Mit zwei bis zweieinhalb Millionen Euro Anschaffungskosten für eine konventionelle Zwei-Megawatt-Windturbine erfordern Windkraftprojekte hohe Initialinvestitionen. Dabei entfallen bis zu 30 Prozent der Gesamtkosten allein auf den Turm, wenn er als Stahlrohrvariante geliefert wird. Er macht schnell zwei Drittel des Gesamtgewichts der Anlage aus und kann bei einer Höhe von 82 Metern schon mit 150 Tonnen zum Gesamtgewicht von häufig 270 Tonnen beitragen. Die Kosten eines Stahlrohrturmes sind zum größten Teil von der verwendeten Stahlmenge abhängig. Wird der Stahl effizient eingesetzt, lassen sich daher leicht einige Tausend Euro pro Turm einsparen.
Um standfeste Türme zu konstruieren, werden in Lastsimulationen zunächst die Betriebsfestigkeits- und Extremlasten ermittelt, auf deren Grundlage der Turm ausgelegt wird.
Für den Betriebsfestigkeitsnachweis spielt der Begriff der Kerbwirkung eine zentrale Rolle. Als Kerbe bezeichnet man alle Querschnittsübergänge und Formstörungen. So stellen beispielsweise die in Abb. 1 gezeigten Anschweißbutzen, zylindrische Komponenten mit innen liegendem Gewinde, solche Kerben dar. Die Querschnittsübergänge hingegen ergeben sich daraus, dass mehrere zylindrische Bleche übereinander geschweißt ein Turmsegment ergeben. Um Material zu sparen haben diese Bleche unterschiedliche Wandstärken, weswegen an den Übergängen zweier Bleche Kanten entstehen.
Abb. 1: Typische Anschweißbutzen zur Anbindung von Leiter, Plattform und Verkabelung.
In der Umgebung von Kerben weicht die Spannungsverteilung von derjenigen des ungestörten Bauteils ab. Dieses Phänomen bezeichnet man als Kerbwirkung. In einer Kerbfallklasse werden Kerben mit gleicher oder ähnlicher Kerbwirkung zur Vereinfachung der Berechnung zusammengefasst. So hat man nach Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten den Schweißbutzen einen Kerbfall von 80 zuzuordnen, was bedeutet, dass das danach ausgelegte Bauteil für eine maximale Schwingspannungsbreite von 80 N/mm² betriebsfest ist. Das heißt, Normalspannungen in der Turmwand können 2 Millionen Zyklen mit einer Amplitude von 40 N/mm² schwanken ohne dass es zu einem Versagen kommt. Für die völlig kerbfreie Turmwand könnte die maximale Kerbfallklasse von 160 angenommen werden. Da die einzelnen Turmsegmente jedoch aus dicken Blechen bestehen, die zu einem zylindrischen oder konischen Rohrstück gerollt und in dieser Position verschweißt werden, lässt sich die daraus resultierende Längsnaht nicht vermeiden. Ebenso unvermeidbar ist die Rundnaht, mit der die einzelnen Rohrstücke zu einem Turmsegment – Kante auf Kante – fest miteinander verbunden werden. Für die Berücksichtigung des Einflusses dieser Schweißnähte schreibt der Eurocode eine Kerbfallklasse von 90 vor. Wenn es also gelingt, die Anschweißbutzen zur Befestigung der nötigen Turmeinbauten zu vermeiden, darf man für die Turmwandung mit einer Kerbfallklasse von 90 statt 80 rechnen. Dadurch muss die Wandstärke nicht erhöht werden, was bei dem obigen Turmbeispiel eine Gewichtseinsparung von zehn Prozent, beziehungsweise etwa 15 Tonnen bedeutet.
Die konstruktive Aufgabenstellung besteht also darin die Turmeinbauteile ohne Schweißanbindung an die Turmhülle im Turm sicher zu fixieren. Die zu berücksichtigenden Einbauteile sind hierbei die Turmplattformen, das Leitersystem, die Kabelführung und der Servicelift.
Magnete statt Anschweißbutzen
Die Firma Vestas zeigte vor einigen Jahren erstmalig eine Lösung dieser Problematik. Vestas setzt bei der Leiteranbindung auf starke Magnete, mit deren Hilfe das Leitersystem etwa alle zwei Meter an der Turmwandung befestigt wird. Jeder dieser Magnete hat eine Haftkraft von 3000 Newton. Abb. 2 zeigt die Leiteranbindung im Vestasturm. Vestas hat dieses Konzept durch Patentanmeldung geschützt und setzt es in ihren Turmkonstruktionen auch ein. Die Kabel werden entlang der Leiter hoch geführt, die Plattformen werden von den Flanschen abgehängt. Die Kosten für die Magnetanbindungen (mehr als 100) werden erheblich sein, dennoch erscheint das Konzept auch aus Kostensicht sinnvoll.
Abb. 2: Magnete zur Anbindung der Leiter an die Turmwand
Statt Schweißen: Abhängen, Verspannen, Abstützen
Die Firma Tembra entwickelt bezüglich des Leitersystems ein alternatives Konzept, das keine zusätzlichen Anschweißungen oder Magnetverbindungen benötigt. Es arbeitet mit vorgespannten Stahlseilen, die am Flansch jedes Turmsegmentes befestigt sind. Die Konstruktion ist so ausgelegt, dass sie innerhalb eines Turmsegmentes abgeschlossen funktioniert. Das Leitersystem endet exakt an den Flanschen und steht sofort nach der Errichtung jedes Segmentes zur Verfügung. Das aufwendige Positionieren hunderter Schweißbutzen entfällt. Somit entstehen auch keine vorstehenden Teile, die den Innenanstrich des Turms erschweren.
