Erste Überlegungen dazu gab es bereits während der Finanzkrise. 2022 hat das Bundeswirtschaftsministerium eine Resilienzstrategie veröffentlicht. Von den Erfahrungen aus Coronazeiten getrieben, wurden die Überlegungen konkreter und vor allem der Ukrainekrieg hat die Bedeutung des Themas vollends in das Bewusstsein der Politik gerückt.
Was für die Landwirtschaft, selbst für Schrebergärten seit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg immer galt: Die Versorgung der Bevölkerung von den eigenen Flächen darf nicht aus dem Blick geraten. Die Teller-Tank-Diskussion zum Anbau von Raps für Biosprit machte das in den 2000ern deutlich. Die Abhängigkeit von Energieimporten – wie auch von Pharmazieprodukten – hat dagegen niemanden gestört. Bis die Lieferketten ins Stocken gerieten und im Falle von russischem Gas die Quellen gar versiegten. Die 2022 geschaffene Abteilung Wirtschaftsstabilisierung und Energiesicherheit im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) soll hier nun nachbessern, bei den Importen diversifizieren und eigene Produktion fördern.
Forschung muss eng mit Industrie arbeiten
Aber auch die Energieforschung stellt sich in dieser Hinsicht neu auf. Rodoula Tryfonidou, Leiterin des Referats Grundsatzfragen und Strategien der Energieforschung im BMWK, bestätigt das im Zusammenhang mit dem neu erschienenen 8. Energieforschungsprogramm aus ihrem Haus bei einem Kongress des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien in Berlin: „Wir verfolgen hier einen lösungsorientierten Ansatz, der zum ersten Mal eine enge Bindung zwischen angewandter Energieforschung und Energiepolitik zeigt.“ Entsprechende Forschungsziele würden formuliert. „Über 1.000 Projekte werden pro Jahr gefördert. Und wir werden prüfen, ob wir den Zielen der Transformation damit näherkommen.“ Forscher müssten zudem künftig enger mit der Industrie zusammenarbeiten.
Wärmeversorgung im Fokus
Ein besonderer Fokus liegt im Referat für Strategien der Energieforschung auf der Wärmeversorgung. „Wir hatten in der Vergangenheit sowohl in der Energiepolitik als auch in der Energieforschung den Blick sehr stark auf den Stromsektor gerichtet“, so Tryfonidou. Das sei den erneuerbaren Energien geschuldet gewesen. Jetzt aber bekomme Wärme eine größere Gewichtung, ebenso wie Wasserstoff.
Dabei geht es wiederum um Versorgungssicherheit. Jeder zweite Haushalt heizt mit Gas. Und niemand will noch einmal Preissprünge auf dem Gasmarkt erleben wie im letzten Jahr. Deutschland muss daher zwangsläufig schneller zu einem integrierten Erneuerbare-Wasserstoff-System kommen und eventuell zusätzlich einen Importmarkt in Gang bringen. Denn die energieintensive Wirtschaft, etwa die Stahlindustrie, ist auf eine sichere Versorgung mit grünem Wasserstoff angewiesen.
Julia Kahrl, stellvertretende Leiterin des Referats Energieaußenpolitik und Dekarbonisierung im Auswärtigen Amt, ergänzt, dass voraussichtlich bis zu zwei Drittel des in Deutschland künftig benötigten Wasserstoffs aus dem Ausland importiert werden müssen. „Daher müssen wir schauen, wie wir Partner für diese Importe gewinnen. Diversifizierung lautet hier die Devise. Eine Wasserstoff-Importstrategie der Bundesregierung ist hierzu in Arbeit.“
Wir werden über neue Verfahren der Herstellung nachdenken müssen.
Derweil will auch die Forschung einen Beitrag leisten, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern. „Wir werden über neue Verfahren der Herstellung nachdenken müssen. Effiziente Speicher, neue Elektrolyseure. Bei kritischen Rohstoffen lautet das Forschungsziel in der Windenergie: Wir wollen sicherstellen, dass wir künftig möglichst unabhängig sind“, sagt Tryfonidou.
Rohstoffabhängigkeit reduzieren
An der Reduzierung des Einsatzes seltener Erden wie Neodym arbeitet die Windindustrie schon lange, allein schon um Kosten zu senken. Und tatsächlich gibt es inzwischen Alternativen. Auf Generator-Permanentmagneten und die darin eingeschmolzenen seltenen Erden verzichtet eine Entwicklung aus den staatlichen Sandia National Laboratories, Twistact. Ein anderes Beispiel bei Rohstoffen ist Lithium. Es gilt als ein Schlüsselelement der Energiewende und wird vor allem für Batteriespeicher benötigt. Europa produziert laut dem Karlsruher Technologieinstitut KIT bislang aber nur ein Prozent der weltweiten Fördermenge. Theoretisch könnten aber bestehende Geothermiekraftwerke im Oberrheingraben und im Norddeutschen Becken zwischen zwei und zwölf Prozent des jährlichen Lithiumbedarfs in Deutschland decken. Derzeit werden dazu Studien erstellt.
