Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Christian Pegel und der Vorsitzende des nordostdeutschen Windbranchen-Netzwerks Wind-Energy Network, Andree Iffländer, sehen die Ostsee als Offshore-Windkraft-Raum vom EEG-Reformentwurf ignoriert. Nachvollziehbar?
Andreas Wagner: Ja, das kann ich voll und ganz unterstützen. Das zeigt sich am Entwurf zum Windenergie-auf-See-Gesetz – er kam Anfang März als Teil des EEG und dennoch als separates Dokument von 128 Seiten in die Ressortabstimmung und wird wie das EEG in den nächsten Tagen hoffentlich in die lange überfällige öffentliche Verbändekonsultation kommen. Im Entwurf zum Wind-auf-See-Gesetz also steht drin, dass das geplante Ausschreibungssystem für Offshore-Windenergie in zwei Phasen kommen soll: zunächst als Übergangsphase, für die wir von der Offshore-Stiftung mit anderen in der Branche eine Dauer von mehr als den bisher geplanten drei Jahren gefordert haben. Hier ist uns das BMWi jetzt ein Stück weit entgegengekommen und hat vier Jahre vorgeschlagen. Allerdings soll es zwei Ausschreibungsrunden gleich 2017 geben: Hier sollen alle bestehenden Projekte, die jetzt genehmigt sind und erörtert wurden, in Betracht kommen. Das sind die Projekte in den Nordsee-Zonen eins und zwei im Wesentlichen. Aus der Ostsee gibt es für diese Phase in der AWZ nicht viel. …
… Sie meinen, die küstenfernere, sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone, kurz AWZ ...
Andreas Wagner: ... Vor allem ist das Küstenmeer nicht mit im Fokus, das nicht vom Bund sondern vom jeweiligen Anrainer-Bundesland verwaltet wird. In diesem Areal gibt es außer dem schon genehmigten Projekt Arcadis Ost bisher noch keine genehmigten Projekte. Allerdings, die drei Flächen im Küstenmeer von Mecklenburg-Vorpommern, die Minister Pergel heute zum Landesraumentwicklungsplan in Aussicht gestellt hat, würden durch den Rost fallen.
Sie würden wohl gerne die Ostsee noch als zusätzliches Volumen in die ersten Ausschreibungen hinzunehmen – und damit die gesetzliche Obergrenze für jährliche Installationen erhöhen?
Andreas Wagner: Wie man das macht, muss man sehen. Man muss halt einfach die Potenziale in der Ostsee berücksichtigen. Sie separat zu behandeln, würde gesetzestechnisch schwierig. Gerade auch das Potenzial in Küstenmeer sollte man berücksichtigen, ist es doch schneller zu realisieren als viele Flächen in der Nordsee. Es ist ein zusätzliches Potenzial für die Offshore-Windenergie, das man nicht einfach so herschenken sollte. Das müsste das Bundeswirtschaftsministerium auch wissen. Das Landesraumentwicklungsprogramm (LEP) ist hier in Mecklenburg-Vorpommern seit zwei Jahren in der Konsultation. In der zweiten und abschließenden Konsultationsrunde, in der die Flächen für Offshore-Projekte deutlich reduziert und die Mindestabstände zur Küste erhöht worden sind, wurde 2015 intensiv diskutiert. Dieses LEP soll nun wohl nach Aussagen des Energieministeriums in den nächsten Wochen vom Landeskabinett bestätigt werden und noch vor der Sommerpause in Kraft treten. Das müsste aber auch bei der EEG-Novellierung Berücksichtigung finden. Vor allem haben wir ein Interesse, dass es Möglichkeiten zur Installation von Prototypen und Testanlagen auf See gibt. Mecklenburg-Vorpommern hat laut jüngstem LEP-Entwurf zehn Prozent der Fläche für Prototypen und Testanlagen vorgesehen – und plant konkret eine Testanlagen-Fläche vor Warnemünde.
Wären Sie bereit dazu, für die Berücksichtigung von mehr Ostsee-Windparkflächen einen Kompromiss anzubieten: Etwa, dass bei einer Ausschreibung von 300 MW für die Ostsee das Volumen in der Nordsee auch mal nur 700 statt 800 MW groß sein könne?
Andreas Wagner: Ich glaube nicht, dass dies so einfach wäre. Zunächst muss gewährleistet sein, dass das Ausbauvolumen für Windenergie auf See insgesamt ausreichend ist. Es sollten eben nicht nur pro Jahr 800 MW Offshore-Kapazität in die Ausschreibung kommen, sondern mindestens 900 MW. Das ist exakt die Forderung aus dem Wismarer Appell der Ministerpräsidenten aller Küstenbundesländer und aus dem gemeinsamen Papier der Windindustrie von Anfang März.
