Die Bilanz der Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung fällt nach knapp 100 Tagen ernüchternd aus, der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) betont. Deutschland wird nicht nur noch klarer seine Klimaschutzziele verfehlen als bisher angenommen. Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinkt die Bundesrepublik heftig hinterher. Denn die Vorgabe aus Brüssel lautet: 18 Prozent des Endenergieverbrauchs müssen im Jahr 2020 mit Erneuerbaren abgedeckt werden. Nach jetzigen Berechnungen werden aber nur 16,4 Prozent erreicht.
Gesamtpaket notwendig
Damit droht nicht nur ein Vertragsverletzungsverfahren, die wiederum Strafzahlungen nach sich ziehen, sondern auch, dass die Ziele für das Jahr 2030 verpasst werden, wenn die Bundesregierung nicht endlich etwas tut, um den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen. Zwar wird die jetzige Bundesregierung dann nicht mehr im Amt sein. „Doch jetzt müssen mit Blick auf die Ziele 2030 die Weichen gestellt werden, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen”, betont Simone Peter, Präsidentin des BEE. „Die Bundesregierung muss das, was im Koalitionsvertrag steht, auch umsetzen.” Dazu gehören die Stärkung der Sektorenkopplung genauso wie die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes. Deutschland braucht dringend ein Gesamtpaket aus Ausbau von erneuerbaren Energien in allen Bereichen und dem Ausstieg aus der Kohleverstromung, der CO2-Minderung im Gebäude- und Verkehrssektor, um nicht auch noch die Klimaschutzziele des Jahres 2030 krachend zu verfehlen.
Planungssicherheit fehlt
Konkrete Maßnahmen stehen immerhin im Koalitionsvertrag drin, allen voran die Sonderausschreibungen bei Wind- und Solarenergie und das Ziel, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf einen Anteil von 65 Prozent zu steigern. Doch der Ausbau stagniert. Aus Sicht der Branchen liegt das vor allem an den fehlenden und unsicheren Rahmenbedingungen. „Wir brauchen einen politischen und rechtlichen Rahmen, der jenseits von drei Jahren sicher ist”, betont Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Schließlich brauchen die Projektierer mindestens drei bis fünf Jahre, um allein alle Genehmigungen zu bekommen. Dazu kommen noch einmal zwei Jahre für die eigentliche Planung eines Windparks. Da ist eine Frequenz der Änderung der Rahmenbedingungen von zwei Jahren viel zu hoch. „Heute nicht zu wissen, wie groß das Zubauvolumen in 2019 und 2020 sein soll, lässt den Antragstellern für Genehmigungen, aber auch den Bundesländern in der Flächenbereitstellung, kaum noch eine Option, dem sachgerecht zu folgen“, sagt Hermann Albers, auch mit Blick auf die im Koalitionsvertrag vereinbarten Sonderausschreibungen für Windkraft und Photovoltaik.
Fünf Gigawatt pro Jahr sind kein Problem
Die Unsicherheit angesichts der Debatte innerhalb der Unionsparteien, ob die zusätzlichen Ausschreibungen nicht doch verschoben werden sollen, wird sich fatal für die Branche auswirken. „Wir konnten in den vergangenen Jahren einen Zubau von fünf Gigawatt planerisch abbilden“, erklärt Albers. „Jetzt haben wir das Signal bekommen, dass dieser Zubau auf 2,8 Gigawatt schrumpfen soll. Das wiederum führt zu Entlassungen von Mitarbeitern bei den Planern. Wenn die Sonderausschreibungen aber doch kommen, steigt der Zubau plötzlich wieder auf 4,8 Gigawatt, also das Volumen der vergangenen Jahre.“ Dann müssen die Unternehmen wieder Mitarbeiter suchen, die dann wahrscheinlich nicht mehr verfügbar sind. Haben die Projektierer aber die Planungssicherheit, müssen sie die Jobs erst gar nicht abbauen.
