Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Sieben Wahrheiten über den deutschen Klimaschutz

Ich bin keine Juristin, daher kann ich es nicht nachvollziehen, was in einem Rechtsstaat wie Deutschland passiert. Silvesterfeuerwerk in den Händen von Unmündigen und Krawallmachern führt zu abgetrennten Fingern, verletzten Feuerwehrleuten und Polizisten. Es verängstigt Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, es stresst Tiere. Feuerwerkskörper treiben die Feinstabwerte in ungeahnte Höhen und schaden dem Klima. Die Lobby der Feuerwerksindustrie ist jedoch so stark, dass Berlins Bürgermeisterin gar nicht von einem Verbot für Privatpersonen sprechen möchte, höchsten Knaller-freie Zonen sind denkbar. Außerhalb Deutschland gibt es in den allermeisten Ländern keine private Knallerei. Weder in London noch in New York City wäre so etwas vorstellbar. Wer glaubt, dass ein Verbot unsere Freiheit maßgeblich beschneidet, der sollte sich auch gegen Sicherheitsgute im Auto zur Wehr setzen.     

1. Gefängnis für Klimaschutz

Damit nicht genug. Die Randalebrüder, die in Neukölln in der Silvesternacht für Angst und Schrecken gesorgt haben, die Feuerlöscher auf Rettungsfahrzeuge geworfen und Raketen in Menschenmengen geschossen haben, die sind so schnell wieder auf freiem Fuß gewesen, dass man gar nicht so schnell gucken kann. Auf der anderen Seite – und das haut mich um - saßen Klimaschützer zum Teil für Wochen hinter Gittern. Knapp drei Wochen hatte die Klimaaktivistin der Letzten Generation, Miriam Meyer, in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim verbracht. Sie und 18 weitere Klimaaktivisten, die zum Teil bereits seit Anfang November im präventiven Gewahrsam der Münchner Polizei saßen, sind seit Ende November wieder frei. Am 05.01.2023 sind in München die verbleibenden fünf Unterstützer:innen der Letzen Generation aus dem Präventivgewahrsam entlassen worden. Also: Präventives Gewahrsam für diejenigen, die darauf aufmerksam machen, dass die Bundesregierung ihrem laut Bundesverfassungsgericht bestätigtem Klimaschutzauftrag nicht nachkommt. Kein präventives Gewahrsam für alle anderen: Hooligans, Pyroteufel, Wiederholungstäter bei Raserei im Straßenverkehr etc. Also, unterm Strich: Hier finden wir – Nr. 1 – ein deutliches Zeichen dafür, dass Klimaschutz in Deutschland in Wahrheit keine große Relevanz hat. 

Lina Eichler bei Straßenblockaden - Letzte Generation. Vor Gericht sagte sie: „Fragen wir uns, wer die wahren Kriminellen sind: Die, die unsere Lebensgrundlagen unwiederbringlich zerstören oder die, die darauf aufmerksam machen?“

letztegeneration.de

Lina Eichler bei Straßenblockaden - Letzte Generation. Vor Gericht sagte sie: „Fragen wir uns, wer die wahren Kriminellen sind: Die, die unsere Lebensgrundlagen unwiederbringlich zerstören oder die, die darauf aufmerksam machen?“

2. 280 Millionen Tonnen Kohle unter Lützerath

Jetzt wandert Lützerath gerade durch die Medien. Der Ort in Nordrhein-Westfalen soll vollständig abgerissen werden, um die darunter liegende Braunkohle zu fördern. „Durch den Abriss des Dorfes wird gleich in zweifacher Hinsicht ein Zuhause für Profitinteressen geopfert. Wird Lützerath dem Erdboden gleichgemacht, verliert zunächst ein ganzes Dorf sein Zuhause. Zudem werden die 280 Millionen Tonnen Kohle unter Lützerath die Klimakatastrophe weiter anheizen und jegliche Klimaziele um Längen sprengen - damit wird das Zuhause von uns allen zerstört. Im Gegensatz zu den Dorfbewohner:innen hat die Menschheit als Ganzes jedoch keine Möglichkeit, dieser Zerstörung zu entfliehen.“ So die Analyse von Letzte Generation. Tatsächlich hat eine wissenschaftliche Studie u.a. des DIW klargestellt, dass Lützerath nicht für die Versorgung gebraucht wird, wenn der Ausbau der Erneuerbaren so vorangetrieben wird, wie von der Regierung angekündigt.

