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Kommentar Windenergie-Ausschreibungen

NRW plötzlich für Windkraft

Die NRW-Regierung aus CDU und FDP hatte sich bislang keine Freunde in der Windbranche gemacht. Erst hatte sie im Wahlkampf des vergangenen Jahres kräftig Stimmung gegen den Ausbau neuer Anlagenparks in dem zuletzt zu den Boom-Regionen gehörenden Bundesland geschürt. Dann hatte sie sich beeilt, die im Koalitionsvertrag von Ende Juni schon angekündigte Einführung von 1,5 Kilometer großen Bannmeilen für Windparks rings um Siedlungen sowie eines Bauverbots im Wald durch Windenergie-Erlass und Landesentwicklungsplan umzusetzen: Nach nur zweieinhalb Monaten hatte sie den Erlass-Entwurf dem Landtag zur Zustimmung vorgelegt.

Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber
Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber

Doch Schwarz-Gelb hatte offenbar die Stärke der Windkraft überschätzt. Viele Unternehmen im Land zeigten sich von den Düsseldorfer Plänen überhaupt nicht erfreut. Und zuletzt meldeten sich Ende 2017 sogar die Kommunen des Landes in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisch zu Wort: Ja, eine größere Rücksichtnahme auf Landschaftsbilder und Anwohnerwiderstand sei beim Ausbau der Windkraft hilfreich. Die Koalition müsse aber ihre Bremse gegen den Ausbau der ökologisch notwendigen Stromerzeuger deutlich lockern, um diesen Ausbau bitte nicht abzuwürgen. Es war eine deutliche Interessen-Bekundung an einem Ausbau der Windkraft, den die kommunalen Vertreter offenbar inzwischen als hilfreich für Bürger, kommunale Wirtschaft und die Gemeindekassen selbst ansehen.

Sind die Schwarz-Gelben also plötzlich Windkraftfreunde? Über eine Bundesratsinitiative (siehe dort PDF-Seite 7, unter I.: hier der Hinweis auf §28, Absatz 1, 2.), will Düsseldorf jedenfalls dafür sorgen, dass die Bundesnetzagentur als zuständige Behörde im Jahr 2018 statt 2.800 Megawatt (MW) Windkraft noch 1.400 MW zusätzlich ausschreibt. Das zusätzliche Ausschreibungsvolumen will NRW damit vorziehen lassen. Ab 2023 soll in den Ausschreibungen wieder genauso viel zurückgenommen werden, wie die Ausweitung der Ausschreibungen 2018 dann tatsächlich zu einem Ausbau von mehr als jährlich 2.800 MW hinaus geführt haben wird. Begründung und Hintergrund: Die zusätzliche Ausschreibung soll einen drohenden Fadenriss verhindern. Denn die Ausschreibungen haben im ersten Jahr nach ihrer Einführung zu stark verfallenden Einspeisetarifen geführt, die wiederum zu starken Verzögerungen und konkret schon 2019 zum zwischenzeitlichen Stillstand des Windparkausbaus führen könnten. Denn eine besondere Regelung zur Förderung sogenannter Bürgerwindparks sorgte 2017 dafür, dass weitgehend nur Projekte ohne Baugenehmigung und mit einer langen Realisierungsfrist den Zuschlag erhielten. Diese als Bürgerwindparks eingereichten Projekte sehen viele in der Windbranche als Spekulationsprojekte an, deren Bauherren die Entwicklung noch effizienterer künftiger Windturbinen abwarten. Für die ersten beiden der jährlich drei Ausschreibungsrunden dieses Jahres hat die Bundesnetzagentur die Sonderregel vorerst ausgesetzt. NRW fordert in dem Bundesratsantrag auch noch eine Ausdehnung dieses Moratoriums auf die Gesamtjahre 2018 und 2019. Die zusätzlichen 1.400 MW jetzt könnten direkt schon weit fortgeschrittenen und genehmigten Projektierungen zu Gute kommen und den Fadenriss 2019 verhindern, so nun die Motivation der NRW-Landesregierung.

Vielleicht brauchte es ausgerechnet die zwar weniger windkraftfreundliche, aber auch weniger mit den Kohlekumpels des Landes verbundenen Koalitionäre aus CDU und FDP für diese Initiative. Denn die vorher in NRW regierende SPD, traditionelle Schutzpartei der Kohleindustrie mit ihren über Jahrzehnte hinweg sicheren Arbeitsplätzen, hatte bisher noch jeden bundespolitischen Kompromiss auch gegen die Windkraft abgenickt – so er nur die Kohlekraft schützte. Da darf auch nicht irritieren, dass die Sozialdemokraten zusammen mit der CDU für eine Große Koalition im Bund das deutsche Klimaschutzziel für 2020 opfern wollen und im Gegenzug die Windenergie schneller ausbauen könnten. Diese aus den Sondierungsgesprächen derzeit verlautende Strategie ist noch allzu unkonkret, als dass die Windkraft auf sie bauen könnte.

