Kapitale Schadensereignisse an Wind-
energieanlagen sind das Thema einer Welle von Meldungen, die derzeit durch die Medienwelt rollt. Anders, als dies vor fünf Jahren in einer vom Tüv-Verband angestoßenen und meist hitzig geführten Debatte prognostiziert wurde, handelt es sich beim Gros der betroffenen Maschinen dieses Mal nicht um Alt-, sondern vielfach um moderne Großanlagen mit noch geringer Betriebsdauer. Die Ursachen für die Schadenshäufung an Großanlagen sind so vielfältig, wie die Schadensbilder und Anlagentypen, an denen sie auftreten. Dementsprechend vielschichtig sind die Konsequenzen, die es nun braucht, um zu gewährleisten, dass die Versagenswahrscheinlichkeit des modernen Bestands an das hohe Sicherheitsniveau des Altbestands anknüpft.
Ob Genehmigungsbehörden, Planer, Hersteller oder Betreiber: Alle Akteure der Branche sind aufgerufen, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Auch Sachverständige können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Allerdings erfordert dies eine Überarbeitung jener Regelwerke, nach denen die Maschinen in ihrem ersten Lebensabschnitt geprüft werden. Nützliches hierzu finden wir bereits in jenem Regelwerk, nach dem der Altbestand aktuell zu prüfen ist.
Hierzu ein kurzer Blick auf die Unterschiede der beiden Prüfarten: Innerhalb des ersten Lebensabschnitts – der Entwurfslebensdauer, also jenes Zeitraums, für den die Anlagen ursprünglich ausgelegt wurden – ist der technische Zustand der Wind-energieanlagen hinsichtlich ihrer Betriebs- und Standsicherheit durch unabhängige Sachverständige regelmäßig durch „Wiederkehrende Prüfungen“ (WKP) zu kontrollieren. Die Länge der Prüfintervalle ergibt sich aus dem Genehmigungsbescheid, der Typenprüfung und nicht zuletzt der DIBT-Richtlinie für Windenergieanlagen sowie den maßgeblichen Grundsätzen des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Hiernach beträgt die zulässige Höchstdauer zwischen zwei Inspektionen vier Jahre.
Für in die Jahre gekommene Altanlagen ändern sich diese Spielregeln mit dem Ende der Entwurfslebensdauer. Gemäß DIBT-Richtlinie und den BWE-Grundsätzen für die „Durchfüh<rung einer Bewertung und Prüfung über den Weiterbetrieb von Windenergieanlagen (BPW) an Land“ ist dann in einem zweigleisigen Verfahren, bestehend aus einem analytischen und praktischen Teil, festzustellen, ob sie für einen Weiterbetrieb über die Entwurfslebensdauer hinaus geeignet sind. Innerhalb der verbleibenden rechnerischen Restlebensdauer verkürzt sich das Intervall für die praktischen Regelprüfungen auf maximal zwei Jahre. In begründeten Fällen obliegt es dem verantwortlichen Sachverständigen gar, ein kürzeres Prüfintervall festzusetzen.
Im Vergleich hierzu sind die derzeitigen WKP-Prüfintervalle bei Großanlagen zu lang. Hier besteht unbedingter Korrekturbedarf. Dies gilt umso mehr, da gerade Großanlagen mit einer Leistung ab 3,0 Megawatt (MW) in der Regel nur noch einmal im Jahr gewartet werden. Es erscheint absurd, dass dynamisch hochbeanspruchte Anlagen, die in unmittelbarer Nähe einer starkfrequentierten Autobahn stehen, nur alle vier Jahre zu prüfen sind, die vorbeifahrenden PKW hingegen alle 24 Monate.
Müssen von Weiterbetriebsprüfung lernen
Was können wir noch von den BPW-Regeln lernen? Gemäß diesen sind die praktischen Regel-
inspektionen zusätzlich zum Umfang der WKP um zwei wesentliche Bausteine zu ergänzen.
