Papier hat einen guten Ruf: umweltfreundlich, recycelbar, nachhaltig. Doch kaum jemandem ist bewusst, dass die Papierproduktion zu den sechs energieintensiven Industrien in Deutschland gezählt wird. Die Aufbereitung der Holzfasern, der Produktionsprozess des Papiers und dessen Trocknung verschlingen große Mengen Wärme und Strom. „Für unsere Produktion von gut 160.000 Tonnen Papier im Jahr benötigen wir 500.000 Megawattstunden (MWh) Energie, davon 100.000 MWh Strom und 400.000 MWh Wärme“, beschreibt Martin Siebert, Leiter Technik bei Drewsen Spezialpapiere im niedersächsischen Lachendorf, die Dimensionen. „Unser CO2-Fußabdruck beträgt etwa 90.000 Tonnen im Jahr.“
Umso herausfordernder ist das Ziel, das sich das Familienunternehmen gesetzt hat: Bis 2045 soll die Produktion klimaneutral sein, schon 2030 will Drewsen den CO2-Ausstoß um 80 Prozent gesenkt haben. „Das ist auch kundengetrieben“, so Siebert. „Die Nachfrage nach klimaneutralen Produkten steigt.“ Ohnehin fühlt man sich bei Drewsen der Nachhaltigkeit verbunden: So produziert das Unternehmen unter anderem Spezialpapiere, die Kunststoff als Verpackung ablösen.
Ein erster wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität ist die Energieeffizienz: „Wir konnten schon einiges erreichen“, betont Siebert. „Bezogen auf die letzten 15 Jahre haben wir den spezifischen Energiebedarf, also die Energiemenge je produziertem Quadratmeter Papier, um etwa 24 Prozent verringert. Unser Ziel ist es, diesen Wert bis 2045 um weitere 25 Prozent zu senken.“
Energieeffizienzmaßnahmen werden dafür nicht reichen. Drewsen hat deshalb ein Konzept für eine CO2-freie Energieversorgung entwickelt. Insgesamt 130 Millionen Euro will das Familienunternehmen, das rund 450 Mitarbeiter beschäftigt, in dieses Ziel investieren. „Angesichts eines Jahresumsatzes von rund 160 Millionen Euro ist das eine Herkulesaufgabe“, sagt Ludger Benien, bei Drewsen für das Erreichen der Klimaneutralität verantwortlich.
Im Fokus steht dabei zunächst die Wärmeversorgung, die den Löwenanteil des Energiebedarfes ausmacht. „Wir haben zum Jahresende die Verträge für unser Biomassekraftwerk unterschrieben“, sagt Benien stolz. Die Anlage mit 54 Megawatt (MW) Leistung wird regionale Brennstoffe wie Restholz, Stroh, Miscanthus oder Kartoffelstrünke verbrennen und so die thermische Basislast bereitstellen, die jetzt noch Erdgas liefert.
PV-Dachanlagen und Freiflächen
Für die Stromversorgung müssen mehrere Bausteine zusammengefügt werden. „Wir produzieren rund um die Uhr, nahezu das ganze Jahr, und brauchen eine stabile Energieversorgung“, erklärt Benien. Photovoltaik-Aufdachanlagen und eine Photovoltaik-Freiflächenanlage mit 1,4 MW betreibt Drewsen bereits, im Frühjahr soll der Bau einer Freiflächenanlage mit 25 MW Leistung auf einer 16 Hektar großen Fläche beginnen. „Durch die Ost-West-Ausrichtung der Module schaffen wir mehr Megawatt auf die Fläche und eine gleichmäßigere Stromproduktion“, erklärt Martin Siebert das Konzept. 23.000 MWh soll die Anlage pro Jahr direkt ins Werksnetz einspeisen.
Für die weitere Stromversorgung soll Windenergie sorgen. Drei Altanlagen, NEG Micon mit 750 Kilowatt Leistung, die künftig ins Unternehmensnetz einspeisen sollen, gehören dem Unternehmen schon. Den Großteil des Stroms sollen ab 2026 fünf neue Windenergieanlagen liefern. Sie sind Teil eines größeren Projekts aus 20 Turbinen, werden aber Drewsen gehören und über eine Direktleitung mit dem Unternehmen verbunden sein. „Wenn wir den Umweg über das öffentliche Netz nehmen, wird das wegen der Netzentgelte unwirtschaftlich“, sagt Siebert. Er rechnet mit der Genehmigung im Sommer dieses Jahres.