3. LNG-Ausbautempo für Erneuerbare

Ein Jahr nach der Eröffnungsbilanz Klimaschutz von Bundeswirtschaftsminister Habeck am 11. Januar 2022 macht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) den Klimacheck und hat dafür die Versprechen Punkt für Punkt unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Durchwachsen. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Wir begrüßen die Fortschritte, die wir beim Ausbau von Photovoltaik und bei den Übertragungsnetzen sehen. Insgesamt bleibt die groß angekündigte Beschleunigung der Energiewende aber aus. Wir brauchen hier viel mehr Engagement, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Minister Habeck hat bei den LNG-Terminals gezeigt, dass er Tempo machen kann. Den LNG-Ausbauturbo fordern wir auch für Erneuerbare Energien. Das wäre eine echte Energiewende anstelle von kurzfristigen und klimaschädlichen Scheinlösungen.” Der im vergangenen Jahr von Habeck gesetzte Fokus auf fossile LNG-Infrastruktur hat die Vernachlässigung des Klimaschutzes bei der Wärme- und Gasversorgung zur Folge. Um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, muss dringend in Gebäudeeffizienz, Sanierungsmaßnahmen und erneuerbare Wärme investiert werden. Die Dekarbonisierung und der Ausbau der Wärmenetze werden zwar endlich durch eine neue Förderung angereizt, brauchen aber dringend gesetzliche Ziele und Standards. DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz: „Der Kahlschlag in der Sanierungsförderung und Rückschritte bei Gebäudeeffizienzstandards zeichnen eine Spur des Versagens im Gebäudesektor. Hier gibt es große Abweichungen zum 1,5-Grad-Limit und zur Eröffnungsbilanz Klimaschutz selbst. Es ist eine Blamage, dass weiterhin ein festes Ausstiegsdatum für fossile Heizungssysteme fehlt.“

4. Fleisch ist mein Gemüse

Manche Verbesserungen wären so einfach. Zu diesen sogenannten Low Hanging Fruits gehört eine einfache Regelung zur Förderung des Konsum von gesundem Obst und Gemüse statt Fleisch, weil Fleisch und tierische Produkte wie Butter sehr viel CO2 verursachen. Die einfache Lösung: Verzicht auf Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse. Stattdessen eine Anhebung der Steuer auf tierische Produkte. Bei einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent würden sich die tierischen Lebensmittel um rund elf Prozent verteuern. Experten gehen davon aus: der Fleischkonsum könnte um zwei bis zehn Prozent sinken, das Thünen-Institut rechnet mit rund fünf Prozent. Dadurch ließen sich auch Kosten im Gesundheitswesen sparen. Hier müsste sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gegen die Fleischlobby durchsetzen. Schwierig. 

5. Champion sein ist schön

Und das ist auch okay. Es war jahrelang absurd zu sehen, dass Exkanzlerin Merkel als „Klimakanzlerin“ in Europa aufgetreten ist, während sie mit allen Mitteln Besitzstandswahrung der fossilen Industrie betrieben hat. Stichwort Verbrennermotoren aus Liebe zu VW und Co. schützen, bis man im Wettbewerb um E-Mobilität fast abgehängt war. Gleichwohl, die Nummer 1 zu sein beim Klimaschutz, das lockt viele. Und das ist gut so. Zahlreiche Wettbewerbe zum Thema Klimaschutz auf Bundesebene, etwa der ehemalige Leitstern von AEE, haben mehr gebracht, als gutes Zureden oder ein kraftloser CO2-Preis. Beim Wettbewerb der Energieagentur Rheinland-Pfalz "Kommunen Machen Klima" hat übrigens gerade die Stadt Ludwigshafen gewonnen. Alle ihre Gebäude sollen von nun an klimaneutral erstellt werden. Außerdem wird bei Kostenrechnungen ein realistischer Preis pro Tonne CO2 angesetzt. Zu 100 Prozent klimaneutral sollen ab jetzt sämtliche Neubauten der Stadt Ludwigshafen ausgeführt werden. „Und das gilt auch für fette Sanierungen“, erläutert Alexander Thewalt, seit 2020 Baudezernent. Für den parteilosen Bauingenieur ist der Ratsbeschluss nicht nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr kommunalem Klimaschutz, sondern auch ein messbarer Beitrag zum sparsamen Umgang mit Haushaltsmitteln. 