Was weitere Marktbereinigungen für Standort Deutschland bedeuten
Beunruhigen Sie die immer neuen Gerüchte über die Pläne des Weltmarktführers unter den Offshore-Windturbinenherstellern, Siemens, den Konkurrenten Gamesa zu kaufen? Immerhin sind Auswirkungen auf die Perspektiven des Produktionsstandorts Bremerhaven denkbar, wo die Meereswindkraftsparten von Areva und Gamesa ihren Joint Venture Adwen betreiben?
Andreas Wagner: Eine gewisse Konsolidierung, wie wir sie in den letzten 10 bis 20 Jahren auch bei der Windkraft an Land erlebt haben, wird es wahrscheinlich auch in Zukunft bei Offshore-Windenergie geben. Ob die Diskussionen um Siemens und Gamesa mit Adwen vor diesem Hintergrund jetzt positiv oder negativ zu werten sind, kann ich nicht sagen. Denn bisher wissen wir ja nicht, ob dieser Deal in der kolportierten Form jemals zustande kommt. Grundsätzlich sind offshore leistungsstarke Player gerade auf der Herstellerseite notwendig. Ob es davon vier, fünf oder sechs sind, ist dann wahrscheinlich nicht so entscheidend. Nur: Eine ausreichende Zahl von Wettbewerbern sollte schon auf dem Markt sein, um entsprechend den Preis- und Kostenwettbewerb zu befördern. Aber seien wir realistisch: Die Branche ist noch relativ jung. Ein ausreichender Wettbewerb und eine gewisse Vielfalt ist in einer solchen Branche natürlich und notwendig um Innovationen zu befördern.
Haben Sie deswegen keine Angst um den Produktionsstandort Deutschland?
Andreas Wagner: Siemens hat ja schon letzten Sommer in einem Agreement mit dem niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies festgehalten, eine Offshore-Windturbinenfertigung für die neue Sieben-MW-Anlage in Cuxhaven zu eröffnen. Am Ende hängt das aber natürlich damit zusammen, wie das EEG wird. Und da schließt sich der Kreis mit unserer Forderung nach dem ausreichenden Marktvolumen. Dieses fördert das Kostensenkungspotenzial bei Wind Offshore.
Wobei die Kostensenkung ja schon voranschreitet.
Andreas Wagner: Ja. Aber sie ist deshalb im Gang, weil wir bis 2020 den Ausbaupfad relativ klar und gesichert haben: 6,5 GW plus 1,2 GW Puffer. Die entscheidende Frage aber ist nun, wie es nach 2020 weiter geht. Beim Marktvolumen pro Jahr sehen wir ja jetzt ein bisschen Bewegung beim BMWi. Im Entwurf wird da jetzt zumindest eine Brandbreite von 700 bis 900 MW vorgeschlagen. Dieses Band würde ich gerne noch größer machen, sowohl in punkto Bandbreite als auch durch ein höheres Zubauvolumen insgesamt.
Sie würden gerne die Gigawattgrenze erreichen ….
Andreas Wagner: Die Devise lautet: Lieber drei als zwei Offshore-Windparkprojekte pro Jahr. So haben es auch der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz bei der Zehn-Jahres-Feier der Stiftung Offshore Windenergie oder Siemens auf einer Konferenz in Helgoland formuliert. Wir sind bei der Kostensenkung auf gutem Weg. Die 2015 ans Netz gegangenen Projekte waren weitestgehend on time installiert worden. Kinderkrankheiten der ersten Projekte gab es jetzt kaum noch. Würde der Prozess so weiter verlaufen, bei einem Ausbauvolumen nur leicht über dem von der Bundesregierung zur Ausschreibung Vorgesehenen kommen wir auf eine Kostensenkung bis 2023 von wohl 30 Prozent. Und zwar gemessen an den Stromgestehungskosten von 2013, die die Studie von Prognos und Fichtner je nach Standort auf 20 Jahre gerechnet auf 12,8 bis 14,8 Cent pro Kilowattstunde definierte. Kostendegressionen auf einen Bereich von 9,1-10 Ct/kWh wären bei Umsetzung der Forderungen aus dem Wismarer Appell immer noch realistisch. Bis 2023 sah die Prognos-und-Fichtner-Studie unter Annahme eines damals noch ehrgeizigeren bundespolitischen Ausbauziels von 10 GW bis 2020 und 25 GW bis 2030 sogar noch eine Kostendegression um 39 Prozent voraus. Dieser ambitioniertere Ausbaupfad ist aber weder europäisch noch in Deutschland kurz bis mittelfristig nicht in Sicht.
"Risiken der Netzanbindung noch nicht deutlich geringer"
Sie reden über Ausbauvolumen, aber nicht mehr vom Stromtransport. Ist die Sorge passee, dass die sogenannten Steckdosen auf dem Meer nicht rechtzeitig bereitgestellt werden?