Der Weg dahin war nicht leicht: „Weil das regionale Raumordnungsprogramm des Landkreises in der Überarbeitung ist, hätten wir eigentlich noch auf die Ausweisung der Fläche warten müssen und so viel wichtige Zeit verloren“, berichtet Ludger Benien. Doch dem Unternehmen half die gute Zusammenarbeit mit den Behörden - und eine Gesetzesänderung. „Im vergangenen Jahr trat eine Neuregelung der Isolierten Positivplanung in Kraft, die wir in diesem Fall nutzen konnten“, sagt Lachendorfs Bürgermeisterin Britta Suderburg. Vereinfacht bedeutet Isolierte Positivplanung: Es können gezielt Flächen für die Windenergie planerisch gesichert werden, ohne das gesamte Planungskonzept der Konzentrationsplanung im Flächennutzungsplan überarbeiten zu müssen. „Voraussetzung ist, dass die Grundzüge der ursprünglichen Planung erhalten bleiben. Dies ist der Fall, wenn Flächen im Umfang von nicht mehr als 25 Prozent der bislang festgelegten Flächen zusätzlich dargestellt werden“, so Suderburg.
„Auch wir als Samtgemeinde wollten – unabhängig von der Papierfabrik – mehr für den Ausbau der Windenergie tun“, betont die Bürgermeisterin. Der entsprechende Beschluss im Samtgemeinderat vor drei Jahren sei einstimmig gefallen. „Wir sind geübt, was die Windenergie betrifft, 19 Anlagen stehen hier schon.“ Doch weil Lachendorf im Bereich der Flugkorridore der Bundeswehr liegt und deshalb Ausschlussgebiete und Höhenbegrenzungen die Planung erschweren, war nach dem ersten Windpark 2010 erst mal wieder Ruhe. Erst 2021 kam nach der Wahl Suderburgs wieder Bewegung in das Thema. „Die vertrauensvolle Kooperation auf allen Ebenen – Unternehmen, Gemeinde, Landkreis –, das war der Schlüssel zum Erfolg“, ist die Bürgermeisterin überzeugt. Auch die Bürger stünden hinter der Windenergie: „Die Diskussionen waren diesmal deutlich unaufgeregter als beim ersten Windpark.“
Auch bei Drewsen lobt man die konstruktive Zusammenarbeit, das Unternehmen drückte aufs Tempo. „Hinter uns schließen sich Türen“, sagt Benien. „Wir sind auf regionale Flächen angewiesen, auf regionales Brennmaterial, wenn wir unser Konzept umsetzen wollen. Es ist wichtig, früh an den Start zu gehen.“ Das bestätigt auch Bürgermeisterin Suderburg. „Die Flächen sind das eine, das nächste Thema ist das Netz.“ Noch könnten alle Ansprüche befriedigt werden, aber wenn noch viel Leistung hinzukomme, werde die Kapazität knapp. „Wir hoffen auf eine neue 380-Kilovolt-Leitung.“
Netze sind auch in der Papierfabrik ein Thema. Die neuen Anlagen werden ins Firmennetz einspeisen, der Anschluss der 15 weiteren Turbinen verläuft mit einer eigenen Leitung über das Betriebsgelände und soll über das ertüchtigte firmeneigene Umspannwerk ans Netz angebunden werden. Ein Repowering der Altanlagen ist zumindest perspektivisch geplant, „wenn das Bild klarer ist“, so Benien. Auf Stromspeicher hingegen verzichtet Drewsen. Nicht benötigter Windstrom soll in einer 54-MW-Power-to-Heat-Anlage direkt in Wärme gewandelt werden. „Angesichts unseres hohen Wärmebedarfs ist das sinnvoller“, erklärt der Projektverantwortliche.
Und ist es nicht ungewöhnlich für ein mittelständisches Unternehmen, so engagiert das Thema Klimaneutralität anzugehen? „Letztlich kehren wir zu unseren Wurzeln zurück“, sagt Benien. „Als das Unternehmen 1538 gegründet wurde, kam die Energie auch aus erneuerbaren Energien: Das Papier wurde hier jahrhundertelang mit Wasserkraft produziert.“