Europas Ausbau der Windparks mag 2021 das bisherige Rekordtempo von 2017 knapp übertroffen haben. Der Zubau neuer Windkraftkapazität an Land und im Meer betrug rund 17,4 Gigawatt (GW), wie die vorläufige Bilanz von Wind Europe Mitte Februar ergab. 17,1 GW waren es vier Jahre zuvor. Doch der Geschäftsführer des europäischen Windenergieverbandes Giles Dickson will aus Branchensicht nicht von einem guten Jahr für Europa sprechen. Das Ergebnis, das Wind Europe abschließend erst kurz nach Redaktionsschluss dieses Magazins veröffentlichte, verfehlt die Branchenprognose von Anfang 2021 um zwölf Prozent.
Insbesondere in den 27 Ländern der Europäischen Union (EU) konnten sich die Windenergie-unternehmen im vergangenen Jahr unterm Strich kaum stärker durchsetzen als im Jahr davor. Zwar nahm das Installationsgeschäft kontinentweit von 14,7 GW im Jahr 2020 um 2,7 GW zu. Doch EU-weit verharrte der Windkraftzubau mit rund elf GW fast auf Vorjahresniveau von 10,5 GW. Die Unzufriedenheit des Wind-Europe-Chefs bezieht sich vor allem auf einen großen Rückstand zu den Erneuerbare-Energien-Ausbauzielen des Staatenbundes: „Das Ergebnis ist unbefriedigend, weil der Ausbau weniger als die Hälfte von dem betrug, was wir jedes Jahr ausbauen müssen. Laut EU-Kommission sollten es nun bis 2030 jedes Jahr 30 GW sein“, sagt Dickson. Die EU-Chefbehörde will dann eine Zunahme der Windstromerzeugungskapazität im Unionsgebiet von heute 200 auf 452 GW verzeichnet haben.
Wichtigster Schauplatz für den Windenergieausbau in ganz Europa war Großbritannien, das seit vergangenem Jahr nicht mehr der EU angehört und bis zu knapp drei GW Windkraftkapazität hinzugewann. Allerdings fanden die Turbineninstallationen im Vereinigten Königreich fast ausschließlich im Meer statt. Den mit Abstand größten Anteil an abgeschlossenen Turbinenerrichtungen in den neuen Offshore-Windparks in Europa, wo etwas mehr als drei GW hinzukamen, verbuchten die Briten. Jenseits der britischen Seegebiete gab es Offshore-Windkraft-Zubau 2021 nur in den Niederlanden und in Dänemark.
Insgesamt profitierte Europas Windjahr 2021 allerdings fast nur von der leichten Beschleunigung des Ausbaus der Windkraft an Land mit rund 14,1 GW an Neuerrichtungen nach 11,8 GW im Vorjahr.
Schweden erlebt satten Zubau
Gewinner des Ausbaujahres dank einem dort bisher nie gekannten Onshore-Windpark-Boom war Schweden mit 2,1 GW Zubau noch vor Deutschland mit etwas mehr als 1,9 GW. In dem skandinavischen Land mögen allerdings Verschiebungen von früher erwarteten Errichtungen eine Rolle gespielt haben. Treibende Kraft des Windparkausbau des Landes ist ein in Europa seltenes Vergütungssystem, das eine Mischung aus der Stromvermarktung an den Börsen und dem Handel von Grünstromzertifikaten entspricht. Die Regierung steuert die Menge der Zertifikate so, dass der Ausbau nur sehr gemäßigt aber stetig zunimmt und die nationalen Windkraftziele erreichen lässt. Nach rund 1,6 GW im Jahr 2019 hatte der Windparkzubau 2020 nur 1 GW erreicht.