Geschenkt, dass CDU und FDP mit ihrem Schachzug vielleicht nur ein Friedensangebot an die Windkraftunterstützer unterbreiten wollen, für das sie im Gegenzug die Zustimmung für Begrenzungen des Windenergieausbaus im Bundesland erwarten. Der Landesverband Erneuerbare Energien NRW hat sich über die Initiative heute erfreut gezeigt – und seine Begründung stimmt: „Die Maßnahmen sind geeignet, … die drohende Lücke [des bundesweiten Windenergieausbaus] zunächst abzumildern.“.

Doch ein Blick in die weitere Welt hilft hier, Realismus zu bewahren und weder in trügerische Euphorie noch in kleinlaute Dankbarkeit zu verfallen. So soll hier einerseits ein Vergleich mit den USA gewagt werden. Auch in den Vereinigten Staaten kann derzeit eine an erneuerbaren Energien uninteressierte Administration unter deren sprunghaftem Präsidenten Donald Trump die Windkraft nicht bremsen. Der Ausbau ist kräftig – und viele Bundesstaaten stellen mit eigenen Initiativen unbeirrt die Weichen für die ersten größeren Offshore-Windparks des Landes, bekennen sich eigenständig zu weltweiten Klimaschutzzielen oder verhindern gar Aufhebungen von Ölbohrverboten wie vor der Küste Floridas: Das hat Trump erst gestern bestätigt und dabei dem Drängen der ausgerechnet seiner eigenen Partei angehörenden Regierung dieses Bundesstaates nachgegeben.

Andererseits sind die aktuellen weltweiten Ausbauzahlen der Windkraft zugleich ernüchternd: 2017 sind die Installationen sogar leicht global eingebrochen. Wie das internationale Branchenmagazin Wind Power Monthly in seinen regelmäßigen Datenchecks schon einmal zusammengerechnet hat, haben offenbar viele ehemalige Hoffnungsländer in Lateinamerika, Asien, Europa und Afrika ihren Ausbau fast eingestellt. Im führenden Windenergieland China reduzierte die Regierung den Ausbau auf einen realistischeren Pfad, damit sich die dortigen langen Staus beim Netzanschluss neuer Windparks auflösen.

Die Gründe sind vielfältig: Kriege und Bürgerkriege verhindern nicht zuletzt im gesamten arabischen Raum, aber auch wohl in Afrika oder beispielsweise in der europäischen Ukraine schon begonnene oder konkret geplante Einstiege in die Windkraft. Teils von außen beförderte oder demokratisch zweifelhafte Regierungsumstürze wie in Brasilien gehen in mehreren lateinamerikanischen Ländern mit einem Einhalten der Projektierungs-Prozesse einher. Die weltweit sich durchsetzende sogenannte Austeritätspolitik zur massiven Reduzierung der Ausgaben öffentlicher Kassen sorgte nicht zuletzt in Europa für einen Windkraft-Stopp in wirtschaftsschwächeren Ländern.

Nur dort, wo die Windkraft als eigener Wirtschaftsbereich schon stark genug ist, kann sie allerdings diesem konservativen und  geopolitischen Umschwang standhalten. Und das überraschend gut: In Deutschland, den USA und auch in Indien kommt sie bisher trotz Stockungen wie im Rahmen einer neu eingeführten Ausschreibungssystematik in Indien, mit gewaltigen Boom-Wellen immer wieder neu zum Zuge. Das galt 2017 noch nicht für Indien, aber umso mehr für die USA und für Deutschland. In Argentinien ebenso, wo ein zwar konservativer und wirtschaftsliberal orientierter, aber auf vollkommen demokratischem Wege ins Amt gelangter Präsident regiert. Dessen neu eingeführtes Ausschreibungssystem hat zu einem Andrang vieler Investoren und Projektierer geführt – die Windkraft ist technologisch inzwischen so gut, dass sie auf hohen Wettbewerbsdruck mit guten Maschinen überall in der Welt antworten kann.

Sicherheit im Geschäft kann sich allerdings erst einstellen, wenn die Branche nicht weiter in eine Sackgasse geführt wird: Diese besteht darin, im zunehmenden Takt immer noch größere neue Anlagen zu entwickeln und so auf die wachsenden Anforderungen nur einseitig technologisch zu antworten. Ein Stopp des anhaltenden globalen konservativen Umschwungs als Mindestanforderung müsste einhergehen mit dem wirtschaftlichen Durchbruch von Speicher- und anderen Flexibilisierungstechnologien.

Aber das alles ist ja nicht neu. Und die technologischen Initiativen der Industrie weltweit hierzu häufen sich bereits. In der Hoffnung auf neue seriöse Energiepolitik.

(Tilman Weber)