Erstens, um den Baustein der sogenannten Schwachstellenanalyse. Der Begriff der Schwachstelle beschreibt hier einen typischen Mangel oder ein typisches Schadensbild, welches die Betriebs- und Standsicherheit einer Windenergieanlage durch das Risiko des vorzeitigen Versagens einer oder mehrerer Komponenten berührt und sich erfahrungsgemäß wiederholt oder gar serienmäßig mit einem bestimmten Windenergieanlagen-Typ in Verbindung bringen lässt. Es geht also um Mängel mit erheblichem Gefahrenpotential, nicht aber um solche, die lediglich die Verfügbarkeit und Ertragskraft der Anlage beeinträchtigen. Ziel der Schwachstellenanalyse ist somit die wirkungsvolle Entschärfung dieses Gefahrenpotentials.
Zweitens: Die Berücksichtigung ermüdungsrelevanter Bedingungen und deren Bewertung im Rahmen der BPW. Hierbei sind neben dem technischen Zustand der Windenergieanlagen ebenso ihre Betriebsbedingungen, die technische Dokumentation vor Ort (Logbuch) sowie die Turbulenzcharakteristik der Umgebung hinsichtlich möglicher ermüdungsrelevanter Auswirkungen zu berücksichtigen und zu bewerten, sofern sie die ermittelte Restlebensdauer verkürzen. Auch dieser Baustein sollte sinnvollerweise Bestandteil einer WKP werden.
Inbesondere aber die Schwachstellenanalyse darf sich nicht auf jenen Lebensabschnitt beschränken, der nach dem Ende der rechnerischen Entwurfslebensdauer beginnt. Schließlich können Schwachstellen die Lebensdauer von Anlagenkomponenten so dramatisch reduzieren, dass ein Versagen der Struktur innerhalb der Entwurfslebensdauer klar möglich ist. Bei Rotorblattabgängen wegen gerissener Blattlager ließ sich später nachweisen, dass sich die rechnerische Lebensdauer der gerissenen Lager auf weniger als fünf Jahre reduziert hatte.
Auch wenn in der Vergangenheit Schwachstellen von Sachverständigen bereits im Rahmen der WKP untersucht wurden, würde die feste Verankerung der Schwachstellenanalyse in den Regelwerken über die Durchführung einer WKP dieser eine andere Durchschlagskraft verleihen. Sie wäre dann vom prüfenden Sachverständigen im Rahmen jeder Prüfung verpflichtend umzusetzen und in jedem Prüfbericht zu dokumentieren. Schwachstellen mit möglichem Gefährdungspotential sind vertiefend zu untersuchen, um das damit verbundene Risiko zu bewerten. Bei Schwachstellen mit akutem Gefährdungspotential sind geeignete Auflagen klar und deutlich zu formulieren, um es gezielt entschärfen zu können. Auflagen könnten zum Beispiel die Anordnung eines Komponententausches, die Umsetzung einer Retrofitmaßnahme oder die Installation eines Monitoringsystems zur permanenten Überwachung der kritischen Schwachstelle sein.
Schwachstellenanalyse als Leitschnur
Die Aufnahme der Schwachstellenanalyse als verpflichtenden Bestandteil des WKP-Berichtes würde zudem den Beteiligten einen roten Faden an die Hand geben, um sich auf die vorrangige Abarbeitung von sicherheitsrelevanten Missständen zu fokussieren. Dieser Faden ließe sich auch bei Folgeprüfungen wieder aufnehmen und fortführen.
Die Wirksamkeit eines Regelwerks hängt freilich von seiner gewissenhafter Umsetzung ab. Bekannte Fälle, wonach die Prüfung von Anlagen der Megawattklasse für einen dreistelligen Betrag angeboten und binnen einer Stunde(!) erledigt wurden, sind fahrlässig und nicht zu verantworten.
Fazit: Die Befürchtung, wonach sich Altanlagen als „tickende Zeitbomben“ entpuppen würden, hat sich erfreulicherweise nicht bestätigt. Leider verleiht allein die Größe heutiger Turbinen den Schadensereignissen an selbigen einen Sensationsgehalt und macht sie somit zu „Shootingstars“ der Nachrichtenmeldungen. Schäden an WEA ähneln diesbezüglich Flugzeugunglücken, die statistisch betrachtet zu den sichersten Fortbewegungsmitteln zählen. Auch sie sind höchst selten, aber stets spektakulär.
Mit wachsender Anlagengröße und zunehmendem Kostendruck wachsen die Herausforderungen an die Inspektionen. Bislang haben sich WEA als zuverlässige, sichere Industrieanlagen bewährt. Damit dies auch künftig so bleibt, sollten die Regeln für eine WKP schnellstmöglich an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.