Eigene Regenerativindustrie für Europa
Ein mindestens ebenso wichtiges Thema wie die Verfügbarkeit von Rohstoffen ist derweil die Frage, ob überhaupt eine entsprechende Industrie in Europa besteht oder wieder aufgebaut werden kann, die in der Lage ist, Windkraft- und Solaranlagen, Speicher und Elektrolyseure herzustellen. „Photovoltaik und auch Windanlagen werden auf jeden Fall in einem schwindenden Maße in Europa hergestellt“, betont Ruth Brand-Schock, Fachgebietsleiterin Erneuerbare Energien, Geschäftsbereich Erzeugung und Systemintegration, im Energiebranchenverband BDEW. „Die Windturbinenhersteller schreiben zum großen Teil rote Zahlen, zumindest die, die noch da sind. Und auch da ist es selbst bei den in Deutschland und Dänemark formal ansässigen Herstellern so, dass da ein Großteil der Lieferkette international zusammengekauft wird.“ Bei der Frage, was wirklich vor Ort in geschlossenen Lieferketten verfügbar ist, steht Europa derzeit also nicht gut da.
1.000 Projekte und mehr werden jährlich gefördert. Das BMWK will prüfen, ob sie dazu beitragen, den Transformationszielen näher zu kommen.
Von EU-Seite gibt es inzwischen Bemühungen, die Regenerativindustrie in Europa zu stabilisieren. Die EU-Kommission will mit dem Netto-Null-Industriegesetz den Zugang zu wichtigen Transformationstechnologien durch die Ansiedlung von Fertigungskapazitäten in der EU absichern. In dem Zusammenhang wird die Einführung nichtmonetärer Nachhaltigkeits- und Resilienzkriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge diskutiert.
Eine positive Entwicklung vor dem Hintergrund, dass man sich lange nicht wirklich darum bemüht hat, einen hiesigen Aufwuchs und Fortbestand von Produktion und Lieferketten zu sichern. Der Sonnenenergie-Wirtschaftsverband BSW-Solar hat einen Vorschlag unterbreitet, der Boni vorsieht. Auch Sonderausschreibungen mit Vorteil für eine hohe heimische Wertschöpfung wären demnach eine Maßnahme. Nur ist die Förderung der heimischen Industrie relativ schwierig, sagt Ruth Brand-Schock: „Wenn man verbindlich über Ausschreibungen zum Beispiel einen bestimmten Prozentsatz im Jahr an Photovoltaik und Wind aus europäischer Produktion verbaut, muss man in den Kriterien festlegen, dass die Komponenten oder auch Wertschöpfungsstufen verbindlich aus Europa stammen müssen.“ Das wiederum sei auch eine Frage des Geldes. „Da muss man auch bereit sein, für diesen Wiederaufwuchs in Kauf zu nehmen, dass das mit höheren Kosten verbunden ist und entsprechende Langfrist-Abnahmeverträge und solche Dinge diskutiert werden.“ Sonst könne es nur schwer gelingen, Unternehmen zu etablieren, die eine kritische Größe erreichen.
Doch warum kann China überhaupt eine Windkraftanlage zum halben Preis anbieten? Die Volksrepublik habe billige Kostenstrukturen, niedrige Löhne. „Zudem ist es kein Geheimnis, dass es chinesische Staatsdoktrin war, den Weltmarkt der Photovoltaik aufzurollen. Und danach war die Windindustrie dran“, so Brand-Schock. „Das ist intensiv forciert worden durch billige Staatskredite.“
Zölle, Nachhaltigkeitsvorhaben, Förderung
Schutzzölle seien hier allerdings keine langfristige Lösung, zumal eben ein Großteil der Wertschöpfungskette insbesondere bei Photovoltaik längst aus China kommt, sagt Björn Spiegel, bei der Arge Netz GmbH & Co. KG Leiter Politik und Strategie. „Aus Sicht der Anlagenbetreiber ist es wichtig, dass Anlagen, Transformatoren und Netztechnik jederzeit verfügbar sind. Wir können uns Ausfälle und Verzögerungen in der Lieferkette mit Blick auf unsere Versorgungssicherheit nicht mehr leisten.“ Er spricht sich für Investitionssicherheit aus. „Wenn ich weiß, ich kann in den nächsten Jahren einen entsprechenden Absatz am deutschen Standort machen, dann werde ich natürlich auch investieren.“ Es sei sinnvoll, auch europaweit einheitliche, qualitative Kriterien in den Ausschreibungen einzuführen. Oberste Pflicht ist nach seiner Ansicht, politische Stabilität vorzugeben, wie man sie jetzt bei den Ausbauzielen und in der Unterstützung der Bundesregierung sehe. „Das muss natürlich parteiübergreifend gesellschaftlicher Konsens sein. Darauf aufbauend müssen wir prüfen, ob es einer Anschubbewegung für die Stärkung einer europäischen Photovoltaik- und Windindustrie bedarf, um gestiegene Zinsen auszugleichen, oder Liquiditätshilfen zu gewähren, dass der Motor durchstarten kann.“ FDP-Chef Lindners Infragestellen des Kohleausstiegs von Anfang November zeigt allerdings, wie fragil die Republik hier aufgestellt ist. Ein Regierungswechsel in Richtung Gelb-Schwarz könnte für Regenerativinvestoren entsprechend schmerzhafte Folgen haben.