Hinter Großbritannien, Schweden und Deutschland erreichte das Ausbautempo nur noch in drei weiteren Ländern Europas den GW-Bereich. So nahm die türkische Windparkerzeugungskapazität alleine an Land um 1,4 GW zu, Frankreichs Windkraftzubau betrug 1,2 GW und das in Windenergie bisher fast völlig abstinente Russland als eine der größten Fördernationen für fossile Energiequellen stieg mit 1,1 GW erstmals in den Kreis der wichtigeren Windenergieausbauländer auf. Die Niederlande verfehlten mit 950 Megawatt (MW) an Land diese Schwelle knapp, übertrafen sie aber ebenfalls durch zusätzlichen Zubau auf See von fast 400 MW Auf dem für europäische Verhältnisse noch immer als mäßig gut zu wertenden Niveau von rund 700 MW fand der Zubau 2021 in vier Ländern statt: Während hier Spanien mit rund 750 MW nach mehreren Jahren Ausbaustillstand infolge der Staatenfinanzkrise und nach der Rückkehr als GW-Markt in den Jahren 2019 und 2020 wohl eine Verschnaufpause einlegt – der Ausbau inzwischen ausgeschriebener weiterer Windparkkapazitäten wird gemäß Wind Europe demnächst wieder Fahrt aufnehmen, die Installationen aus den Windparkzuschlägen der jüngsten zwei Ausschreibungsrunden für vier GW dürften ab 2022 folgen – sind mit Norwegen, Finnland und Polen drei bisher im Windenergiegeschäft wenig hervorgetretene Länder aufgerückt. Hier kamen 700, 700 und 660 MW hinzu. In Norwegen will die Regierung nun den weiteren Ausbau an Land erst einmal bremsen. In Polen wird 2022 oder gar 2023 erst das Gros der jüngst erfolgten Ausschreibungsserien gemäß Wind-Europe-Erwartungen zu noch mehr Errichtungen führen.
Damit standen diese drei Länder allerdings der Ausbauentwicklung im restlichen Europa schon weit voran. Die Ukraine mit 360 MW, Griechenland mit 338, Italien und Kroatien mit rund 200, Portugal mit 126 und das Kosovo mit 100 MW machten sich noch mit dreistelligen MW-Zahlen bemerkbar.
„Hauptsächlich sind zu langsame und zu komplizierte Genehmigungsverfahren verantwortlich“, analysiert der Wind-Europe-CEO die Ursache für die nur langsame Tempozunahme trotz weitreichender EU-Ausbauziele. Fast kein EU-Staat erfüllt demnach die seit Mitte 2021 neuen verbindlichen EU-Regeln für die Beschleunigung der Genehmigungen für Erneuerbare-Energien-Projekte. Sie sollten zu Genehmigungen binnen zwei Jahren nach einer Antragstellung führen. Nicht erfüllt bleibt fast überall auch die Vorgabe, dass Genehmigungsverfahren für die Investoren und Projektierer über einen One-Stop-Shop erfolgen sollten: Eine einzige Anlaufstelle zur Abgabe und weiteren Klärung von Genehmigungsanträgen. „Die EU-Kommission muss hier nun Druck auf die Mitgliedsstaaten ausüben“, fordert Giles Dickson. Insbesondere Italien sieht er von der mangelhaften Beschleunigung der Verfahren ausgebremst.
Dabei fehlt es gemäß Wind-Europe-Analyse in nur wenigen Ländern am politischen Ehrgeiz, was die hohen offiziellen nationalen Wind- energieausbauziele belegen. Doch die jüngste Ausschreibung Italiens vom Januar für Windkraft und Photovoltaik über 2,1 GW ergab eine starke Unterzeichnung. Die wenigen Gebote der nur selten mit genehmigten Projekten ausgestatteten Projektentwicklungsunternehmen führten zu Zuschlägen für nur rund 900 MW Erneuerbarenkapazität. Mehr erwartet Wind Europe konkret von der Entwicklung der Windkraft auf See mit bevorstehenden Ausschreibung in Litauen und Norwegen, sowie von der Windkraft an Land in Rumänien – zumal die rumänische Regierung hierzu nun eine Ausschreibung für 2023 angekündigt hat. In Bulgarien stellt die Regierung zudem wenigstens in Aussicht, Installationen im Schwarzen Meer in Angriff zu nehmen.
Für 2022 erwartet Wind Europe nun einen leichten Nachholeffekt, der verspätete und für 2021 schon erwartete Installationen ausgleicht. 2026 werde der Kontinent mit 28 GW die nächste Windpark-Installations-Spitze erreichen, lautet die jüngste Prognose bei Wind Europe.