Die Planungssicherheit braucht auch die Photovoltaikbranche. „Wir brauchen positive Investitionssignale, um den Zubau weiter zu beschleunigen“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW Solar). „Auch wir haben in der Vergangenheit schon mal über sieben Gigawatt in einem Jahr zugebaut. Doch dieser Zubau ist in den vergangenen Jahren auf gut ein Gigawatt zusammengeschrumpft. Inzwischen haben wir die Trendwende geschafft und der Zubau steigt wieder an und wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr den von der Bundesregierung vorgegebenen Korridor von 2,5 Gigawatt schaffen.“
Sonderausschreibungen sind nur ein erstes Signal
Doch das wird nicht reichen, um die Klimaschutz- und Ausbauziele zu schaffen. Hier muss mehr geschehen. „Wir brauchen mindestens zehn Gigawatt pro Jahr“, sagt Körnig. „Die sind auch zu schaffen, wenn man uns lassen würde. Dazu brauchen wir noch nicht einmal mehr Förderung. Die Bundesregierung muss einfach nur die Bremsen lösen und die Hürden abbauen, die sie in der Vergangenheit selbst errichtet hat.“
Doch die Sonderausschreibungen könnten zumindest ein erstes Signal sein, dass es der Bundesregierung ernst ist mit dem Klimaschutz und dem Koalitionsvertrag. Auch wenn diese Sonderausschreibungen viel zu kurz gesprungen sind, wie Carsten Körnig betont. „Es fehlen etwa 100 Millionen Tonnen CO2-Minderung, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Durch die Sonderausschreibungen werden zehn Millionen Tonnen eingespart“, rechnet Körnig vor. „Trotzdem fordern wir zumindest die Eins-zu-eins-Umsetzung dieser Sonderausschreibungen. Auch wenn das nicht ausreichen wird. „Das Sondervolumen ist auch nur ein erster Schritt zu mehr Planungssicherheit“, betont Simone Peter. „Doch die Bundesregierung muss jetzt die Bremsen lösen, die den Zubau behindern.“
Gebäudesektor bliebt das Sorgenkind
Doch auch dieses Sondervolumen sieht Körnig nicht ganz unkritisch. „Wir müssen aufpassen, das dieser Zubau am Boden nicht zu Lasten im Gebäudebereich geht“, sagt er mit Blick auf den atmenden Deckel. Denn wenn das Sondervolumen auf den allgemeinen Zubau angerechnet wird, hat das Auswirkungen auf die Einspeisevergütung für Anlagen auf und an Gebäuden, die dann sinkt. Das würde dieses Segment ausbremsen. Hier muss die Bundesregierung sicherstellen, dass das Sondervolumen auch bei der Berechnung des Zubaus gesondert behandelt wird.
Zudem bleibt der Gebäudesektor das große Sorgenkind, weniger mit Blick auf die Strom- als vielmehr auf die Wärmeversorgung. Der Bestand von uralten fossilen Heizkesseln in deutschen Kellern ist immer noch riesig. Hier sieht Martin Sabel, Geschäftsführer des Bundesverbandes Wärmepumpe, einen enormen Handlungsbedarf. Schließlich gehe der Anteil der Erneuerbaren im Wärmesektor derzeit sogar leicht zurück, benennt er das derzeitige Problem, mit dem der Wärmesektor zu kämpfen hat. Schließlich muss auch er seinen Beitrag zur Minderung des CO2-Ausstoßes werden.
Gebäudeenergiegesetz muss kommen
Um hier eine Trendwende zu schaffen, den Sanierungsstau aufzulösen und mehr erneuerbare Wärme in die Gebäude zu bringen, muss endlich der Preis für Ökostrom zum Heizen konkurrenzfähig werden. „Es gibt eine erhebliche Verzerrung des Systems der Steuern und Umlagen, die auf die verschiedene Energieträger verteilt werden, so dass die fossilen Energieträger stark bevorzugt werden“, kritisiert Sabel. „Strom – vor allem grüner Strom – wird stark benachteiligt, so dass hier die falsche Lenkungswirkung entsteht.“ Deshalb fordert Sabel eine Reform des Steuer- und Abgabensystems. „Das war auch angedacht bei der Ausarbeitung des Koalitionsvertrags, ist inzwischen aber dort nicht mehr zu finden“, kritisiert er den fehlenden Ansatz zur Energiewende im Wärmesektor. „Der Koalitionsvertrag bekennt sich aber ganz eindeutig zum Klimaschutzplan 2050. Insofern stehen diese Themen noch auf der Agenda und sollten auch ernsthaft angegangen werden.“
Immerhin steht aber auch noch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) auf der Agenda der Bundesregierung. Zwar ist auch in dieser Hinsicht noch nichts passiert. Doch erwartet Martin Sabel hier entscheidende Fortschritte, wenn die energetischen Anforderungen an die Gebäude steigen. Einen großen Schub würde sich Sabel von der steuerlichen Förderung der Sanierung im Heizungskeller versprechen. Doch dieser Ansatz steht auch schon wieder zur Debatte. „Hier sind viele Punkte aus dem Wärmebereich, die gar nicht oder nur sehr halbherzig angegangen werden“, fasst Matin Sabel die ernüchternde Energiepolitik der Bundesregierung zusammen.
Klimapolitik braucht beherzten Anfang
Deshalb fordern alle Branchen der erneuerbaren Energien einhellig, die Energiewende endlich in Schwung zu bringen und den Versprechen endlich auch Taten folgen zu lassen. „Denn alles, was wir in den nächsten Jahren nicht einsparen, müssen wir um so mehr in den 2020er Jahren schaffen“, betont Carsten Körnig vom BSW Solar. „Die Arbeit in der Energie- und Klimapolitik braucht endlich eine beherzten Anfang“, ergänzt Simone Peter vom BEE. „Die Glaubwürdigkeit der großen Koalition misst sich an den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages” sagt Peter. „Deswegen sind jetzt die Sonderausschreibungen für die nächsten beiden Jahren auf den Weg zu bringen sowie Maßnahmen einzuleiten, die in allen Sektoren erneuerbare Energien beschleunigt voranbringen, um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Die Branche der erneuerbaren Energien steht bereit.” (Sven Ullrich)