Thewalt verhehlt nicht, dass klimaneutrales Bauen teurer kommt als der konventionelle Standard. Doch zugleich nennt er die Fixierung  auf die reine Investitionssumme kurzsichtig: „Die Betriebskosten werden oft viel zu wenig berücksichtigt – auch in Aufsichtsbehörden, die bei finanziell knappen Kommunen mitreden. Über die Nutzungsdauer von Gebäuden betrachtet, rechnet sich der höhere Aufwand in jedem Fall.“

Das drückt sich in Wirtschaftlichkeitsberechnungen nachlesbar aus. Und darin setzt Ludwigshafen ab sofort die Kosten für eine Tonne CO2 mit 180 Euro an; auch dies ist Teil des Stadtratsbeschlusses. Das städtische Baudezernat sieht sich mit diesem Vorgehen, die gesellschaftlichen Kosten anzusetzen, in bester Gesellschaft: Das ortsansässige Großunternehmen BASF etwa rechne mit einem Betrag von 200 Euro, die Bundesregierung taxiere die volkswirtschaftliche Belastung durch jede Tonne COgar auf 650 Euro. Aber sie handelt nicht danach. Anderes Beispiel: Bundesweiter Energiesparmeister-Wettbewerb 2023: Bestes Klimaschutzprojekt an Schulen gesucht.

Eine Vertreterin der Letzten Generation, die sich auf der Straße festgeklebt hat. Ein Akt der Verzweiflung.

letztegeneration.de

Eine Vertreterin der Letzten Generation, die sich auf der Straße festgeklebt hat. Ein Akt der Verzweiflung.

6. Das gute Wirtschaftswachstum

Das wird deutlich, wenn wir die Nachrichten auf öffentlich-rechtlichen wie privaten Sendern sehen: Wenn die Wirtschaft nicht so schnell wächst, wie prognostiziert, oder wenn ein geringeres Wachstum erwartet wird, dann ist das ein Grund zur Sorge. Umgekehrt: Wir tun etwas Gutes, wenn wir konsumieren, wir kurbeln unsere Wirtschaft an. Dass das vielleicht gar nicht so gut ist, wird von Politik und Medien verschwiegen. Ausgenommen am Earthday, da wird dann gesagt, dass wir die Ressourcen des Planeten immer schneller aufbrauchen. Wir bräuchten mindestens zwei Erden, heißt es. Aber ein Zusammenhang zwischen der ewigen Feier des Wirtschaftswachstum und unserem Ressourcenverbrauch wird nicht gesehen – weil uns von der Industrie suggeriert wird, dass das der einzig gangbare Weg ist. Ein gutes Leben wird gleichgesetzt mit wirtschaftlichem Wohlstand, dabei wissen viel Menschen längst, dass andere Faktoren ebenfalls viel Wert sind: Zeit mit der Familie und Freunden habe, zum Beispiel. Um das Klima zu schützen, müssten wir weniger konsumieren, weniger neue Möbel und Kleidung kaufen, weniger reisen. Das wäre relativ einfach, wenn wir stärker in den Fokus rücken würden, was wir dafür bekämen – zum Beispiel mehr Freizeit. Eigentlich ganz einfach, aber die Konsumgüterindustrie würde darunter leiden. Arbeitsplätze würden verloren gehen. Keine Frage. Diese könnten aber an anderer Stelle entstehen. Zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, hier werden inzwischen Fachkräfte im sechsstelligen Bereich gesucht.    

7. Fuß auf der Bremse bei der Verkehrswende

Dazu einfach nur soviel: Wenn wir uns gegen den Bürgerwillen bei der Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen von einer Partei gängeln lassen, die in aktuellen Umfragen bei fünf Prozent dümpelt, müssen wir wohl alle Hoffnung auf die viel krasseren, überfälligen Maßnahmen fahren lassen: Massive Förderung der Schiene, d.h. Ausbau des Schienennetzes und Finanzierung günstiger Tickts. Güterverkehr muss endlich wieder auf die Schiene. Den Ausbau von Autobahnen müssen wir stoppen, Radwege in Städten verstärken – zulasten des Autoverkehrs. Noch ein verrücktes Beispiel für Versagen in der Landeshauptstadt: In Berlin zahle ich 20 Euro für einen Anwohnerparkausweis, der zwei Jahre gültig ist. In Singapur zahlt man 2.000 bis 6.000 Euro pro Jahr. Hinzu kommen dort hohe Steuern und City-Maut. Die Preise für Flugreisen müssten durch CO2-Steuern so massiv steigen, dass diese Art des Reisens unattraktiv wird. Im Gegenzug könnten Angebote für Bahnreisen innerhalb Europas verbessert werden.