Das Leitersystem besteht aus einer Kombination von Stützen, die über Tragseile miteinander verbunden sind (Abb. 3 A). Jeweils am oberen und unteren Flanschende ist ein gelenkig gelagerter Kragarm (7) angebracht – diese Rohrkonstruktion stützt sich an der Turmwandung ab und gewährleistet den nötigen Abstand von der Leiter zur Turmwand; an ihr sind alle erforderlichen Komponenten aufgehängt. Zwischen dem unteren und dem oberen Kragarm werden zwei federvorgespannte Tragseile (8) gespannt, die durch die Holme der eingehängten Leiter (1) verlaufen. Die Vorspannung der Spannvorrichtung (13) an den Tragseilen ist dabei so eingestellt, dass bei maximaler Belastung des Leitersystems die einzelnen Leitersegmente immer noch unter Druck stehen. Das ist wichtig, weil die Leiter aus einzelnen Segmenten von maximal sechs Metern Länge besteht, die ineinander gesteckt werden. Die Tragseile verbinden diese Segmente fest miteinander, so dass sie nicht auseinanderrutschen (Klaffen), wenn Monteure oder Techniker sie vertikal belasten. Um die horizontalen Lasten abzufangen, sind zwischen den beiden Kragarmen weitere Abstützungen (10) angebracht (Abb. 3 C). An ihnen befindet sich ein Ausleger (12), an dessen Ende eine Seilrolle (11) sitzt. Über diese Rollen verläuft ein federvorgespanntes Spannseil, das Abstützungen und Kragarme miteinander verbindet, wodurch die resultierende Kraft in Richtung Ausleger gelenkt wird.
Immer unter Zugspannung
Durch das Zusammenspiel aus Spannseilen, Kragarmen und Abstützungen, wird das Leitersystem an die Turmwandung gepresst. Das wirkt den horizontalen Lasten entgegen, die beim Aufstieg eines Technikers oder Monteurs wirken und das Leitersystem von der Wand wegbewegen würden. Die Abstützungen sind mit Gummipuffern (14) versehen, um zum einen die Turmwandung zu schützen und zum anderen den Reibwert zwischen Abstützung und Turmwandung zu erhöhen. Die Vorspannung des Spannseils (9) muss dabei so gewählt werden, dass unter der maximal anzunehmenden horizontalen Last kein Klaffen zwischen Abstützung und der Turmwandung auftreten kann.
Durch das in der Spannvorrichtung (Abb. 3 A, 13) für Trag- und Spannseil vorgesehenen Tellerfederpaket (17) ist das System tolerant gegenüber Turmschwingungen und temperaturbedingten Längenänderungen. Ein Überlasten der Seile wird dadurch vermieden. Bei langen Turmsegmenten kann die Verspannung auch zwei oder dreigeteilt ausgeführt werden.
Abb. 4: Alles hängt am Flansch. Plattform, Kabel und Leiter haben sicheren Halt, auch ohne Schweißverbindung an der Turmwand.
Die Plattformen für Wartung und Montage zwischen den Turmsegmenten (15) werden von den oberen Flanschen (4) an Zugstäben (19) abgehängt und in horizontaler Richtung mittels Gummipuffer gegen die Turmwandung verspannt. Alle Verschraubungen sind hierbei von der Plattform (15) aus zugänglich. Die Aufstiegssicherung (3) ist wie üblich als Schiene ausgeführt und wird mit den Leitersprossen verschraubt.
Sicherer Halt auch ohne Stahlseile
Eine Alternative zur Seilverspannung ist die regelmäßige Abstützung des Leitersystems an der gegenüberliegenden Turmwand (Abb. 4). So entstehen Dreibeine die das Leitersystem in mehreren horizontalen Ebenen gegen die Turmwandung verspannen. Der Gummipuffer (Abb. 4 F, 14) der langen Abstützung (16) des Dreibeins kann federvorgespannt ausgeführt werden. Hierdurch wird ein Klaffen durch Turmdeformationen verhindert. Ein seilgeführter Servicelift (6) findet im Raum zwischen den Abstützungen (10/16) der Dreibeine Platz. Dies gilt zumindest für Türme der Megawattklasse. Die eher selten verwendeten leitergeführte Servicelifte können in dem System allerdings nicht eingebaut werden.
Abb.4: Darstellung der Einbauvariante mit regelmäßigen Abstützungen durch Dreibeine
Die Kabelführung (Abb. 4 D) ist ähnlich dem Leitersystem ausgeführt: Über eine Spannvorrichtung (13) werden zwei Tragseile (8) zwischen die Flansche (4/5) montiert, um an ihnen die Kabelhalterungen aufzuklemmen. Um Schwingungen des Kabelstrangs zu vermeiden, sind auch hier Abstützungen (10) gegen die Turmwand vorgesehen, so dass sich ein bogenähnliches Vieleck bezüglich des Kabelverlaufs ergibt (Abb. 4 E). Die Abstützungen zur Turmwand besitzen kleine Rollen (2) um von Deformationen durch Turmbiegung und Temperaturdifferenz entkoppelt zu sein.
Zwar verursacht ein solches Turmeinbausystem höhere Installationskosten im Vergleich zur herkömmlichen Lösung des Anbindens der Einbauten mittels Anschweißbutzen, sie kann wegen des eingesparten Materials dennoch wirtschaftlich eingesetzt werden. Die mögliche Gewichtsreduzierung durch die günstigere Kerbfallklasse wird die Kosten mehr als kompensieren, so dass eine signifikante Reduktion der Turmkosten erreicht werden kann. (Mathias Horn, Jürgen Wagner, Thorsten Spehr / Tembra )