Jürgen Weigt, Rechtsanwalt und Fachgebietsleiter erneuerbare Energien beim Stadtwerkebund VKU, sagt, es sei zudem wichtig, zu günstigen Strompreisen zu kommen. „Die Stromsteuer ist eine Komponente, aber auch Abgaben und Umlagen.“ Diese machen einen ziemlich großen Kostenblock in der Stromrechnung aus, trotz des Wegfalls der EEG-Umlage. „Und wir wollen ja dahin kommen, dass Strom universell eingesetzt wird in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen, etwa für Elektromobilität und Wärmepumpe. Das setzt voraus, dass Strom günstig verfügbar ist. Auch beim Strom bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Erneuerbaren-Energien-Anlagen so schnell wie möglich ausbauen.“
Längst zeichnet sich ein wachsender Bedarf an Regenerativstrom durch die zunehmende Elektrifizierung der Wärme und Mobilität ab. Dafür hat die Bundesregierung die Ausweisung von zwei Prozent der Landesflächen für Erneuerbare vorgegeben. Eine Öffnungsklausel könnte Gemeinden erlauben, sogar mehr zu machen. „Es entspricht dem Wunsch der Gemeinden, die Möglichkeit zu haben, Flächen auszuweisen, die über das hinausgehen, was in den Regionalplänen vorgesehen ist, etwa für die Windenergie“, so Weigt. Denn es bestehe durchaus die Gefahr, dass die eine oder andere Kommune erst abwartet, bis auf regionalplanerischer Ebene festgelegt wird, wie die Bundesländer ihre jeweiligen Flächenziele umsetzen. „Wenn man weiß, man darf über die übergeordneten Feststellungen hinaus Flächen zur Verfügung stellen, wird man eher bereit sein, das zu tun. Ansonsten wird man vielleicht erst mal abwarten.“
Gemeinden weisen Zusatzflächen aus
Spiegel fügt an: „Ich bin ein großer Fan von der Gemeinde-Öffnungsklausel, weil es ein Stück weit die Verantwortung, aber auch die Chance zurück in die Kommunen gibt. Und dass ich zusätzlich zu den Regionalplänen als Gemeinde gemeinsam mit den Menschen, den Betrieben vor Ort sagen kann: „Diese Fläche dort, die will ich jetzt zur erneuerbaren Energiefläche machen. Dort baue ich Photovoltaik und Wind und beides und kann dann vielleicht im Rahmen von Energy-Sharing-Gemeinschaften auch den erneuerbaren Strom, den ich direkt dort habe, günstiger vor Ort nutzen. Das ist gut für die Akzeptanz und Resilienz, wenn wir das Thema vor Ort sehen.“
Es entspricht dem Wunsch der Gemeinden, die Möglichkeit zu haben, Flächen auszuweisen über das hinaus, was in den Regionalplänen vorgesehen ist, etwa für die Windenergie.
Ein wichtiges Element beim Thema Versorgungssicherheit ist auch der Netzausbau, denn die zunehmende Abregelung von Erneuerbaren aufgrund von Netzengpässen – also quasi das Wegwerfen von Regenerativstrom - trägt nicht dazu bei, dass Strom zum günstigsten Preis angeboten werden kann. Entsprechend muss die gesamte Netzinfrastruktur inklusive Wärme- und Wasserstoffnetze ausgebaut werden. Auf keinen Fall dürfe man aber den Erneuerbaren-Ausbau bremsen, weil der Netzausbau nicht hinterherkommt, betont Ruth Brand-Schock.
Unterm Strich kann man sagen, dass die Bundesregierung sich um eine sinkende Abhängigkeit von Energieimporten auf verschiedenen Ebenen bemüht. Ob die gebeutelte Regenerativindustrie nach dem von der Politik selbst verschuldeten Zusammenbruch der heimischen Photovoltaikproduktion noch einmal in den Standort Deutschland investiert, bleibt abzuwarten.