Das Vorzeigeprojekt in Baden-Württemberg findet sich wohl nicht ganz zufällig in der nord-württembergisch-fränkischen Landschaft Hohenlohe. Über dieser Hochebene herrschen die stabilsten und kräftigsten Windströmungen des sonst eher windarmen Bundeslandes. Das Baufeld des 26 Megawatt (MW) starken Bürgerwindparks Kirchberg/Jagst ist 230 Hektar groß und erstreckt sich über freie Ackerflächen links und rechts der Autobahn A7. Eigentlich war die Fertigstellung des Projekts mit dem Netzanschluss der acht Anlagen laut Verkaufsprospekt schon für den 15. August vorgesehen. Doch Baugenehmigung und Baufreigabe erteilten die Behörden erst im Juni und im Juli. Am gestrigen Donnerstag meldete der Windturbinenbauer Vestas den Eingang der Bestellung der bislang erst in einem Prototypprojekt in Bayern hierzulande errichteten Anlage V126 mit 3,3 MW Leistung. Die Nabenhöhe der Turbinen beträgt 137 Meter.
Windenergieanlagen mit einem bezogen auf die Turbinen-Nennleistung verhältnismäßig großen Rotor gelten als besonders effizient in süddeutschen Landstrichen mit häufig mäßigen durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten in Nabenhöhe wie in Baden-Württemberg von bestenfalls sechs bis sieben Metern. Ihre Rotoren greifen damit so weit aus, dass sie auch die im Luftraum über den Standorten dort eher ungleich verteilten Windbewegungen noch verlässlich einfangen können. Zum Vergleich: An küstennäheren norddeutschen Standorten sind die Windströmungen eher gleichmäßig im Raum verteilt. Sie treffen mit ihrer Energie daher zuverlässig auch in das Greiffeld kleinerer Rotoren. Hinzu kommt, das größere Rotoren weniger Watt pro Quadratmeter überstrichener Fläche aus den tatsächlich auch langsameren Luftströmungen ziehen müssen – und dennoch aufgrund der großen Angriffsfläche ein sehr hohes Drehmoment erreichen. Dabei erhöht sich mit dem Drehmoment auch das Potenzial, um die Turbinenleistung zu erhöhen.
Hohe Bürgerbeteiligung, Binnenlandanlagen einer neuen Generation
Mit dem Projekt Kirchberg werden so erstmals auch speziell entwickelte Binnenlandanlagen einer ganz neu eingeführten Turbinenklasse betrieben, deren Leistungsbereich bei mindestens drei MW beginnt und bis zu vier MW reicht.
Doch als weitere Besonderheit gilt die hohe Bürgerbeteiligung. Örtliche Bürger würden hier mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent am Eigenkapital beteiligt sein, teilte Vestas mit. Die Bürger würden somit „an dem Windpark einen größeren Anteil besitzen“ als es bei jedem anderen Windpark in Süddeutschland der Fall sei. Gemäß dem Verkaufsprospekt des Projekts ist das Eigenkapital auf ein Volumen von knapp 13 Millionen Euro dimensioniert – auf knapp ein Drittel des Projekt-Kaufpreises von 42,75 Millionen. Beteiligt ist mit der Hohenlohe Wind eG auch eine Energie-Bürgergenossenschaft. Außerhalb der Genossenschaft betrug der Mindestanteil, den Bürger zeichnen konnten, 50.000 Euro. Die Genossenschaftler waren ab 2.500 Euro dabei.
Damit bewahrheitet sich auch, was im baden-württembergischen Umweltministerium bereits Anfang 2012 als Lageeinschätzung für eine politisch erwünschte hohe Bürgerbeteiligung an der Windkraft galt: Bei der im Bundesvergleich besonders breiten und wohlhabenden Mittelstandsschicht des Landes werde die Finanzierung der Windenergiewende durch Bürgerhand kein Problem, sagte der Ministerialbeamte Karl Greißing damals zu ERNEUERBARE ENERGIEN (Heft 04/2012). Baden-Württemberg hatte 2011 mit der Ablösung einer CDU geführten Regierung durch eine grün-rote Koalitionsregierung – nach einer jahrzehntelangen Vorherrschaft der windkraftfeindlichen CDU – eine Windenergiewende mit besonders hoher Bürgerbeteiligung angekündigt. Allerdings stockt der Ausbau vier Jahre später immer noch. Allein die Leistung des Projekts Kirchheim würde somit den durchschnittlichen jährlichen Zubau der Windkraft im „Ländle“ seit 2011 knapp übertreffen. Vestas plant den Netzanschluss nun für das zweite Quartal 2016. Die Lieferung der Anlagen soll Anfang 2016 erfolgen.
(Tilman Weber)
Hier finden Sie ein weiteres Vorzeigeprojekt aus Baden-Württemberg - dieses Mal mit Stadtwerkebeteiligung!