Andreas Wagner: Da würden wir uns schon noch Beschleunigungspotenziale wünschen – verbunden auch mit Kostensenkungspotenzialen. Hierzu läuft noch ein Gutachten im Auftrag unserer Branche, das bis zum Sommer vorgestellt werden soll. Da gäbe es noch viele Möglichkeiten angefangen von der technischen Standardisierung über das Verschlanken oder Vorziehen von Planungs- und Genehmigungsprozessen hin zu Realisierungsfahrplänen und mehr Transparenz zwischen Windparks in den jeweiligen Clustern und den Netzbetreibern, damit die sich besser aufeinander abstimmen können. Noch immer benötigt es für die Einrichtung der Umspannplattformen zum Anschluss der Offshore-Windparks 60 Monate, so lange wie schon vor drei bis vier Jahren. So lange dauert es von der Auftragsvergabe des Netzbetreibers für die HGÜ-Anbindung bis zur Einspeisung. Rechnet man noch den Start der Ausschreibung hinzu, sind es zwölf Monate mehr. Es sind also fünf bis sechs Jahre. Der Vorteil der Ostsee wäre in diesem Zusammenhang, dass dort Drehstromverbindungen genutzt werden, die sich deutlich schneller errichten lassen. Auch für die Ostsee ist ja jetzt eine Standardisierung erfolgt. In Abstimmung mit dem BSH und der Bundesnetzagentur ist die Standardleistung beim Übertragungskabel und bei der Offshore-Umspann-Plattform auf 250 MW festgelegt worden – so dass hier der Prozess deutlich schneller gehen kann: zwischen dreieinhalb und vier Jahre von Auftragsvergabe bis zur Inbetriebnahme.
Unter dem Strich ist aber nicht mehr mit Anschlusswarte- und damit verbundenen Stillstandszeiten für neue Offshore-Windparks von einem halben Jahr oder mehr zu rechnen?
Andreas Wagner: Man kann nicht sagen, dass die Risiken für Verzögerungen bei der Netzanbindung deutlich geringer geworden sind. Auch hier gibt es Lernkurven bei den Netzbetreibern und den Technologieanbietern. Es kann immer technische Probleme bei der Installation geben oder zu kleine Wetterfenster. Aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich geringer als in der Vergangenheit. Und die Branche arbeitet bereits auch an neuen technologischen Konzepten. Solche sind im vergangenen Jahr von Siemens präsentiert worden. Aber auch ABB und Alstom arbeiten an neuen Lösungen wie Leistungserhöhungen bei den HGÜ-Kabeln und Konverterplattformen. Diese Entwicklungen werden tendenziell die Wartezeiten auf einen Anschluss auf See verkürzen. Aber zunächst sind das teilweise neue Technologien, die im Rahmen von Demonstrationsvorhaben präsentiert und erprobt werden sollten.
Das Ende der Stillstandszeiten ist also noch nicht erreicht?
Andreas Wagner: Ja. Deswegen haben wir ja auch als Stiftung in den vergangenen Jahren immer wieder dafür plädiert, dass das Netz ein Stück weit dem geplanten Offshore-Windpark vorauslaufen müsste. Eine 100-prozentige Synchronisation beim Bau von Windpark und Netz wird man mit den heutigen technischen Konzepten nicht hinkriegen. Würden hier die Netzbetreibern durch die BNetzA ermächtigt, früher mit der Auftragsvergabe zu starten, wäre die Netzanbindung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit rechtzeitig in Betrieb. Ein weiteres Feld eröffnet das EU-Forschungsprojekt Promotion, das aus dem Horizont-2020-Programm gefördert wird, wo wir Partner sind. Das Forschungsprojekt kümmert sich um den Aufbau eines vermaschten EU-Offshore-HGÜ-Netzes in Nordsee oder Atlantik. Die meisten der relevanten Technologieanbieter, Netzbetreiber, Zertifizierer, Testzentren und wissenschaftlichen Forschungsinstitute sind da beteiligt. Zugleich werden auch Ansätze für die notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen analysiert. In der Ostsee wiederum wurde zwischen den benachbarten Übertragungsnetzbetreibern 50 Hertz aus Deutschland und dem dänischen Energienet.dk das Projekt einer Combined-Grid-Lösung vereinbart. Dieses Projekt soll bis 2020 die Offshore-Projekte Kriegers Flak und Baltic II miteinander verbinden.
Dass nun jedes Jahr der Strom von zwei Windparks mehr Windstrom von der See durchs ohnehin schon vom Stromtransport überlastete deutsche Hochspannungsnetz quer durchs Land abtransportiert werden muss, ist für Sie kein Problem mehr?
Andreas Wagner: Ich höre von Tennet, dass das überlastete Landnetz noch ein Problem sei. Aber wir werden wegen des beschlossenen Atomenergie-Ausstiegs bald weitere Kernkraftwerke abschalten, auch im Norden. Hierbei kommt noch einiges an freien Leitungskapazitäten in den nächsten fünf Jahren dazu. Der Offshore-Netzentwicklungsplan müsste noch mehr berücksichtigen, was sich aus dieser Veränderung an zusätzlicher Kapazität für Windstrom herausholen lässt.
Das Gespräch führte Tilman Weber auf der Zukunftskonferenz Wind und Maritim in Rostock am 13. April