die bereits vorhandenen Anlagen im Kavernenfeld Etzel für die Wasserstoffspeicherung geeignet sind, ohne dass es der Entwicklung neuer Bauteile bedarf“, betont Sodmann.
Erste Dichtheitstests wurden schon im Frühjahr erfolgreich abgeschlossen, aktuell laufen die Arbeiten zur Umrüstung. Ab Sommer 2024 soll die Einspeicherung von 80 Tonnen Wasserstoff beginnen. „Das Besondere an unserem Projekt ist, dass die beiden Kavernen miteinander verbunden sind und wir so die Prozesse des Ein- und Ausspeicherns analysieren können. Wir entwickeln damit eine Blaupause für die Betriebsführung von Wasserstoffspeichern“, so Sodmann. „Am Ende wird auf unseren Speichern H2-ready stehen.“
Zusätzliche Speicher werden gebraucht
Doch auch wenn auf der Speicherebene die Umrüstung technisch mit überschaubarem Aufwand zu lösen ist, bleiben noch viele Fragen offen. So steigt beispielsweise der Bedarf an Speichervolumen deutlich durch die Umrüstung von Erdgas auf Wasserstoff.
„Wir brauchen mit Wasserstoff das vierfache Volumen für den gleichen Energiegehalt verglichen mit Erdgas“, gibt Sodmann zu bedenken. Nach Berechnungen einer Studie des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie, des DVGW und der Initiative Energien Speichern können heutige Gasspeicher für die Speicherung von rund 32 TWh Wasserstoff umgerüstet und genutzt werden. Für das Erreichen der Treibhausgasneutralität seien weitere Speicher mit einer Kapazität von bis zu 41 TWh notwendig.
32 Terawattstunden Speicherkapazität können sich ergeben, wenn man die dazu geeigneten Gasspeicher auf Wasserstoff umrüstet.
Dazu kommt die Frage nach dem Zeitablauf: Derzeit sind die Speicher mit Erdgas belegt – können dann überhaupt nennenswerte Volumina umgerüstet werden, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden? „Wir gehen davon aus, dass es eine dynamische Umstellung werden wird“, sagte Frank Holschumacher, Vice President Operational Performance bei der Uniper Energy Storage, im Rahmen des 8. GET H2 Live-Talks. Derzeit liefen die ersten Forschungsprojekte, auch mit Anbindung an erste Wasserstoffleitungen, -kunden und -erzeuger. „Doch spätestens wenn wir ab 2035 einen Markthochlauf haben, werden wir neue Speicher brauchen“, prophezeite er. Gleichzeitig fehlten noch die nötigen Verfahren, wie eine Umwidmung genehmigt werden könne. „Hier brauchen wir die Politik.“
Derweil läuft die Zeit. „Die Umrüstung eines Speichers dauert zwischen fünf und sieben Jahren“, erläutert Sodmann. Den Neubau eines Kavernenfeldes veranschlagt er auf zehn bis zwölf Jahre. Mit anderen Worten: Man muss jetzt beginnen, um rechtzeitig zum Markthochlauf auch Speicherkapazitäten anbieten zu können.
Was fehlt, ist ein Geschäftsmodell
Doch dafür fehlt (noch) das Geschäftsmodell. „Wir müssten jetzt Millionen investieren, ohne zu wissen, wie wir am Ende damit Geld verdienen können“, beschrieb Michael Kohl, kaufmännischer Geschäftsführer der RWE Gas Storage West, beim GET H2 Live-Talk das Dilemma, in dem die Unternehmen stecken. „Wir warten auf die Revision der europäischen Gasdirektive, die 2024 kommen soll. Daran hängt auch die Preisregelung, doch bis sie in nationales Recht umgesetzt wird, vergehen wieder ein bis zwei Jahre.“
Gleichzeitig muss für Akzeptanz geworben werden. „Wir führen regelmäßig Bürgerveranstaltungen durch und informieren seit Jahren Anwohner und Besuchergruppen in unserer Infobox, um die Menschen über die Sicherheit der Kavernenspeicher aufzuklären“, sagt Sodmann. „Viele haben immer noch die Bilder der brennenden Hindenburg im Kopf und fürchten sich vor Unfällen.“
Doch nicht zuletzt bietet der Aufbau von Speichern auch große Chancen für Deutschland, betont Frank Holschumacher. „Deutschland liegt am Gasknotenpunkt in Europa, wir haben die Salzstöcke, um die Kavernen zu bauen, und können Speicherung als Dienstleitung anbieten.“ Ein „wichtiges strategisches Asset“ nennt er die Speicher, von denen auch die Industrie profitieren könne. „Nur losgehen muss es jetzt!“
H2-Speicherung
Kavernen sind künstlich erzeugte Hohlräume in Salzstöcken, die durch Bohren und Gewinnung von Sole geschaffen wurden. Sie sind zylinderförmig, können Durchmesser bis zu 100 Meter und Höhen zwischen 50 und 500 Meter haben und liegen Hunderte Meter unter der Erdoberfläche, in Deutschland zum Teil in Tiefen bis zu 2.500 Meter. Als Speicher für Erdöl, Erdgas oder Wasserstoff sind sie deswegen so gut geeignet, weil das Salz für eine natürliche Abdichtung sorgt. Im Bild das nördliche Kavernenfeld von Etzel.